Etwas dürftige Auswahl, ein bisschen wenig Herzblut

In der Tolino-App der deutschen Buch­verleger gibt es jetzt auch Hörbücher. Ich habe mir das Ange­bot und die Ver­pac­kung angeschaut und komme trotz eines grossen Sym­pa­thie­bonus­ses zum Schluss, dass sie nicht mit Audible mit­hal­ten kann.

Ich habe neulich versprochen, das Hörbuch-Download-Angebot von orellfuessli.ch, inklusive Tolino-App (für iPhone/iPad und Android) näher anzusehen. Und dieses Versprechen wird jetzt hier sogleich eingelöst.

Gediegene Optik und Gamification-Schnickschnack: An der Audible-App müssen sich die anderen messen.

Doch vorab noch eine Bemerkung für Leserinnen aus dem übrigen deutschsprachigen Europa: Es gibt ähnliche Angebote auch in Deutschland, zum Beispiel bei Thalia.de bzw. thalia.at. Orell Füssli und Thalia haben hierzulande 2013 ein Joint Venture gestartet, der Name Thalia ist 2015 verschwunden. Die Webseiten sehen sich so ähnlich, dass wohl das gleiche CMS dahintersteckt und die Unterschiede auch sonst nicht allzu gross sein dürften. Die Tolino-App lässt sich in der Schweiz mit Orell Füssli und Weltbild nutzen, in Deutschland mit Hugendubel, Thalia, Weltbild, eBook.de, Bücher.de, Meine Buchhandlung, Mayersche und Osiander.de und in Österreich mit Thalia und Weltbild.

Der Webshop ist zu langsam

Also, die Website von Orell Füssli macht im Vergleich zu Audible einen trägen Eindruck, was das Schmökervergnügen leider schmälert. Die Reaktionszeit eines Online-Shops ist ein ganz wesentlicher Faktor fürs Vergnügen – zusammen natürlich mit der Vielfalt des Angebots. Das ist bei Orell Füssli nicht überwältigend. Die Anzahl Titel ist bei den Unterkategorien angegeben. Ich habe sie aufsummiert und bin auf 11’013 Titel gekommen.

Bei «Krimis & Triller» gibt es mehrere Tausend Hörbücher zum Download. Bei den anderen Kategorien sind es oft nur eine Handvoll.

Die Kategorie «Beliebte Sprecher» müsste man wahrscheinlich abzählen, weil sie sich mit den anderen überlappt. Dann kommt man noch auf 9851 Hörbücher, die es zum Download gibt. Und auch bei anderen Kategorien (Englische Hörbücher, Fremdsprachige Hörbücher) dürfte es Doppelungen geben.

Audible lässt sich nicht auf Zahlen behaften

Ich wage jedenfalls die Behauptung, dass das deutlich weniger ist als bei Audible. Obwohl ich auch das Angebot bei Audible zahlenmässig nicht genau einschätzen kann: Die Amazon-Tochter geht mit der Zahl von 200’000 Titeln hausieren. Aber es bleibt offen, wie sich dieses Angebot nach Sprachen aufschlüsselt.

Bei meinem Test des Hörbuch-Angebots von Google habe ich stichprobenartig nach den zuletzt gehörten und hier besprochenen Hörbüchern gesucht. Das Resultat war ein klarer Fall für Audible. Und das ist hier nicht anders:

Casino Royale von Ian Fleming ist für teure 61.90 Franken als Hörbüch auf CD erhältlich, jedoch nicht als Download. Artemis von Andy Weir gibt es als E-Book, als Taschenbuch und als Hörbuch in Form einer MP3-CD (23.90 Franken), aber eben nicht zum Download. Unklar ist die Sache bei Paradox Bound von Peter Clines: Das ist tatsächlich als «Hörbuch (Digital)» erhältlich (28.90 Franken), wobei ich zweifle, dass diese Bezeichnung wirklich für einen Download steht. Wenn man ihn anklickt, wird als Lieferfrist «Versandfertig innert 3 Wochen» angegeben, sodass man wohl doch irgend einen Datenträger erhält. Underground Airlines von Ben Winters gibt es wiederum als CD (66.90 Franken), aber nicht als Download. Damit schneidet Orell Füssli gut ab, wenn gewillt ist, noch CDs zu kaufen.

Audible bleibt alternativlos

Doch bei den Downloads ist das Angebot noch schlechter als bei Google. Und da ich englische Bücher gerne im Original höre, fällt es für mich komplett durch. Die Zahl der englischsprachigen Hörbücher zum Download wird mit 140 angegeben. Für mich bleibt es dabei: Audible ist alternativlos.

Für Fans deutschsprachiger Hörbücher hängt es sehr vom Genre ab, ob man mit der Auswahl zufrieden ist. 912 Titel bei «Science-Fiction und Fantasy» sind eher wenig, aber mit 6427 Titeln bei «Krimis & Triller» ist man ordentlich bedient.

