Das Buch The Circle (Amazon deutsch bzw. englisch) von Dave Eggers wäre an dieser Stelle schon lange fällig gewesen. Es handelt sich um ein Buch, das man mit dem Prädikat Standardwerk versehen könnte, wenn das nicht einen so arrogant-abschreckenden Beiklang hätte. Ich fühle jedenfalls immer den Impuls, einen grossen Bogen um solche Titel zu machen: Ich möchte meine Bücher nämlich nicht deswegen lesen, weil man sie gelesen haben muss. Sondern freiwillig.
Also, man muss «The Circle» nicht unbedingt gelesen haben. Aber es schadet nicht. Denn der Roman ist unterhaltsam und flüssig zu lesen. Und er lässt einen verstehen, wie Silicon Valley tickt. Dort ist bekanntlich die Tech-Industrie angesiedelt. Die hat ihre eigenen Gesetzmässigkeiten, wie wir alle wissen: Sie ist arrogant, geschichtsvergessen, selbstverliebt und kindisch.
Und so widersprüchlich, dass es an Schizophrenie grenzt. Da gibt man sich cool, bescheiden und weltverbesserisch. Doch man will diesen Planeten hier nicht nur verändern und verbessern, sondern erobern und ihm den Stempel aufdrücken. Ein anschauliches Beispiel dafür ist Steve Jobs, der gleichzeitig Hippie und Turbokapitalist war. Eine unmögliche Kombination – die bei ihm aber perfekt funktioniert hat und sein Erfolgsgeheimnis war. Menschenfreund und Psychopath in Personalunion. Ist doch klar, dass sich daraus fast zwangsläufig etwas Grosses ergeben muss.
Facebook, mit einem kräftigen Schuss Google
«The Circle» beschreibt ein fiktives Internet-Unternehmen, das eine Kombination der grossen Companies aus dem Silicon Valley darstellen soll. Für mich klingt die Schilderung mehr nach Google und Facebook, als nach HP oder Apple. Denn es geht um die Vereinnahmung des Internets und der virtuellen Sphäre – und das ist nun einmal das primäre Betätigungsfeld von Larry, Sergey und Mark, nicht von den älteren Kämpen.
Die Geschichte fängt damit an, dass Maebelline «Mae» Holland bei diesem grossen Unternehmen anheuert. Sie kommt frisch vom College und hat den Job auch dank ihrer Freundin Annie Allerton bekommen. Sie ist tief beeindruckt vom Campus: Alles ist glänzend, wohlorganisiert, eine perfekte Parallel-Welt mit eigenen Gesetzen. Der Circle ist kein schnöder Arbeitgeber, sondern eine Ersatzfamilie, die unmittelbar attraktiver wirkt als die eigene, real existierende Verwandtschaft.
Und auch wenn Mae einer relativ langweiligen Tätigkeit nachgeht – sie muss Kundenanfragen mit Standard-Antworten abfertigen –, so gefällt es ihr doch ausgezeichnet. Es ist der beste Job, den sie je hatte (naja, es ist auch ihr erster). Und sie entscheidet sich, voll und ganz im Circle aufzugehen. Das bedeutet nicht nur, den Exfreund Mercer Regalado ans Messer zu liefern, sondern auch die eigenständigen Wesenszüge aufzugeben, die sie vor dem Eintritt in dieses Wunder-Unternehmen noch gepflegt hat. (Stichwort Kanufahren.)
Es gibt diese Geschichte auch als Film – den habe ich nicht gesehen, er soll aber ein Fiasko sein.
Das Lebensgefühl der Tech-Branche, wo Unterordnung als Individualismus verkauft wird
Fazit – ohne allzu viele Spoiler: Das Buch bringt für mich den Groove der Tech-Branche hervorragend auf den Punkt. An der Oberfläche ist alles entspannt. The Circle ist ein cooler Gegenentwurf zu der Arbeitswelt der älteren Generationen, die eine Eingliederung in Hierarchien verlangen und einem gewisse Regeln aufdrängen. Die Arbeitgeber in der Tech-Branche lassen ihren Angestellten (auf den ersten Blick) ihren stolzen Individualismus: Niemand muss sich unterordnen. Der Job ist kein Job, sondern Hobby und Passion und der ganze Campus ist eine grosse Gemeinschaft, in der jeder willkommen ist.
Doch natürlich trügt dieser Schein. Mae hat knallharte Leistungsvorgaben. Sie wird ständig bewertet und auch wenn alle jubeln, wenn ihr Arbeits-Score bei sagenhaften 99 Komma irgendetwas Prozent liegt, bedeutet das, dass sich keinen Durchhänger erlauben sollte, damit er nicht etwa absackt.
Das ist erst der Anfang. Denn nicht nur die Arbeitsleistung wird bewertet, sondern auch das soziale Verhalten. Es gibt den ominösen participation rank. Er gibt an, wie sehr sich einer einbringt: mit Kommentaren, Postings, Interaktionen und allen möglichen und unmöglichen Mitteln. In der Welt des Circles sind das die Smiles, Frownes und Zings, die sich mehr oder weniger direkt als Likes, Emojis, Tweets und ähnliche Twitter- und Facebook-Handlungen übersetzen lassen.
