The Handmaid’s Tale (Amazon Affiliate), zu Deutsch «Der Report der Magd» (Amazon Affiliate) ist eine bei Amazon Prime zu sehende Serie. Aber vor allem auch einer der grossen dystopischen Zukunftsvisionen, die von manchen im gleichen Atemzug mit George Orwells 1984 genannt wird.
Das Buch von Margaret Atwood ist von Audible 2017 neu aufgenommen worden, und zwar mit Claire Danes als Sprecherin und als Stimme von Offred. Es gibt am Ende ein Nachwort von Margaret Atwood, das sie selbst liest. Und das letzte Kapitel zum Symposium, an dem Forschungsergebnisse zu der Gilead-Periode präsentiert werden, ist als Hörspiel inszeniert. Das ideale Ferienprogramm, also!
Braucht es eine inhaltliche Zusammenfassung, oder kennt hier schon jeder die Geschichte? Wie Atwood im Nachwort erklärt, kam die Inspiration zum Buch aus der Bibel: Rahel, eine der wichtigeren Figuren aus dem alten Testament, hat wegen ihrer Unfruchtbarkeit ihren Mann Jakob mit der Magd Bilha ein Kind zeugen lassen.
Da in den postapokalyptischen USA viele Männer und Frauen steril sind, wird die biblische Geschichte zur Staatsraison umfunktioniert. Die herrschende Klasse vermehrt sich mithilfe ihrer Dienerinnen fort, während den Frauen jegliche Rechte aberkannt wurden. Sie dürfen kein Geld mehr besitzen, nicht mehr arbeiten und die Eheversprechen, die sie einem Mann gegeben haben, sind null und nichtig. Kinder aus diesen annullierten Ehen werden von hochrangigen kinderlosen Paare adoptiert. Auch Offred weiss nicht, was aus ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter geworden ist.
Hausarbeit, Einkaufen und sich schwängern lassen
Der wesentliche (und nebst Hausarbeit wie Einkaufen) Daseinszweck einer Magd ist es, den Fortbestand der Sippe zu sichern. Dazu gibt es eine bizarre Zeremonie, in der das Oberhaupt der Familie versucht, mit der Magd ein Kind zu zeugen. Diese Zeremonie findet bei voller Beleuchtung und in Anwesenheit der Ehefrau statt – aber die steht nicht nur daneben, sondern hält die Magd zwischen ihren Beinen.
Das wird im Buch eindringlich geschildert – und ist deswegen erträglich, weil Offred, die Magd, als Ich-Erzählerin nie die Hoffnung verliert. Sie ist zwar keine Aufständische, die sich in einem Befreiungsschlag gegen die Unterdrückung auflehnt – aber sie hält mit kleinen Gesten der Auflehnung dagegen. Eindrücklich die Szene, wie sie ihre Wirkung auf die jungen Wächter geniesst, die in dieser Welt zwar besser dran sind als die Frauen – aber nichtsdestotrotz Opfer sind:
The one with the moustache opens the small pedestrian gate for us and stands back, well out of the way, and we pass through. As we walk away I know they’re watching, these two men who aren’t yet permitted to touch women. They touch with their eyes instead and I move my hips a little, feeling the full red skirt sway around me. It’s like thumbing your nose from behind a fence or teasing a dog with a bone held out of reach, and I’m ashamed of myself for doing it, because none of this is the fault of these men, they’re too young.
Then I find I’m not ashamed after all. I enjoy the power; power of a dog bone, passive but there. I hope they get hard at the sight of us and have to rub themselves against the painted barriers.
In der rigiden Theokratie der Gileads ist Selbstbefriedigung, genauso wie jeder unkeusche Gedanke, eine Sünde. Und darum weiss Offred genau, dass ihr kleiner Hüftschwung ein grosses moralisches Dilemma zur Folge haben wird.
Keine Dystopie – alles ist schon da gewesen
Das klingt alles verstörend, weil es keine Dystopie ist, sondern alles schon dagewesen ist. Margaret Atwood sagt in ihrem Nachwort nämlich, alle Versatzstücke ihrer Geschichte seien in der Menschheitsgeschichte schon einmal dagewesen. Und ja; wir wissen, dass Frauen in Saudi Arabien einen Vormund haben müssen, der wesentliche Entscheide für sie trifft – und dass Frauen seit einigen Jahren Autofahren dürfen, eine gewisse Erleichterung, aber vor allem auch ein PR-Stunt von Mohammed bin Salman, der gerne den Wüsten-Hipster gibt, aber den Beweis echter Reformen noch schuldig ist.
