Besser als Android

Windows Phone 7 Mango, getestet mit dem HTC Titan X310e: Microsoft hat innovative Ideen, die Googles Handy-Betriebssystem und manchmal sogar die iPhone-Software alt aussehen lassen.

Und fast so gut wie iOS – und in einzelnen Bereichen sogar unverkennbar besser. Das ist mein Eindruck von Windows Phone 7 Mango, das ich momentan auf dem HTC Titan X310e teste (Testgerät von HTC).

Ent- und gesperrt: Das HTC Titan mit Windows Phone 7 Mango.

Auffällig am Titan ist, wie könnte es bei dem Namen anders sein, die Grösse: Es ist anderthalb Zentimeter länger und einen Zentimeter breiter als das iPhone (132 × 71 × 10 vs. 115 × 59 × 9 Millimeter), aber nicht sehr viel schwerer (160 gegenüber 140 Gramm). Das Display ist mit 4,7 Zoll riesig – 3,5 Zoll sind es beim iPhone. Bei der Auflösung hat das iPhone die Nase vorn. Das Retina-Display zeigt 960 × 640 Pixel gegenüber 800 × 480 Pixeln beim HTC. Natürlich vermisst man die Schärfe der iPhone-Anzeige. Auf der anderen Seite macht sich beispielsweise beim Lesen von Websites die zusätzliche Displayfläche angenehm bemerkbar. Ich könnte mich, das wird mir schon nach einem Tag klar, sehr gut an ein Smartphone der Titan-Klasse gewöhnen. Es passt bestens in die Jeans und beult den Hosensack weniger schlimm aus als vermutet.

Das Titan kommt mit seinem 0815-Design von seiner äusseren Erscheinung nicht ans iPhone heran. Es macht aber einen soliden Eindruck und mir gefällt der kapazitive Home-Button – gerade auch deswegen, weil der mechanische Home-Button meines iPhone 4 inzwischen häufig klemmt. Das scheint ein bekanntes Problem zu sein, könnte beim HTC aber nicht passieren. Der Vorteil des iPhone-Home-Buttons ist, dass man ihn mit dem Daumen spürt. Der Home-Button des HTC lässt sich nicht ertasten, weswegen WP7 leicht vibriert, wenn man ihn erwischt hat.

Anzeichen von Arithmasthenie

Auf dem Titan läuft, wie angedeutet, Windows Phone 7 in der Version 7.10, die als «Windows Phone 7.5» vermarktet wird. Dazu eine kleine Randbemerkung:

Sagt mal, liebe Marketingleute bei Microsoft, habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Windows 7 ist eigentlich Windows 6.1 und Windows Phone 7.5, das, wie ich schon früher ausgeführt habe, mit Fenster, d.h. Windows überhaupt nichts zu tun hat, ist Windows Phone 7.10? Wundert es euch da nur ein kleines bisschen, dass man mit den Fingern auf euch zeigt?

Randbemerkung Ende.

Die Neuerungen in Mango lassen sich jedenfalls sehen. Wichtigste Neuerungen ist das Multitasking für Drittanwender-Apps, das nun ähnlich funktioniert wie bei iOS. Wenn der User zu einer anderen App wechselt, geht die vorherige App in den Ruhemodus. Im Microsoft-Jargon heisst das, die App werde dehydriert («dehydrated»). Kehrt der Benutzer zurück, wird die App rehydriert. Sie kann aber auch automatisch gekillt werden, falls die Ressourcen benötigt werden.

Dehydrierte Apps

Das nennt sich auch Tombstoning – es ist kein echtes Multitasking, weil immer nur eine Anwendung läuft, aber es beschleunigt den Wechsel zwischen den Anwendungen massiv und es hält den Ressourcenverbrauch unter Kontrolle. Und es gibt mehr Sicherheit, dass eine App nicht das ganze Datenguthaben aufbraucht, weil sie im Hintergrund ständig mit dem Internet kommuniziert.

