Was hätte Immanuel Kant dazu gesagt?

Das «Vertical Video Syndrome» klingt nach einer schlimmen Krankheit, besagt aber nur, dass es salonfähig wird, Videos hochkant zu drehen. Die Horizon Camera-App löst das Problem.

Was hätte Immanuel Kant wohl über die Gewohnheit vieler Handyfilmer gesagt, ihre Aufnahmen vertikal zu drehen? Nicht viel, nehme ich an, denn als Philosoph und Aufklärer hätte er Besseres zu tun. Und ich erwähne ihn auch nur, weil mir neulich auf Facebook ein Scherzchen begegnet ist, das ich am Ende des Beitrags eingefügt habe. (Jawohl, mit so perfiden Methoden bringe ich euch dazu, meine Beiträge bis zum Ende zu lesen.)

Obwohl das Scherzchen reichlich müde ist, musste ich sehr lachen. Und wo wir mit Kant im Zeitalter der Vernunft angelangt sind, gilt es festzuhalten, dass es wirklich fast gar keine Gründe gibt, seine Videos aufrecht zu filmen. Das Vertical Video Syndrome klingt wie eine Krankheit, ist schon längstens ein Meme und eine Landplage sondergleichen.

Leute filmen, so wie sie das Handy halt gerade halten

Es hat damit zu tun, dass die Leute halt so filmen, wie ihnen ihr Smartphone gerade in die Hand gekommen ist – und das ist typischerweise aufrecht. Man kann es so schön in einer Hand halten. Im Querformat muss man schauen, dass es einem nicht aus der Hand fällt. Man neigt dazu, mit seiner Hand einen Teil des Bildes zu verdecken. Und eigentlich müsste man sein Gerät mit beiden Händen halten – was aber fast schon so aussehen könnte, als ob man diese Filmerei beruflich macht.

Jedenfalls ist es eine kontroverse Angelegenheit. Manchen treiben die vertikalen Videos die Zornesröte ins Gesicht – zum Beispiel einem nicht namentlich genannten Videoproduzenten, der in einem ebenfalls nicht namentlich genannten grossen Schweizer Medienkonzern ein Rundmail losliess, dass man ihm mit solchem Material nicht unter die Augen treten dürfe.

Wenn Aliens das Bundeshaus zerstören, sehen wir uns das auch als Hochkant-Video an

Es versteht sich von selbst, dass er eine Ausnahme machen würde, wenn man im falschen Format gefilmt hätte, wie ein unidentifiziertes Raumschiff das Bundeshaus an den Traktorstrahl hängt. Oder wenn die gesamte Landesregierung im Baströckchen auf dem Bundesplatz Lambada tanzt – oder was auch immer der Modetanz von 2019 ist.

Andererseits gibt es auch Leute, die das Hohelied auf vertikales Video singen. Es sei die Zukunft, wird hier behauptet. Weil man Personen wunderbar einmitten kann und nichts von ihnen ablenkt. Weil sich diese Clips hervorragend am Smartphones konsumieren lassen. Und weil man sich, wenn man es nicht allzu ideenarm anstellt, den Nimbus des Innovators geben kann.

Judith Steiner, die das ganze beruflich macht und obendrein ein lesenswertes Blog zu Video und Videoproduktionen unterhält, gibt sich jedenfalls diplomatisch:

Wenn du ein Video auf deinem Smartphone drehst und dieses später bestimmt auch nur auf deinem Smartphone anschaust, ist Hochformat okay. Wenn du es jedoch auf einem anderen Medium anschauen möchtest, benutze bitte Querformat. Denn dieser «Vorhang-Effekt» mit zwei schwarzen Balken ist einfach unansehnlich.

Was mich angeht, ist es so, dass ich immer wieder Vertikal-Videos drehe. Das allerdings gezwungenermassen: Die Screencast-Elemente in den Patentrezept-Videos sind nun einmal hochkant, wenn sie Smartphone-Apps zeigen, die keine vernünftige vertikale Ansicht haben.

Horizon Camera dreht das Bild richtig

Doch natürlich kann man das Problem mit der passenden App lösen. Horizon Camera hilft, wenn man sich selbst nicht ganz traut, in einer Stresssituation richtig zu filmen (zum Beispiel dann, wenn das Bundeshaus gerade von Ausserirdischen entwendet wird). Und die App ist auch eine gute Wahl, wenn man zwar grundsätzlich mit der richtigen Ausrichtung filmt, das Handy aber manchmal unabsichtlich schräg hält.

Es gibt die App fürs iPhone und für Android. Der Trick der App ist so simpel wie genial: Sie nimmt aus dem Videobild immer einen vertikalen Ausschnitt mit geradem Horizont – denn wie man sein Telefon hält, weiss die App dank den Lagesensoren ganz genau. Man kann das Telefon sogar von der horizontalen in die vertikale Lage drehen (oder umgekehrt). Das Bild dreht sich nicht, sondern bleibt annähernd stabil.