«The Handmaid’s Tale» wurde 1985 fertig geschrieben und hat den Test der Zeit nicht nur überstanden, sondern ist noch dringlicher geworden. Religiöser Fundamentalismus gehörte zwar schon immer zum Fundament der USA; doch heute, wo ein moralisch über keinerlei Zweifel erhabener Präsident mit den Evangelikalen paktiert, scheint die Republik Gilead nicht undenkbar. Abgesehen davon haben auch in Europa Kräfte Auftrieb, die sich noch so gerne eine Gesellschaft ausmalen, in der die Frauen nichts zu sagen und nichts zu wollen haben – in dem sind sich viele der Extremisten einig.
Ich fand «The Handmaid’s Tale» eindrücklich – obwohl ich nur schwer in die Geschichte hineingefunden habe. Das liegt an der radikal persönlichen Erzählperspektive. Die ist in der Geschichte wohlbegründet: Offred, die Magd, hat nur ihre Froschperspektive: Sie erlebt die «Ausbildung» im Rachel und Leah-Umerziehungszentrum, die Zeremonie mit dem Kommandanten, der nach einer gewissen Zeit einen Annäherungsversuch unternimmt, sowie Einkäufe und den Arztbesuch – und das ist noch so eine Szene, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Der Arzt schlägt nämlich vor, die Sache mit der Schwangerschaft für sie zu regeln; kann sein sexuelles Eigeninteresse aber nicht ausreichend verbergen.
Aus vielen Bruchstücken wird eine Geschichte
Jedenfalls verschwimmen in der Erzählung Vergangenheit und Gegenwart, und man erfährt die Geschichte bruchstückhaft. Viele fürs Verständnis wichtige Details werden nebenbei eingeflochten. Das gibt einem als Zuhörer das Gefühl des Ausgeliefertseins. Aber es macht das Buch auch nicht gerade zu einer leichten Sommerlektüre.
Atwood lässt ihre Hauptfigur Offred diese Erzählweise explizit thematisieren: Sie sagt, dass sie fragmentarisch erzählt und sie liefert von manchen Ereignissen mehrere Versionen. Die Treffen mit Nick, dem Chauffeur, die dazu da waren, die mutmassliche Zeugungsunfähigkeit des Kommandanten zu kaschieren, arten zu einer Affäre aus, die Offred unangenehm ist, wie sie selbst zugibt – und einräumt, dass sie Informationen auslässt und Ereignisse nur näherungsweise erzählt.
So bleibt vieles im Vagen. Das normale Leben von Offred – deren richtigen Namen der Leser nie erfährt, weil sie nun nur noch als Besitz des Kommanders Fred bezeichnet wird – gehört dazu: Das taucht immer mal wieder in Rückblenden auf, doch bloss verschwommen, sodass man als Leser gefordert ist sich auszumalen, wie die Verwandlung von der freien Frau zur Frau im Besitz eines fremden Mannes abgespielt haben mag – eines Mannes, der in dieser Diktatur so mächtig ist, dass er sich es erlauben kann, sich nicht an die Regeln zu halten.
Ich hätte mehr über das Leben in Gilead erfahren
Fazit: Ein starkes Buch – auch wenn es mir schwergefallen ist, die Beschränkungen zu akzeptieren. Ich hätte gerne mehr vom Leben in Gilead erfahren – davon, was der Kommandant so treibt, was in anderen Ländern los ist, wie die Welt auf den Untergang der Vereinigten Staaten reagiert hat. Aber es gehört zur zwingenden Logik dieses Buchs, mir alle diese Informationen vorzuenthalten. Weswegen ich nun ein drängendes Bedürfnis nach einer neuen, anderen Dystopie verspüre…
PS: Ich habe weder die Verfilmung von Volker Schlöndorff noch die Hulu-Serie gesehen. Mein Eindruck ist, dass beide expliziter sind als das Buch – und dass das keine Stärke, sondern eine Schwäche ist.
Beitragsbild: Janine, eine der Mägde aus der Hulu-Verfilmung (Hulu Press).