Ein etwas längerer Druck auf die Zurück-Taste bringt den neuen Task Switcher zum Vorschein, der ähnlich wie der Task-Switcher des seligen (?) Web-OS’ eine Kartendarstellung zeigt. Durch einen kurzen Druck auf die Zurück-Taste wechselt man innerhalb der App zur vorherigen Anzeige und, falls man am Anfang angelangt ist, zur zuvor geöffneten App. Das funktioniert flüssig und überzeugt mich mehr als der Mechanismus des iPhone – da bringt ein Back-Button mehr Flexibilität.

Ansonsten fällt das bereits mit NoDo (Version 7.0.7) eingeführte Copy&Paste auf, das ähnlich funktioniert wie beim iPhone, mir jedoch nicht ganz so intuitiv scheint. Man tippt bei beiden Systemen ein Wort an, um die Markierung zu starten, muss bei iOS aber weniger genau zielen. Zum Einfügen von Text erscheint oberhalb der virtuellen Tastatur ein grauer Balken mit einem Einfügen-Symbol. Das Sprechblasenmenü von iOS ist funktionaler.

Sattsam bekannter Vogel

Die Live Tiles bieten mit Mango neue Möglichkeiten für Programmierer. Live Tiles, das sind die Kacheln auf dem Startbildschirm, die Informationen anzeigen – beispielsweise die Zahl der ungelesenen Mails, anstehende Termine, Portraitfotos aus dem Kontakt-Hub und schöne Bilder aus dem Foto-Hub. Das ist auch dringend nötig, denn bis jetzt werden die Möglichkeiten zu wenig ausgeschöpft.

Dritthersteller-Apps sind oft enttäuschend: Die Mondphasen-App MoonPhaser aus dem Marketplace verwendet ein statisches Vollmondbild und manchmal sogar nur eine blanke Kachel. Was man sehen möchte, wäre natürlich ein wunderschönes Bild des aktuellen Mondstandes, und vielleicht ein paar astronomische Angaben. Die Podcast-App Podcasts! könnte die neueste ungespielte Folge anbieten – tut es aber nicht, sondern hält bloss einen langweiligen Schriftzug bereit. Desgleichen die Twitter-App. Statt des sattsam bekannten Vögelchens ein Hinweis auf Mentions oder den neuesten Tweet wäre nicht zuviel verlangt.

Soweit ich sehe, nutzt vor allem Microsoft die Möglichkeiten – besonders gelungen beim Xbox-Live-Hub, in dem der eigene Avatar das Logo beiseite schiebt, um dann wiederum vom Logo aus dem Bild gedrängt zu werden. Das ist zwar eine reine Spielerei, aber eine, die einem das Gerät sofort sympathisch macht.

Und das Mitteilungscenter von iOS5 gar technisch-nüchtern aussehen lässt. Microsofts Ansatz ist der modernere, bessere Ansatz. Das Metro-UI macht das iOS-Notification Center überflüssig und stellt obendrein die zeitgemässere Metapher dar. iOS mit seiner Anordnung von Ikönchen ist noch in der Ära der Desktop-Betriebssysteme verwurzelt.

Hub ohne Flickr-Anschluss.

Etwas mehr stevejobsischer Geist

Bleibt also zu hoffen, dass die App-Anbieter diese Chance auch wirklich nutzen. Ebenfalls enttäuscht bin ich über die mangelnde Integration in die Hubs. Microsoft ist es nicht gelungen, die Dritthersteller von diesem Konzept zu überzeugen. Die Hubs sollten wegführen von der App-zentrierten Denkweise. Der Bilder-Hub beispielsweise ist dazu da, an einem Ort alle digitalen Fotos anzubieten.

Das funktioniert wunderbar mit Facebook, weil Microsoft selbst für diese Integration gesorgt hat: Unter Kontakte erscheinen die Fotos meiner Facebook-Freunde. Es funktioniert aber nicht mit der Flickr-App, die von Yahoo stammt. Die Installation der (übrigens wahnsinnig dürftigen) Flickr-App hat nun aber nicht zur Folge, dass meine Flickr-Fotos im Foto-Hub auftauchen würden. Es gibt in der Spalte Anwendungen zwar ein Flickr-Icon. Tippt man darauf, wird man zu dieser App weiterbefördert. Das ist alles. Will ich meine Lieblings-Flickr-Fotos im Bilder-Hub haben, muss ich sie erst speichern und unter Favoriten ablegen. Das ist schwach.

