Mein Corona-«skeptischer» Freund hat mal wieder auf Facebook gepostet

Wer Unsinn in den sozialen Medien postet, muss sich hier öffentlich Kritik gefallen lassen. Ebenso die Medien, die hanebüchenen Unsinn verbreiten. Heute: «Linth24».

Was muss man eigentlich von linth24.ch halten? Das habe ich mich letzte Woche gefragt, nachdem einer meiner Facebook-Freunde einen Link gepostet hat, der Zweifel an der redaktionellen Kompetenz dieses Online-Mediums aufwirft.

Ein Leserbrief, den die Redaktion sogar mit einer Illustration gewürdigt hat.

Der Beitrag «Aus Angst vor dem Tod aufs Leben verzichten» stammt von einem Leser. Er wird in der Spitzmarke als Leserbrief gekennzeichnet und im Lead entsprechend eingeführt.

Darüber hinaus gibt es keinerlei Einbettung. Das widerspricht meiner Erwartung als Mediennutzer. Denn bei einem klassischen Medium erscheinen Leserbriefe in einem eigenen redaktionellen Gefäss. Sie werden mit anderen Einsendungen gebündelt veröffentlicht und decken im Idealfall das ganze Spektrum der Lesermeinungen ab.

Die Einsendung von Leser Jürg Rückmar steht aber für sich und liest sich wie ein normaler redaktioneller Beitrag. Das lässt nur den Schluss zu, dass die Redaktion von «Linth24» voll und ganz hinter den Aussagen steht. Würde sie es nicht tun, hätte sie am Ende die für Gastbeiträge gerne verwendete Floskel angehängt: «Die Meinung des Autors muss sich nicht mit derjenigen der Redaktion decken.»

Darum lässt sich an dieser Stelle schon eine Feststellung treffen: Entweder beherrschen die Redaktoren bei «Linth24» ihr Handwerk nicht. Oder aber, sie schicken ihre Leser vor, um Meinungen zu verbreiten, bei denen sich kein Mitarbeiter getrauen würde, sie mit seinem Namen zu zeichnen.

Von A bis Z absurd

Denn was Leser Jürg Rückmar in seinem Text schreibt, ist an Absurdität nur schwer zu überbieten. Er fragt: «Warum dürfen wir nicht an Corona sterben? – Täglich sterben Menschen an Herzinfarkt, Krebs, Diabetes oder grippalen Infekten, an Alkoholismus, an unfallbedingten Verletzungen, an Drogen, Selbstmord, Depression, Gewaltverbrechen, Hunger und Durst. Doch ausgerechnet am Corona-Virus darf niemand sterben!»

Diese Argumentation ist so abwegig, dass sie keine Antwort verdient. Aber weil ich der Ansicht bin, dass man Unsinn am besten mit Sachlichkeit bekämpft, hier trotzdem ein rationaler Einwand:

Die Schweiz hat 2018 fast 82 Milliarden Franken für das Gesundheitswesen ausgegeben. Corona ist nicht die erste Krankheit, die in diesem Land bekämpft wird. Auch gegen Herzinfarkt, Krebs, Diabetes, grippale Infekte, Alkoholismus, Unfallverletzungen tun wir einiges. Wir versuchen, Drogenkonsumenten und psychisch Kranken zu helfen. Wir lassen Gewaltverbrechen nicht einfach geschehen.

Und wir sind nicht so schlecht darin zu verhindern, dass jemand in der Schweiz an Hunger und Durst sterben muss. Wir sind nicht immer erfolgreich. Aber das heisst nicht, dass wir es nicht probieren.

Und was den Hunger und den Durst angeht, darf man geteilter Ansicht sein, ob unsere Anstrengungen global gesehen ausreichen. Aber das ist eine andere Frage.

