So sehe ich im KI-Paralleluniversum aus

Auf Lensa folgt eine Unzahl von Tritt­brett­fahrer-Apps: Alle gene­rieren sie die tollsten Porträt-Illustra­tionen. Die Remini-App schlägt sich nicht schlecht, hat gegen­über dem Vorbild aber den­noch einen schweren Stand.

Da hat diese Lensa-App etwas Schönes angerichtet!

Zur Rekapitulation: Die Lensa-App nimmt eine Handvoll Selfies entgegen und erzeugt daraus die sogenannten «magischen Avatare». Das sind mehr oder weniger fotorealistische Illustrationen, in denen wir uns als Erzeuger der Selfies in allerlei Heldenposen wiederfinden.

Die Lensa-App – die, nebenbei bemerkt, auch spannende Bildbearbeitungsfunktionen hat – war für einen Medienrummel verantwortlich. Und sie hat unzählige von Nachfolgern auf den Plan gerufen. Wenn ich derzeit Facebook öffne, dann sehe ich kaum etwas anderes als Werbung für Apps, die mittels AI Avatare generieren.

Ich komme nicht umhin, Stichproben zu machen, um herauszufinden, wie gut diese Konkurrenten sind. Als erster Kandidat in meiner Testreihe kommt Remini AI Photo Enhancer zum Einsatz, den es fürs iPhone und iPad und für Android gibt. Remini ist kein unbekannter Name in der KI-gestützten Bildbearbeitung: Bei meinem Test der Upscaler, also jenen Programmen, die Bilder algorithmisch schärfer rechnen, bin ich einem Tool dieses Herstellers begegnet, das annehmbare Resultate geliefert hat.

Darum war ich gespannt, was Remini mir für Avatare liefern würde. Genau wie bei Lensa gibt es die nicht kostenlos. Ich musste drei Franken hinlegen, woraufhin ich nach ungefähr zwanzig Minuten mein Konterfei in fünfzig Varianten zurückbekommen habe.

Ein Auswuchs von Eitelkeit?

An dieser Stelle ein kurzer Einwurf, weil ich neulich gefragt wurde, ob ich meine Eitelkeit nicht zügeln könne. Die leicht vorwurfsvolle Frage rührt daher, dass ich für solche Experimente immer mein eigenes Gesicht verwende. Nun, der Grund liegt nicht in meiner Selbstverliebtheit, sondern darin, dass ich erstens mein Gesicht selbst recht gut kenne und darum beurteilen kann, ob ich mich in diesen magischen Avataren wiederfinde oder nicht. Zweitens hat es auch einen praktischen Grund: Ich muss unbedingt sicher sein, dass derjenige, der für das Experiment herhalten muss, auch damit leben kann, dass die Fotos hinterher im Netz stehen. Und das geht nun mal am einfachsten, wenn ich mir selbst die Einwilligung erteile.

Also, jetzt interessiert euch natürlich, was bei meinem Experiment herausgekommen ist. Es handelt sich um ein eindeutiges Resultat: Remini ist nicht einmal halb so gut wie Lensa.

Gleiche Software, unterschiedliche Resultate

Das liegt wohl nicht an der Software: Meine Vermutung ist, dass genau wie bei Lensa unter der Haube Stable Diffusion zum Einsatz kommt. Diese Software ist Open-Source, und somit ist es naheliegend, dass sie jetzt für alle diese Avatar-Apps herhalten muss. Auch das Modell des Selfie-Besitzers ist ganz okay. Aber die Vorlagen, denen das Gesicht des Selfie-Erstellers übergestülpt werden, sind weniger spektakulär und nicht ansatzweise so heldenhaft.

Allerdings – und das ist ein klarer Punkt für Remini – handelt es sich hier tatsächlich um Avatare. Es sind Porträts, die sich auch tatsächlich als Profilbild bei einem Online-Account einsetzen lassen. Das ist bei Lensa weniger der Fall: Hier gibt es Brustbilder oder Ganzkörper-Aufnahmen, extreme Close-ups, künstlerische Halbprofile und zu üppige Inszenierungen: Das widerspricht der Anforderung, dass ein Profilbild auch erkennbar sein sollte, wenn es klein reproduziert wird.

Eine Auswahl der fünfzig Profilbilder, die Remini für mich erzeugt hat.

Nicht schöner, nicht jünger

Die Auswahlsendung von Remini enthält Bilder in verschiedenen Stilen und unterschiedlichen Realismusgraden. Und längst nicht alle Bilder sind geschönt und nur wenige sind deutlich jünger, als ich es tatsächlich bin. Es gibt zwar ein paar, in denen mein Avatar mehr Haare hat, als das in Tat und Wahrheit noch der Fall ist. Es kommen jedoch auch einige Exemplare zurück, in denen meine Barthaare grauer und meine Falten tiefer sind als in Echt. Auch das gefällt mir gut – denn wenn die Möglichkeiten nur genutzt werden, um sich zu verschönern und dem Ego zu schmeicheln, dann ist das billig.

Fazit: Wer von Lensa enttäuscht wurde, darf gern mit Lensa einen Versuch wagen – allerdings wiederum ohne Garantie auf Zufriedenheit. Ich bin jedenfalls gespannt, wie lange dieser Hype noch anhält. Denn die Frage muss erlaubt sein, wie viele magische Avatare ein einziger Mensch denn braucht.

👉 Ich habe für die Tamedia diesen Test noch ausgeweitet:

Zusätzlich zur Remini-App kommen auch Aiby AI Art (fürs iPhone und Android) und Prequel (hier getestet) zum Zug: Welche künstliche Intelligenz malt mich am schönsten?

Beitragsbild: Verwegen, ausserirdisch und hipsterhaft.

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