Der Sprach-Papst und seine digitale Wiedergeburt

Die Wolf-Schneider-KI möchte uns dabei hel­fen, unsere Texte ver­ständ­licher und at­trak­ti­ver zu for­mu­lie­ren. Ein Test ergibt ein durch­zo­ge­nes Resultat – und ein höchst selt­sames Phäno­men.

Als Journalist kommt man um Wolf Schneider nicht herum: Er gilt als Sprachpapst und sein Buch Deutsch für Profis (Amazon Affiliate) hat mich nachhaltig geprägt. Noch heute verwende ich passive Redewendungen nur mit einem schlechten Gewissen, habe Hemmungen vor Substantivierungen und setze manches Adjektiv nur aus purem Trotz.

Aber wichtig sind nicht die Regeln im Einzelnen. Die habe ich, offen gesagt, auch längst nicht mehr alle im Kopf. Aber Schneider ist wirklich gelungen, mir einzuimpfen, mich um Klarheit und eine verständliche Sprache zu bemühen. Wir schreibenden Menschen sollten Floskeln meiden, wie der Teufel das Weihwasser – was ich offensichtlich längst nicht immer tue, aber mir immerhin die Entscheidung abnötigt, aus bewussten Gründen gegen eine Regel zu verstossen.

Tja, die 20-Sekunden-Regel habe ich hiermit auch mit Füssen getreten: Die besagt, dass ich als Schreiberling in kurzer Zeit auf den Punkt kommen soll. Diese zwanzig Sekunden würden etwa 350 Zeichen entsprechen, und ich habe hier schon die 1000er-Marke überschritten.

Hadern mit dem Sprachpapst

Aber wir kommen in diesem Text eh nicht darum herum, mit Wolf Schneider zu hadern. Oder zumindest mit denjenigen Menschen, die es für eine gute Idee hielten, eine KI nach diesem Mann zu benennen. Ist das nicht ein gar hohes Versprechen – oder ein Sakrileg? Wolf ist schliesslich Sprachpapst. Und ich glaube nicht, dass der Vatikan eine künstliche Intelligenz namens Pope AI gutheissen würde.

Also, nach nunmehr fast 1500 Zeichen komme ich endlich zum eigentlichen Thema: der Wolf-Schneider-KI (WSKI). Sie basiert auf ChatGPT und wendet insgesamt um die fünfzig von Schneiders Regeln an. Sie redigiert je nach Textgattung unterschiedlich und liefert Varianten für Worte oder Sätze.

Cordt Schnibben, der WSKI für reporterfabrik.org erfunden hat, beschreibt die Funktionsweise so:

Wir haben die WSKI gefüttert mit Absätzen, in die wir jede Menge Phrasen, Füllwörter, Schachtelsätze, Modewörter, Klischees, Nominalkonstruktionen, Anglizismen, überflüssige Adjektive, Partizipalkonstruktionen gestopft haben. Wieviel wird die WSKI erkennen von dem, was Schneider für schlechtes Deutsch hält?

Ich habe der KI den Anfang dieses Blogposts zum Frass vorgeworfen. Und klar; eigentlich müsste das Verdikt lauten: «Schmeiss alles weg, fang von vorn an und komm gleich zum Punkt. Diese Ausschweifung zu deinen persönlichen Erfahrungen mit Wolf Schneider lenken vom Thema ab und klauen der Leserschaft die Zeit. Stattdessen steige direkt mit dem Thema ein, mit dem Test der KI und mit deinem Fazit.»

Kein knallharter Lektor

Der Testlauf mit diesem Blogpost hier. Die wenigsten Vorschläge bringen echte Verbesserungen.

Das hat die WSKI nicht getan, und darum können wir schon mal sagen, dass wir sie nicht als knallharter Lektor betrachten dürfen, sondern als Instrument, das einen Text im Rahmen seiner Möglichkeiten verbessert, aber uns nicht mit unseren grundsätzlichen Mankos als Autorinnen und Autoren konfrontiert.

Wenn wir uns die Vorschläge der WSKI anschauen, dann sticht der Anfang ins Auge, den sie komplett neu geschrieben hat:

Als erfahrener Redakteur mit 30 Jahren Berufserfahrung habe ich mich intensiv mit dem Werk von Wolf Schneider auseinandergesetzt.

Ich habe als Textsorte Rezension ausgewählt, und darum fühlt sich die KI offensichtlich genötigt, auf die Kompetenz zu pochen, die hinter der Besprechung steht. Ich empfinde das als etwas eitel; und die Doppelung bei der Erfahrung gefällt mir nicht. Aber Hut ab, dass WSKI bei den dreissig Jahren gut geraten hat.

Die weiteren Änderungen¹ sind nicht so prägnant – und nicht alle sind wirklich sinnvoll. Es dient der Verständlichkeit nicht, wenn die KI am Anfang des zweiten Absatzes aus zwei Sätzen einen macht:

Doch es geht nicht nur um die einzelnen Regeln, die ich ehrlich gesagt längst nicht mehr alle im Kopf habe.

Es ist ihr aber anzurechnen, dass sie umgangssprachliche Einwürfe eliminiert; der dritte Abschnitt wird von Dingen wie «tja» und «eh» befreit. Allerdings ersetzt sie mitunter ein Füllwort wie «also» durch ein anderes («nun»), was dazu führt, dass der dritte und der vierte Absatz beide mit «nun» beginnen. Die Entfloskelung findet somit nicht so gründlich statt, wie es möglich wäre – sonst wäre auch das unnötige Wort «insgesamt» aus dem vierten Absatz verschwunden.