«Aus Angst vor dem Tod das Leben ausblenden»

Leser Jürg Rückmar erklärt, wir würden aus Angst vor dem Tod diesen aus unserem Leben ausblenden, und er fährt in seiner Argumentation fort: «Doch auf einmal ist der Tod wieder allgegenwärtig. Mit erschütternden Bildern wird er an uns herangetragen. Damit können wir nicht umgehen. Wir isolieren uns, verschanzen uns hinter Masken, verdächtigen jeden, der uns begegnet, denn er könnte den Tod zu uns bringen. Kinder sind nun eine Gefahr, alte Menschen bleiben isoliert, bis sie sterben. Um dieser Angst, der Konfrontation mit dem Thema Tod scheinbar zu entrinnen zu können, lassen wir alles über uns ergehen.»

Diese Behauptung ist genauso abwegig. Wir tragen die Masken nicht aus Angst vor dem Tod, sondern um keine Viren zu verbreiten. Die Masken sind ein Schutz für den Fall, dass wir uns infiziert haben und bereits ansteckend sein könnten, das aber wegen der langen Inkubationszeit selbst noch nicht bemerkt haben. Das ist eine reale Massnahme gegen eine echte Gefahr. Und nicht bloss Ausdruck unserer Unfähigkeit, uns dem Tod zu stellen.

Man kann die Widersprüchlichkeit des Beitrags auch aufzeigen, indem man darauf hinweist, dass der Autor im Titel nicht aufs Leben verzichten, im Lauftext aber an Corona sterben können will.

Ich habe meinen Facebook-Freund, der diesen Beitrag gepostet hat, darauf angesprochen, dass niemand wegen der Corona-Schutzmassnahmen «aufs Leben verzichten» müsse. Und auch wenn ich es kaum glauben kann, dass man eine solche Selbstverständlichkeit überhaupt aussprechen muss, so habe ich es trotzdem getan:

Eine Maske zu tragen, ist eine kleine Unannehmlichkeit, die jeder vernünftige Mensch klaglos hinnimmt – weil es ein winziger Preis dafür ist, dass wir nicht zum Überträger einer Krankheit werden, die einen anderen Menschen für lange Zeit schädigen oder sogar töten kann.

Diese Jammerei bringt niemandem etwas

Und ich habe meinem Facebook-Freund deutlich gesagt, dass ich es sinnlos finde, wenn er solche Beiträge postet. Wir müssen diese Masken jetzt tragen. Deswegen zu jammern, bringt niemandem etwas.

Die Antwort meines Facebook-Freundes war bezeichnend: «Es ist gar kein Gejammer, sondern einfach ein erweiterter Blick auf Gedanken Andersdenkender. Und dieser hat noch niemandem geschadet.»

Die Argumentation meines Facebook-Freundes kennt man aus den Kreisen der Verschwörungstheoretiker und -mythiker: «Wir erweitern den Horizont, stellen Fragen – und leisten damit Denkanstösse.» Die implizite Aussage ist, dass niemand etwas gegen solche Denkanstösse haben kann, weil man sich sonst dem Denken gänzlich verweigern würde.

Aber gerade dieses Beispiel zeigt, wie falsch diese Argumentation ist. Es ist möglich, dass dieser Beitrag jemanden darin bestärkt, keine Maske zu tragen. Diese Person, die sich nun der Maskenpflicht verweigert, kann im Fall einer eigenen Infektion Leute anstecken, die mit der Maske nicht angesteckt worden wäre. Das sorgt für eine weitere Verbreitung des Virus und allenfalls auch zu zusätzlichen, schweren Krankheitsverläufen oder Todesfällen.

Und ja, jeder, der keine Maske trägt, muss das für sich selbst verantworten. Doch ich verlange von meinem Facebook-Freund und auch von Medien wie «Linth24», die solche Meinungen verbreiten, eine klare Stellungnahme. Sie müssen das Risiko explizit mittragen und dürfen sich nicht hinter Formulierungen wie «ein erweiterter Blick hätte noch niemandem geschadet» verschanzen.

