Drei Anläufe zu Benjamin von Stuckrad-Barre

Soll ich jetzt auch noch eine Besprechung von «Noch wach?» von «Stucki» abliefern? Oder wäre es nicht schlauer, sich «Soloalbum» zuzuwenden oder gar «Panikherz» noch einmal hochleben zu lassen?

Beitragsbild: Benjamin von Stuckrad-Barre während einer Lesung in Braunschweig, 2016 (Stefan Schäfer, Lich/Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Eigentlich hätte ich an dieser Stelle Noch wach? besprechen wollen, den neuen Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre. Nun wäre ich damit aber nicht der Erste gewesen. Im Gegenteil: Es gibt nur wenige Artikel und Blogposts im deutschsprachigen Raum, die sich in letzter Zeit nicht mit diesem Buch beschäftigt haben. Ich belasse es daher bei einer Kurzkritik.

Also:

Noch jemand, der es nicht besprochen hat?

Den Stil und die Sprache finde ich grossartig. Aber vollständig hat sich mir der Sinn einer Erzählung nicht erschlossen, die zwar fiktional ist, aber haarscharf an der Realität vorbeischrammt. Im Vergleich dazu ist die achtteilige Reihe Boys Club von Spotify zwar weniger lustig, aber ergiebiger.

Damit dieser Blogpost dennoch ausreichend Fleisch am Knochen hat, habe ich mir als nächstes Soloalbum vorgenommen. Das ist sein Debütroman von 1998. Sprachlich noch nicht auf der Höhe von «Noch wach?» und im Vergleich zu heute oft etwas holzhammeriger, war das Erstaunlichste an diesem Buch, dass sich der Sachverhalt «Mann wird von Freundin verlassen und kommt schlecht damit zurecht» als Lesung auf sieben Stunden und zwanzig Minuten ausdehnen lässt.

Alles schon so lange her

Zweiter Anlauf.

Versteht mich nicht falsch: Ich fühlte mich gut unterhalten. Die Geschichte führt vor Augen, wie wahnsinnig viel sich im letzten Vierteljahrhundert verändert hat. In diesem Buch spielt der Telefonbeantworter eine wichtige Rolle und Menschen – auch Pärchen – schicken sich ernsthaft Faxe. Es gibt das Internet zwar schon, aber für Benjamin von Stuckrad-Barre spielt es keine wichtige Rolle. Und unsere Sensibilitäten haben sich verschoben. Einiges, was wir in dieser Geschichte zu hören bekommen, stünde heute unter Sexismus- und Diskriminierungverdacht.

Wir erfahren dafür ein bisschen etwas über Musik, wobei der Autor zu den Leuten gehört, die ihren eigenen Geschmack verabsolutieren und für alle, die ihn nicht teilen, nur Verachtung übrig haben. Leider gehöre ich – zumindest gemessen an den Lieblingen, die hier ihren Auftritt haben – zur zweiten Gruppe: Ich könnte auch ohne Oasis oder Blur ein erfülltes Leben leben. Den Pet Shop Boys bin ich nicht abgeneigt – aber wie kann man in dem Kontext Depeche Mode unerwähnt lassen? Und Erasure? Eurythmics? Und, und, und!

Plop-Literatur?

Darum ist «Soloalbum» bedauerlicherweise auch kein Hauptact für diesen Blogpost. Nein, wirklich: Ich habe noch nie ein Buch gelesen, in dem es weniger Handlung gab. Wäre es das erste Werk aus der Popliteratur gewesen, das mir begegnet ist, dann hätte ich mich womöglich von diesem Genre abgewandt – weil zu egozentrisch, zu selbstverliebt und zu sehr auf Effekt gebügelt.

Last, but not least.

Aber zum Glück war es das nicht. Es war Panikherz, Benjamin von Stuckrad-Barres Roman von 2016, der sich ebenfalls um Musik und um Benjamin von Stuckrad-Barre dreht – und um seine Drogensucht und seine Essstörung. Schon der Einstieg ist grossartig: Stuki ist eben als Begleiter des zweiten Protagonisten im Buch in den USA gelandet. Er versucht, die Einreise in geordnete Bahnen zu lenken, sodass der Grenzbeamten nicht etwa auf die Idee kommt, Udo Lindenberg oder gleich beide nach Guantanamo zu schicken.

Was folgt, ist ein Höllenritt: Udo bleibt, während allen Höhen und vor allem auch den Tiefen, ein Fixpunkt im Leben des Autors. Und die Selbstbezogenheit ist nicht bloss ein Mittel der Inszenierung, sondern zwingend notwendig: Denn es ist eine harte und gleichzeitig liebevolle Autobiografie, die einiges, was in «Soloalbum» bloss anklingt, mit in voll aufgedrehter Lautstärke aufs Publikum einkrachen lässt.

Ein Herz für die Panik

Darum erlebt dieser Blogpost hier doch noch ein Happy End: nämlich mit «Panikherz» und der Empfehlung, unbedingt das Hörbuch zu hören, das (wie die beiden anderen Werke) vom Autor selbst gelesen wird. Und ich bin euch natürlich noch eine Erklärung schuldig, weswegen ich «Panikherz» nicht schon damals hier besprochen habe.

Nach einigem Nachdenken bin ich daraufgekommen: Ich war seinerzeit noch Moderator beim «Morgomat», der Morgensendung von Radio Stadtfilter. Ich habe das Buch dort abgehandelt, und zwar im Musikschwerpunkt, wo ich einige der Songs aus dieser Geschichte spielen konnte: «Votan Wahnwitz» von Udo Lindenberg, The Bates mit «Say it isn’t so», «Lipstick Vogue» vo Elvis Costello & the Attractions, Nirvana und The Beach Boys mit «Let’s go away for awhile».

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