Die App-Hersteller spielen nicht mit

Und es liegt natürlich daran, dass den App-Hersteller nicht daran gelegen ist, dass ihre App sich so nahtlos in einen Hub einfügt, dass sie quasi unsichtbar wird. Nein, das «Branding» gebietet es, dass die Flickr-App als solche in Erscheinung tritt und vom Anwender jedes Mal bewusst benutzt werden soll. Das ist schade. Und ich fürchte, dass Microsoft die App-Hersteller nicht genügend Nachdruck aufwendet, um dem Hub-Konzept zum Durchbruch zu verhelfen. Da wünscht man sich etwas mehr stevejobsischer Geist – er hätte den Herstellern die Eier gequetscht, bis sie parieren das Konzept mit sanftem Druck schmackhaft gemacht.

Dennoch überzeugt mich das Hub-Konzept nach wie vor. Es ist verblüffend, wie schnell das Testgerät zum Leben erwachte. Sobald ich meine Windows-Live-ID eingetragen hatte, bevölkerte sich der Peoples Hub. Es tauchen fast unmittelbar Termine im Kalender-Hub auf (auch solche aus Facebook), und im Ich-Hub laufen Meldungen aus Twitter, Facebook und Windows Live ein.

Einige weitere Beobachtungen nach gut einem Tag mit Mango:

Der Internet Explorer ist noch immer ein kleiner Schwachpunkt. Er reagiert zwar flott und tut seinen Dienst. Die Schriften wirken bei iOS besser lesbar und das Rendering ist insgesamt einen Zacken runder (falls man mir die inhärent widersprüchliche Formulierung von runden Zacken verzeiht).

Avatar mit Stimmungsschwankungen

An vielen Stellen freut man sich über die Liebe zum Detail. Den Avatar im Xbox-Live Hub habe ich bereits erwähnt. Man kann ihn über die Xbox Live Extras-App anpassen, und ausserdem mit ihm allerhand Unfug anstellen. Zwischendurch lacht er, als ob man den grössten Witz aller Zeiten gerissen hätte. Schüttelt man das Telefon, fängt der Avatar an zu tanzen. Schüttelt man es weiter, fällt er flach hin. Und schüttelt man es noch einmal, wird er sauer und tritt von Innen gegen das Display, sodass das Glas springt (ähnlich wie das Gorilla-Glas meines iPhone 4 auf der Rückseite – wobei die Sprünge dort leider nicht von allein wieder verschwinden).

Eine gute Idee ist es auch, dass beim Betätigen der Lauter- oder Leiser-Taste sofort die Wiedergabe-Controls des Musik + Video-Hubs erscheinen. Auch das ist praktischer als ein Doppelklick auf den Homebutton, der beim iPhone nötig ist. Das HTC Titan hat ausserdem einen dezidierten Auslöse-Knopf. Hält man den ein bis zwei Sekunden gedrückt, erscheint die fotobereite Kamera-App. Auch das geht schneller als bei iOS5, wo man doppelt den Homebutton betätigen und aufs Kamera-Symbol tippen muss, bevor man auslösen kann.

Ein weiteres solches Detail ist die Taschenlampe – die allerdings von HTC stammt. Sie schaltet nicht nur die beiden hellen LEDs auf der Rückseite des Telefons ein, sondern morst auch SOS, falls das mal nötig sein sollte. Und, nochmals ein Verdienst von HTC, ist der Umstand, dass man das Telefon über ein hundskommunes Mini-USB-Kabel lädt und synct.

Qu’est ce que c’est dans le miroir?

Die Klingeltöne kommen sehr smooth rüber und der Oberhammer ist die Scan-Funktion der Bing-App (zu starten über den Such-Button in der rechten unteren Ecke des Telefons). Sie erkennt Text in einem Livebild der Kamera. Man kann Wörter antippen, nach denen man suchen will, und der Text lässt sich auch übersetzen.

Sie kann es (Sie, die App; es, die Fremdsprache).

