Wen nennst du hier korrupt?

Warum werfen wir in den sozialen Medien so grosszügig mit Beleidigungen um uns? Und wie könnte man gegen diesen Missstand antreten? (Vielleicht sogar mit der Methode Musk?)

Es braucht nicht mehr als zwei Tweets, damit eine Diskussion in den sozialen Medien aus dem Ruder läuft. Ich habe das vor ein paar Wochen auf Twitter erlebt: Einer provozierte, ich gab eine pampige Antwort, und schon war die Stimmung im Keller.

Ich denke, dieses Beispiel ist es wert, genauer angeschaut zu werden. Der Ausgangspunkt war mein Tamedia-Artikel über das neue Login der Post, der nun über die Swiss-ID stattfindet. Der Urheber des Ausgangs-Tweets – nennen wir ihn Felix – war mit meiner Darstellung nicht einverstanden. Doch statt diesen Unmut in Worte zu fassen, hat er eine Suggestivfrage vom Stapel gelassen: Nämlich, ob «gesponsorte Beiträge nicht mehr gekennzeichnet werden» müssten?

Das hat nun mich genervt, weswegen ich zurückgeschrieben habe, für Verleumdung gebe es Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe.

Und ja, an dieser Stelle war das Kind schon fast in den Brunnen gefallen. Ich darf aber vermelden, dass wir – auch dank sachlicher Schützenhilfe Dritter – die Kurve doch noch gekriegt haben¹.

Warum kracht es wegen einer solchen Lappalie?

Die Gesprächskultur auf Twitter (Symbolbild von Dall-e 2).

Eine Frage hat mich hinterher weiter beschäftigt: Warum waren wir nicht in der Lage, sachlich über diesen Artikel und die Swiss-ID zu diskutieren? Eine offensichtliche Erklärung ist das vergiftete Klima in den sozialen Medien: Felix hat nicht seine konkreten Kritikpunkte angebracht, sondern die Behauptung in den Raum gestellt, der Artikel sei bezahlte, aber nicht deklarierte Werbung.

Und ja, ich halte das ernsthaft für verleumderisch², weil die Glaubwürdigkeit für uns Journalistinnen das A und O ist. Wenn sich der Verdacht verbreitet, wir seien korrupt, dann sind wir beruflich erledigt. Darum muss unsereins eine solche Anschuldigung nicht unbedingt auf sich sitzen lassen.

Das eigentlich Interessante war nun Felix’ Reaktion darauf: Er hat anscheinend nicht einmal kapiert, dass sein Tweet bei mir nicht unbedingt als Smalltalk, sondern als deftige Unterstellung angekommen ist. Er ist aus allen Wolken gefallen, dass ich sein Tweet nicht lustig und originell gefunden habe.

Die Beleidigungen, die völlig an der Tagesordnung sind

Damit sind wir beim eigentlichen Punkt: Das liegt wahrscheinlich nicht an einer bösartigen Ader von Felix, sondern am schlechten Klima in den sozialen Medien. Bei Twitter, Facebook und all den anderen Social-Media-Sümpfen ist der Korruptionsvorwurf nicht ungewöhnlich, sondern gehört zum gängigen Repertoire des improvisierten Journalisten-Bashings. Hölle, ich habe schon Journis gesehen, die genau diesen Vorwurf einem ihrer Kollegen genauso nonchalant um die Ohren gehauen haben.

… an dieser Stelle der Einschub, dass es mir nicht um die Journis geht. Wir – also auch ich – sollten uns daran gewöhnen, dass wir im sozialen Ansehen noch tiefer sehen als ein Occasions-Autohändler. Aber während ich noch an meinem dicken Fell arbeite, gibt es viele andere Gruppen, die ähnlichen Pauschalvorwürfen ausgesetzt sind, die noch viel übler sind. Aber weil ich mich hier nicht als Advokat für jemanden aufspielen will, dessen Anliegen ich vielleicht nicht ausreichend gut verstehe, habe ich hier dieses banale, aber für mich konkrete Beispiel gewählt. Aber zurück zum Thema:

Wie können wir dieses Klima verbessern oder zumindest dagegen immunisieren? Genau zu diesem Zweck habe ich diesen Blogpost hier geschrieben: Beim nächsten Mal, wo mir einer mit dieser Unterstellung kommt, wird er ihn hier lesen müssen, bevor wir weiterdiskutieren.

Remember the human!

Ich habe mich auch lange gefragt, was die sozialen Netzwerke selbst tun könnten. Das Mailprogramm Eudora hatte eine Funktion namens Mood Watch, die angesprungen ist, wenn der Verdacht bestand, der Inhalt der Nachricht könnte vom Gegenüber schlecht aufgenommen werden. Allerdings zeichnet sich der hier diskutierte Fall dadurch aus, dass sie ohne jegliche Injurien auskommt. Auf der sprachlichen Ebene ist die Beleidigung nicht fassbar – die wird erst auf der Bedeutungsebene verständlich, und dass eine KI die erfasst, erachte ich als maximal unwahrscheinlich.

Ein geschätzter Kollege hat in einer hitzigen Debatte den Satz «Remember the human» eingebracht. Obwohl ich kein Fan von Anglizismen bin, hat der das genau auf den Punkt gebracht. Denken wir daran, dass wir auch in den sozialen Medien Menschen als Gegenüber haben. Ich bin überzeugt, dass sich das auch ohne KI-Hokuspokus irgendwie vermitteln liesse – mit subtilen psychologischen Methoden.

Natürlich gibt es eine Menge Leute, die sich des Problems bewusst sind: Die sollten, wann immer möglich, deeskalierend wirken, eine klare Haltung zeigen, sich nicht provozieren lassen (ich weiss, schwierig) und einige simple Regeln (Die Untergangsspirale brechen) beachten.

Bots sollen schweigen

Und ja, Elon Musk hat einen Punkt, wenn er findet, dass zur Klimaverbesserung auch gehört, dass Bots zum Schweigen gebracht oder zumindest gekennzeichnet werden müssen – oder umgekehrt die «echten» Menschen ein blaues Häkchen verdient haben, ob sie nun berühmt sind oder nicht.

Darum täuscht sich Elon Musk, wenn er das blaue Häkchen gegen Geld anbietet. Es sollte kostenlos für jeden sein, der sich als Mensch zu erkennen gibt und vielleicht durch diese Auszeichnung auch dazu motiviert wird, sich etwas menschlicher zu verhalten.

Fussnoten

1) Ich habe dargelegt, dass es sich bei meinem Text um einen Service-Beitrag handelt, in dem es nicht um die Diskussion der Swiss-ID an sich geht, sondern darum, Nutzerinnen und Nutzern, die gezwungenermassen aufs neue Login umsteigen müssen, dabei behilflich zu sein. Und mit einer Diskussion einzelner Formulierungen ist herausgekommen, dass meine Schilderung des Sachverhalts gar nicht so weit von dem entfernt liegt, was er eigentlich erwartet hat.

2) Der Artikel 174 im Schweizerischen Strafgesetzbuch, zitiert gemäss Wikipedia:

Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, wer eine solche Beschuldigung oder Verdächtigung wider besseres Wissen verbreitet wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Beitragsbild: Nein, danke (Christian Dubovan, Unsplash-Lizenz).

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