Was ist eigentlich von Linth24 zu halten?

Damit sind wir zurück bei der Ausgangsfrage: Was muss man von «Linth24» halten? Nimmt dieses Online-Medium seine Verantwortung wahr?

Bei persoenlich.com lese ich, dass seit März 2020 Sibylle Marti Chefredaktorin ist. Sie war beim SRF Redaktionsleiterin und Produzentin und müsste das Handwerk daher beherrschen. Auch ihren Vorgänger Mario Aldrovandi kenne ich vom Radio und habe ihn dort als verlässliche Stimme kennengelernt. Vielleicht ist es nur ein Ausrutscher?

Das kommt heraus, wenn «Linth24» etwas abschreibt, das der «Blick» aus dem «Wall Street Journal» abgeschrieben hat.

Leider nicht. Der gleiche Facebook-Freund hat schon vor einiger Zeit den Beitrag Wall Street Journal: «Massnahmen tödlicher als das Virus» gepostet. Die Aussage im Lead doppelt nach: «Es würden mehr Menschen wegen der Corona-Massnahmen als wegen des Virus sterben.»

Bei diesem Beitrag fällt auf, dass «Linth24» sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hat, den Originalbeitrag zu lesen und zu zitieren, sondern beim «Blick» abgeschrieben hat. Das so nichts Vernünftiges herauskommt, liegt auf der Hand.

Eine tendenziöse Zusammenfassung

So, wie «Linth24» den WSJ-Bericht zusammenfasst, muss man unweigerlich zum Schluss kommen, dass die Massnahmen kontraproduktiv waren und sind. Doch das ist nicht, was im Originalbeitrag steht. Der Titel lautet Death Toll From Covid-19 Pandemic Extends Far Beyond Virus Victims. Das besagt, dass das Virus nicht nur direkt, sondern auch indirekt Todesopfer fordert; beispielsweise durch verschobene Operationen oder Herzattacken.

Es wird aber auch erwähnt, dass die Massnahmen auch Todesfälle in anderen Bereichen verhindert haben und dass man eine endgültige Bewertung wohl erst in Jahren wird treffen können. Und das geht aus dem Text hervor – auch wenn man es noch klarer hätte ausdrücken dürfen: Ohne die Massnahmen hätte das Virus viel mehr direkte Todesopfer gefordert. Aber natürlich wären die Kollateralschäden bei überfüllten Krankenhäusern ebenfalls noch viel grösser gewesen.

Darum ist die implizite Botschaft von «Linth24» falsch und der Beitrag in dieser undifferenzierten Form verantwortungslos. Und ja, auch der «Blick» bekleckert sich mit seiner Zusammenfassung nicht mit Ruhm. Sie ist oberflächlich, sensationslüstern und reines Clickbaiting.

Fazit: Was dieses Online-Medium hier tut, ist schlechtes Handwerk. Das ist in normalen Zeiten dem Ruf des Journalismus nicht förderlich. Doch während einer Pandemie ist es fatal – vor allem, wenn man sich eigentlich in der seriösen, unideologischen Ecke positionieren möchte.

Solche Schludrigkeiten sind nicht akzeptabel

Tatsächlich: Im Vergleich ist der Umgang mit den «alternativen» oder den weit an den Rändern positionierten Medien einfacher. Die kann und darf man ausgrenzen. Doch ein Regionalmedium wie «Linth24», das bei vielen anderen Themen (wahrscheinlich) gute Arbeit leistet, ist das nicht möglich.

Darum darf man sich auch als kleine Onlineplattform Schludrigkeiten wie diese beiden Artikel nicht erlauben. Und wir Nutzer von sozialen Medien müssen Beiträge kritisch prüfen, egal aus welcher Quelle sie stammen.

Beitragsbild: Kein Drama – wirklich nicht! (Anna Shvets, Pexels-Lizenz)

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