Die maschinelle Übersetzung ist so gut oder schlecht, wie maschinelle Übersetzung immer ist, trotzdem bemerkenswert praktisch – und ohne, dass eine Extra-App notwendig wäre (bei iOS braucht man für Live-Übersetzungen die Word-Lens-App). In der Bing kann auch ein Suchtext diktiert werden. «Tagesanzeiger» und «Clickomania» hat die App auf Anhieb verstanden. Anstelle von «Leo Laporte» suchte sie dann aber nach «Leo Support». Was dem Tech Guy wahrscheinlich sogar gefällt.

Bleiben ein paar Dinge, die mir fehlen und die mich stören:

Ich hätte gern mehr Flexibilität bei den Kacheln. Dabei müsste ich sie noch nicht einmal individuell einfärben können, wie das manche verlangen (man kann bis jetzt nur das globale Farbschema ändern). Toll wäre, wenn man einzelne Tiles doppelt so breit oder hoch machen könnte. Das wäre praktisch für Apps oder Hubs, an denen ich ein gesteigertes Interesse habe. Könnte man beispielsweise die Mailkachel verbreitern, wäre genügend Platz für die Betreffs der drei neuesten Mails.

Keine Screenshots – für Tech-Journis und Blogger verheerend

Mich stört ausserdem, dass man nach wie vor keine Screenshots machen kann, und dass Musik + Videos unseren AAC-Podcast zwar spielt, aber weder Kapitel noch Kapitelbilder oder Links anzeigt. Ausserdem knackst es ganz übel während der Musikwiedergabe beim Wechsel zum nächsten Titel. Das dürfte aber an der Telefonhardware und nicht an der Software liegen.

Das Fazit ist: Mango ist zu einem süssen kleines Betriebssystem herangereift, dass sich auch auf dem Buckel des Titanen gut schlägt. Das iPhone steht nicht mehr alternativlos auf weiter Flur. Und wenn ich wechseln würde, dann zu einem WP7-Gerät und nicht zu Android, das mir zu wirr und chaotisch einfährt.

Was mich vorerst von einem Wechsel abhält, ist hauptsächlich und fast ausschliesslich das bessere Angebot im App Store. Auch wenn WP7 aufgeholt hat, wirkt das Angebot doch dürftig und teilweise auch ramschig. In der Kategorie Unterhaltung Top findet sich zuoberst Kamasutra Pro, gefolgt von Sexy Bomb, Frauenübersetzer und iKamasutra. Natürlich gibt es im App-Store die ominösen Furz-Apps. Aber sie sind fallen in der Masse an guten Apps weniger auf.

Top-Schrott im Marketplace.

Die meisten Apps, den grössten Buzz

Es ist und bleibt so, dass weder die Hardware noch das Betriebssystem ausschlaggebend für den Erfolg einer Mobilplattform sind. Es kommt nur auf das darauf an, was die Amerikaner gerne Ökosystem nennen. Das ist das Drumherum: Die Zahl der Apps, die Versorgung mit Multimedia-Inhalten, die Akzeptanz bei Entwicklern, Zubehörherstellern und zugewandten Orten. Und da hat Apple die Nase vorn – es gibt das grösste Angebot an den besten Apps, einen tollen Musik-Store und mit Abstand den meisten «buzz» in der Community. Das wird mich vorerst bei der Stange halten (genauso wie der Umstand, dass mein Vertrag noch zehn Monate läuft).

Trotzdem ist WP7 eine gute Alternative –weniger für eingefleischte iOS-Nutzer, als vielmehr für die Leute, die ein Smartphone wollten und ein Android-Telefon bekamen. Ohne Zweifel ist Android ein tolles Betriebssystem für Leute, die wissen, was sie tun und die etwas davon haben, dass sie ihr Teil rooten oder den Standard-Launcher durch ADW oder LauncherPro ersetzen können. Für die Leute, die mailen, facebükeln, surfen und Musik hören – und vielleicht ab und zu sogar ein Telefonat führen wollen, ist Android zu wirr, zu komplex und zu uneinheitlich. Windows Phone 7 stellt für diese grosse Gemeinschaft die bessere Wahl dar.

Daher müsste WP7 eigentlich den Marktanteil haben, den heute Android besetzt. Und iOS und Android könnten – um es überspitzt zu formulieren – den verbleibenden Nerd- bzw. Fanboy-Markt unter sich ausmachen.

Kommentar verfassen