Als Coolness getarnte Unterwerfung
Mae muss feststellen, dass sie in dem Bereich überhaupt nicht performt. Und Autor Dave Eggers beherrscht den Jargon perfekt, der an der Oberfläche nach freundlicher Unterweisung und Hilfestellung klingt, unterschwellig aber ein Zusammenschiss und eine Indoktrinierung ist. Mich hat die Schilderung sehr an das erinnert, was ich (als Besucher) bei Tech-Unternehmen wie Google schon erlebt habe. Ich will nun nicht behaupten, dass Google in gleichem Ausmass wie der Circle sektenhafte Züge an den Tag legt. Aber jedenfalls zeigt Dave Eggers anschaulich auf, wohin die relaxte Nonchalance in letzter Konsequenz führt.
Das Buch zeigt zwei Dinge nachvollziehbar auf: die Selbstverliebtheit und die mangelnde Selbstreflexion der Tech-Branche. Nichts wird hinterfragt – weil man nicht will und weil man nicht kann. Und weil man glaubt, dank der technischen Überlegenheit auch moralisch und ethisch unangreifbar zu sein. Das ist natürlich ein Kurzschluss – aber einer, für den manche Nerds mit ihrer leicht autistischen Realitätswahrnehmung anfällig sind.
Der Plot ist letztlich etwas zu wenig spektakulär. Es gibt keinen Showdown. Mae geht im Circle auf und der erobert die Welt mit seiner Vorstellung von Demokratie («Demoxie» genannt). Das Verwirrspiel um «Kalden» gibt der Geschichte zwar eine gewisse Spannung, doch der Autor macht letztlich wenig aus dieser Wendung und die kritischen Stimmen gehen am Schluss einfach unter.
Lassen Nerds wirklich alles mit sich machen?
Das greift mir doch etwas zu kurz. Ich gehe mit Dave Eggers einig, dass wir Nerds in unserer Begeisterungsfähigkeit für das technisch Machbare oft viel zu wenig kritisch sind. Dennoch halte ich die Fähigkeit für Selbstreflexion für ausgeprägter, als sie hier dargestellt wird. Der typische Nerd ist in meinen Augen auch immer ein Selbstzweifler. Und darum ist es zwar richtig, dass Tech-Konzerne zwar gerne Jubel-Veranstaltungen wie die Apple-Keynotes abhalten, die an moderne Gottesdienste erinnern.
Ich bin aber überzeugt, dass intern auch hart um Entscheide gerungen wird und Kritik erlaubt ist. Natürlich, am Schluss entscheiden dann doch Leute wie Mark Zuckerberg, und die Sache geht in die Hose. Aber es bei Weitem nicht so, dass alle Mitarbeiter bloss die Jubelperser geben, wenn …
Und an dieser Stelle gibt es ein paar Spoiler. Wer das Buch lesen möchte, sollte das jetzt tun und erst dann mit der Rezension hier weiterfahren.
… wenn ein Konzern in äusserst übergriffiger Weise nicht nur das Privatleben seiner Nutzer vereinnahmt, sondern auch das Staatswesen. Die dystopische Wendung im Roman geschieht so, dass die Mitarbeiter selbst die digitale Kontrolle des Privatlebens immer weiter vorantreiben. «Demoxie» ist Maes Vorschlag: Sie hatte die Idee, Demokratie mit den Mitteln des Circle neu zu erfinden und für alle obligatorisch zu machen. Das ist ganz im Sinn ihres Chefs, Eamon Bailey – und damit kein Zufall. Aber sie hinterfragt es nicht, weil sie dessen Mantras inzwischen verinnerlicht hat.
Die drei Mantras sind Secrets are lies, sharing is caring und privacy is theft: Geheimnisse sind Lügen, Teilen ist Anteilnahme und Privatsphäre ist Diebstahl. Man kann sich gut vorstellen, dass Mark Zuckerberg dem insgeheim zustimmen würde. Aber ich glaube nicht, dass das weitherum unwidersprochen bliebe. Darum ist der digitale Staatsstreich, wie er im Buch angedeutet wird, nicht so leicht zu haben. Und auch mit der Transparenz – das Lifelogging, das vom Circle propagiert wird – wären die Politiker und Social-Media-Nutzer in der richtigen Welt wahrscheinlich etwas zurückhaltender.
Den Klimbimb ad absurdum führen
Einen Widerspruch sehe ich schliesslich darin, dass sich die Circler zwar auch medizinisch komplettüberwachen lassen müssen, die psychische Krise von Maes Freundin Annie aber unentdeckt bleibt. Das kann eigentlich nicht sein. Hier hätte das Monitoring, gerade wegen seiner orwellschen Züge, positive Wirkungen zeitigen müssen.
Ich habe «The Circle» kritisch, aber trotzdem mit viel Vergnügen gelesen. Schliesslich ist es erlaubt und eigentlich geradezu zwingend, den ganzen sozialmedialen Klimbim ad absurdum zu führen.
Beitragsbild: Screenshot aus dem Trailer zum Film The Circle.