Für meinen Test habe ich ein möglichst günstiges Buch aus dem Bereich «Krimis & Thriller» gesucht. Da gibt es eine Reihe von Sherlock-Holmes-Titeln, aber weil ich mir vor einiger Zeit günstig Sherlock Holmes: The Definitive Collection, gelesen von Stephen Fry besorgt habe, wäre das etwas redundant. Immerhin gibt es ein paar schöne Bücher von Agatha Christie. Die würde man zwar auch lieber in Englisch hören, aber trotzdem wird es Sie kamen nach Bagdad für 8.40 Franken.

Der Webplayer ist spartanisch…

Nach dem Kauf werde ich über mein Konto zu webreader.mytolino.com, wo ich das Buch vorfinde und online hören oder herunterladen kann. Der Download klappt problemlos: Die MP3-Dateien sind in ein ZIP-Archiv verpackt. Sie haben einen kryptischen Dateinamen und einigermassen vernünftige Metadaten, namentlich Titel, Album und Künstler. Dass unter Genre «Other» eingetragen ist, stört mich als Metadaten-Pedant allerdings ein wenig. Und bei «Kommentar» hätte man statt «Agatha Christie Limited» auch eine Kurzbeschreibung reinmachen können. Schade auch: Nirgendwo in den Metadaten ist die Sprecherin, Susanne Schroeder, angegeben.

Audiobook Builder müsste einspringen

Kurz: Ich würde mich genötigt sehen, das Hörbuch noch kurz durch Audiobook Builder zu jagen. Das Programm nutze ich seit annähernd zehn Jahren. In der Kummerbox vom 15. Februar 2010 habe ich es wie folgt beschrieben:

Wenn Sie es noch komfortabler wollen, verwenden Sie zum Kopieren der Hörbücher den Audiobook Builder. Er nimmt alle Einstellungen automatisch vor und kopiert das ganze Hörbuch als eine einzige Datei im platzsparenden AAC-Format. Die Einteilung in Kapitel bleibt erhalten, weil das AAC-Format Kapitelmarkierungen unterstützt. Beim Rippen in MP3 gibt es pro Kapitel eine Datei, was nicht eben praktisch ist und oft auch dazu führt, dass die Kapitel in falscher Reihenfolge abgespielt werden. Audiobook Builder ist nur für den Mac für 12 Franken erhältlich: www.splasm.com/audiobookbuilder

Die gute Nachricht: Das Programm ist inzwischen deutlich billiger geworden und für fünf Franken im Mac App-Store erhältlich.

Wie auch immer: Dieser Download ist das grosse Plus von Orell Füssli. Es gibt kein DRM und keine Nutzungseinschränkung. Man kann die Bücher mit jedem Gerät verwenden, das MP3 abspielen kann. Man hat die Möglichkeit, sie zu archivieren, zu verschenken oder auszuleihen. Kurz: Man ist wirklich im Besitz der Bücher, und hat nicht bloss die Lizenz zum Hören, wie das bei anderen Angeboten der Fall ist. Ich bedauere es, dass diese grosse Stärke das Manko bei der Auswahl für mich nicht wettmacht.

Man kann sofort mit Hören anfangen

Die Tolino-App bietet zwei Möglichkeiten fürs Login: Man kann sich mit einem Code aus der App des Buchhändlers anmelden, den ich nicht habe. Es funktioniert alternativ auch mit dem Login der Buchhändler-Website. Die App entdeckt das Buch sofort und lädt Kapitel für Kapitel herunter, was den Vorteil hat, dass man schon mit Hören anfangen kann, nachdem die erste Datei angekommen ist.

… und das gilt auch für die Tolino-App.

Abgesehen davon ist die App spartanisch. Man kann die Wiedergabegeschwindigkeit nicht anpassen (was ich nicht tun würde), keinen Schlaf-Timer setzen und auch keine Lesezeichen oder Notizen verwenden. Das sind keine zwingenden Funktionen, die ich bei der Audible-App (iPhone/iPad, Android, Windows) schätze. Ebenso die Möglichkeit, zwischen Tages- und Nachtmodus zu wechseln, Bücher zu bewerten und Statistiken zu seinen Hörgewohnheiten anzusehen, kurze Clips aus Büchern über soziale Medien zu teilen und ein bisschen Gamification zu betreiben.

Das Ohr isst mit (oder so ähnlich)

Fazit: Es funktioniert und am Sync zwischen dem Webplayer und der App ist nichts zu bemängeln. Aber man kann wirklich nicht behaupten, die Tolino-App wäre sonderlich sexy. Das ist schade, wo Hörbücher eine so sinnliche Angelegenheit sind. Ich habe den Eindruck, dass nur die bei Audible wirklich erkannt haben. Sie sind, aller Kritik zum Trotz, jedenfalls mit mehr Herzblut bei der Sache.

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