Anstösse fürs Redigieren – mehr nicht

Fazit: Die KI liefert Anstösse fürs Redigieren. Die können hilfreich sein; vor allem, wenn wir unsere eigenen Texte überarbeiten. Wunder bewirkt sie nicht und dem prominenten – und prägnanten – Namen wird sie nicht gerecht. Das grösste Manko ist, dass sie auf Ebene des Satzes operiert.

Vielleicht ist das auch gleichzeitig eine Stärke: Denn ein Text als ganzes umzubauen, ist in vielen Fällen weder erwünscht noch realistisch. Im journalistischen Alltag ist die Zeit oft knapp und die Deadline manchmal schon überschritten, wenn es ans Redigieren geht. Und viele Autorinnen und Autoren besitzen ein so ausgeprägtes Ego, dass sie kleinere Korrekturen akzeptieren, sich aber nicht am Gesamtkunstwerk herumflicken lassen wollen. Wobei das natürlich genau die Stärke des echten Wolf Schneider gewesen wäre.

Die KI liefert diverse Formulierungsvarianten.

Wenn wir akzeptieren, dass eine KI nicht in menschliche Fussstapfen treten kann – zumal nicht in so grosse, dann hat die WSKI ihre nützliche Seite.

Namentlich die Formulierungsvarianten, die wir uns für einen Satz anzeigen lassen können: Die bringen womöglich Abwechslung in den Text. Oder sie bestätigen uns, dass wir die bestmögliche Formulierung bereits gefunden haben.

Positiv ist zu vermerken, dass die Länge des Textes beim Redigieren annähernd identisch bleibt: Wir können WSKI auch einsetzen, wenn wir eine bestimmte Zeichen- oder Zeilenzahl abliefern müssen.

Nebst der Textverbesserung kann die KI auch Überschriften vorschlagen oder Teaser erzeugen.

Was die Kosten angeht: Wir haben 10’000 Zeichen für Gratis-Tests zur Verfügung. Sind die aufgebraucht, müssen wir ein Paket erwerben, wobei nach Zeichen abgerechnet wird. Für 200’000 Zeichen zahlen wir fünf Euro, für 500’000 Zeichen zehn Euro und ab 150 Euro gibt es Firmenpakete mit bis zu 300 Millionen Zeichen.

Woher kommt der Phantomtext?

Auf diesen einen Absatz als Input liefert die KI neun Absätze zurück. Wie konnte das passieren?

Damit könnte der Test zu Ende sein, hätte ich nicht ein seltsames Phänomen entdeckt. Die KI hat nämlich auf einen Input von einem Absatz geschlagene fast den neunfachen Text zurückgeliefert, der viele offensichtlich erfundene Informationen enthielt, aber der so nah an der ursprünglichen Pressemeldung dran ist, dass zu vermuten ist, dass jemand einen ähnlichen Text verarbeitet hat und etwas der nun als «Leak» herausgesickert ist.

Jedenfalls ist diese Sache so seltsam, dass ich ihr in einem separaten Blogpost nachgegangen bin. Die Erkenntnisse findet ihr im Beitrag Eine Halluzination oder ein Informations-Leak?.

Fussnoten

1) Hier die ganze Passage, die die KI zurückgeliefert hat:

Als erfahrener Redakteur mit 30 Jahren Berufserfahrung habe ich mich intensiv mit dem Werk von Wolf Schneider auseinandergesetzt. Sein Buch „Deutsch für Profis“ hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen und meine Schreibweise maßgeblich beeinflusst. Noch heute verspüre ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich passive Redewendungen verwende, habe eine Abneigung gegen Substantivierungen und setze Adjektive aus reinem Trotz ein.

Doch es geht nicht nur um die einzelnen Regeln, die ich ehrlich gesagt längst nicht mehr alle im Kopf habe. Vielmehr ist es Schneider gelungen, mir den Wert von Klarheit und verständlicher Sprache zu vermitteln. Als Schreibende sollten wir uns von Floskeln fernhalten, so wie der Teufel das Weihwasser meidet – auch wenn ich zugeben muss, dass ich mich nicht immer daran halte und bewusst gegen eine Regel verstoße.

Nun habe ich mit dieser Einleitung bereits die 20-Sekunden-Regel missachtet, die besagt, dass ein Schreiberling innerhalb kurzer Zeit auf den Punkt kommen sollte. Diese 20 Sekunden entsprechen etwa 350 Zeichen, und ich habe bereits die 1000-Zeichen-Marke überschritten. Doch in diesem Text kommen wir ohnehin nicht umhin, uns mit Wolf Schneider auseinanderzusetzen. Oder zumindest mit den Menschen, die es für eine gute Idee hielten, eine KI nach ihm zu benennen. Ist das nicht ein gewagtes Versprechen – oder gar ein Sakrileg? Schließlich ist Wolf der Sprachpapst. Und ich bezweifle, dass der Vatikan einer künstlichen Intelligenz namens Pope AI zustimmen würde.

Nun, nach fast 1500 Zeichen komme ich endlich zum eigentlichen Thema: der Wolf-Schneider-KI (WSKI). Diese basiert auf ChatGPT und wendet insgesamt etwa fünfzig von Schneiders Regeln an. Je nach Textgattung erfolgt eine unterschiedliche Redaktion, und es werden Varianten für Worte oder Sätze geliefert.

Beitragsbild: Hier scheint der Grünstift noch schlimmer zu wüten als der Rotstift (Ron Lach, Pexels-Lizenz).

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