Aus dem hochformatigen Bild wird automatisch ein gerade ausgerichteter, vertikaler Ausschnitt genommen.

Natürlich geht dieser Trick auf Kosten der Auflösung – denn noch wurde kein Smartphone erfunden, bei dem sich der Sensor immer in die Horizontale drehen würde. Das bedeutet, dass die maximale Auflösung für die Breite der Auflösung des Sensors in der Höhe entspricht, wenn man hochformatig filmt. Ausserdem muss die App aufwändige Videoberechnungen in Echtzeit vornehmen, was die Auflösung ebenfalls limitiert.

Beim iPhone 8 Plus steht für die Frontkamera (in der App als «Vorderkamera» bezeichnet) eine Auflösung von maximal 1920 auf 1080 zur Verfügung. Die Rückkamera liefert bis zu 3840 auf 2160 Pixel, also 4k. Die 12-Megapixel der Kamera gibt das allerdings nicht her – die Auflösung ist in der Höhe 3024 Pixel, sodass bei 4k interpoliert werden müsste. Aber wenn man scharfe Aufnahmen in 4k haben möchte, dann sollte man die Kamera sowieso einigermassen ruhig halten. 2k sollte abgedeckt sein – zumindest wenn die App den Sensor optimal auslesen kann.

Es geht Auflösung verloren

Die Videos jedenfalls wirken scharf, aber nicht superknusprig. Ein gewisser Schärfeverlust ist durch die Berechnung des Ausschnitts unvermeidlich. Aber besser als ein Video mit zwei fetten schwarzen Balken rechts und links ist das Resultat allemal.

Das Angebot an Filtern, die man durch In-App-Käufe noch ausbauen kann.

Wird beim Filmen im Hochformat ein querformatiger Ausschnitt genommen, dann hat das natürlich zur Folge, dass dieser Ausschnitt kleiner ist, als wenn man im Querformat filmt. Dreht man das Smartphone von vertikal nach horizontal, so behält die App den Ausschnitt bei, um ihn dann sanft zu vergrössern. Das entspricht einem Zoom weg vom Motiv. Die App macht das butterweich. Das wirkt viel angenehmer als die ruckelige Zoombewegung, die man erhält, wenn man mittels Kneif- oder Spreizbewegung auf dem Touchbildschirm zoomt.

Drei Modi

Man kann mit der App nicht nur filmen, sondern auch fotografieren. Es gibt drei Aufnahmemodi (siehe auch FAQ), die man über den Knopf links oben (mit dem angedeuteten Sucher-Symbol umschaltet:

  • Flex filmt im Querformat, mit dem beschriebenen Zoom-Effekt.
  • Mit Rotate dreht sich der Ausschnitt, er behält aber die Grösse bei, was eine engere Ansicht ergibt bzw. einer Aufnahme mit längerer Brennweite entspricht.
  • Mit Locked wird die Ausrichtung nicht korrigiert.

Über den Knopf mit dem Zahnrad wählt man bei den Smartphones mit mehreren Kameras die Kamera aus. Beim iPhone 8 ist das Tele, Wide oder Dual.

Die App stellt Filter bereit: Standardmässig sind das sechs Filter, die ungefähr das bieten, was man von anderen Apps auch kennt. Originell finde ich Sketch: Dieser Filter simuliert Druckpunkte, was ein Widerspruch in sich darstellt – aber eindrücklich aussieht.

Wenn man mehr Filter haben möchte, kann man die als In-App-Kauf erwerben. Zwei Filterpacks (Sherlock und Hollywood) stehen für je einen Franken zur Wahl. Das Premium-Pack kostet 2 Franken. Und auch wenn man seine Filter vielleicht eher bei der Postproduktion in der Schnitt-App hinzufügt, so könnte man die Filter allein deswegen kaufen, um dem Entwickler dieses originellen Produkts eine Gegenleistung zu erbringen.

Drei Tipps zum Abschluss:

  • In den Einstellungen kann man angeben, ob nach dem Filmen gleich der Teilen-Dialog erscheinen soll. Das finde ich lästig, darum habe ich die Option Teilen-Dialog anzeigen auf Nie gesetzt.
  • Und man kann festlegen, ob die Videos in der App gespeichert werden oder gleich in der Fotomediathek landen. Das tut man bei Speicherort.
  • Und nochmals zu den Videomodi: Erfreulich ist, dass man auch die Framerate einstellen kann und auch die hierzulande übliche Rate von 25 fps zur Verfügung steht. Das iPhone bietet standardmässig 25 fps leider nicht an.
Und hier noch der versprochene müde Witz zum Schluss…

Beitragsbild: Auch er könnte sein Smartphone beim Filmen noch etwas gerader halten (Neonbrand/Unsplash, Unsplash-Lizenz).

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