Adobe Allzweckwaffe für alles

Adobe Ex­press ist ein Ge­stal­tungs­werk­zeug für Nicht-Ge­stal­ter, die damit ihre gesamten kreative Arbeit er­le­di­gen sollen – gleich­gül­tig, ob das Grafik-Posts für die so­zia­len Med­ien, Flyer, You­tube-Videos oder Menü­kar­ten sind. Kann Ado­be dieses Uni­ver­sal­ver­spre­chen ein­hal­ten?

Adobes App-Portfolio als «unübersichtlich» zu bezeichnen, wäre noch geschmeichelt: Zwar wissen wir bei Photoshop, Indesign und Illustrator, was Sache ist. Aber dann wird es auch schon haarig: Wikipedia hält eine Liste mit mehreren Dutzend Produkten bereit. Die Aufzählung an eingestellten Softwareprogrammen ist eindrücklich. Und als ob das nicht unübersichtlich genug wäre, existiert auch ein weitläufiger Zoo an mobilen Apps. Rush, Spark, Photoshop Mix oder Photoshop Fix sind nur einige Spezies, die es dort gibt.

Den grössten Schindluder betreibt Adobe aber mit dem Wort «Express»: Es gibt einen Photoshop Express, der zuerst fürs iPhone angeboten wurde, dann als Web-Anwendung auftauchte, die aber wieder verschwunden ist. Bei der bestand akute Verwechslungsgefahr mit Photoshop Touch, einer Bildbearbeitung fürs Smartphone und Tablet, die im April 2021 eingestellt wurde. Ach ja, als Adobe-Nutzerin konnte man es auch mit einem Produkt namens Premiere Express zu tun bekommen. Das war eine Web-Anwendung für Video, die der erwähnten Rush-App weichen musste.

Die chaotische Produktpalette

Nebst Photoshop Express gibt es auch eine App namens Adobe Express. Das ist eine Anwendung, die im letzten Jahr aufgetaucht ist und um die es im Folgenden gehen soll.

Die Startseite – vor lauter Möglichkeiten muss man sich hier erst einmal zurechtfinden.

Sie wurde 2022 als «auf Vorlagen basierendes Web- und Mobil-Tool» mit universellem Einsatzzweck angekündigt. Sie ist als Konkurrentin zu niederschwelligen Gestaltungswerkzeugen wie Canva oder Microsoft Designer gedacht. Und natürlich ist sie auch voll auf KI getrimmt: Am 16. August hat Adobe die App zusammen mit dem KI-Werkzeugkasten Firefly für alle zugänglich gemacht.

Adobe Express kann via Browser im Web benutzt werden. Es gibt auch Varianten fürs iPhone/iPad, für Android und im Microsoft Store. Die Nutzung sei «für immer kostenlos», verspricht die Herstellerin.

Sie hält aber auch eine Premium-Variante für 11.85 Franken pro Monat bereit. Die Bezahl-Variante hat einige Extra-Funktionen. Die wichtigste scheint mir eine ausreichend grosse Zahl an Credits zu sein. Denn für die Nutzung der KI-Funktionen hat Adobe ein System eingeführt, bei dem für jede Erzeugung ein solcher Kredit fällig ist. Als Gratisnutzer haben wir 25 Credits für generative KI pro Monat zur Verfügung; mit Abo sind es 250 Credits.

Kann alles, will alles

Die App stellt uns nebst einer Startseite Für dich folgende Bereiche bereit:

  • Social Media: Hier erstellen wir Grafik- oder Bild-Posts für Instagram, Facebook, Tiktok, Youtube oder Twitter.
  • Video: Auch diese Funktionen sind für Posts in den sozialen Medien, z.B. als Instagram-Reel oder Tiktok-Video gedacht. Wir können auf die Schnelle Videos schneiden, in der Grösse ändern, mehrere Clips zusammenfügen oder zu einem GIF konvertieren. Wir haben Vorlagen und Stock-Videos von Adobe zur Auswahl. Mit dem Modul Aus Audio animieren versetzen wir Comicfiguren mittels Stimme in Bewegung.
  • Bei Foto finden wir die generativen KI-Funktionen, die wir von Firefly her kennen, also Text zu Bild oder auch die (hier besprochenen) Texteffekte. Wir können auch den Hintergrund entfernen oder die Bildgrösse ändern und es gibt Fotos von Adobe Stock und Vorlagen für Fotobücher, Desktop-Hintergründe und einige weitere Zwecke.
  • Unter Dokument gibt es die Module für klassische Gestaltungsaufgaben; also für seitenorientierte Gestaltung – gleichgültig, ob das Zielmedium ein Bildschirm oder Papier ist. Es gibt Vorlagen für Flyer, Menükarten, Broschüren, Newsletter und Rechnungen, aber auch für einen Lebenslauf oder eine Titelseite.
  • Marketing ist das Modul, in dem wir Gestaltungshilfen für Online-Werke finden: Flyer, Logos, Banner, Präsentationen, etc.
  • Generative KI ist ein Bereich, in dem wir noch einmal auf die erwähnten Firefly-Funktionen treffen.

Eine interessante Funktion verbirgt sich im Menü am linken Rand: Klicken wir hier auf Zeitplan, können wir diverse soziale Medien verbinden (Facebook, Instagram, Twitter, Pinterest und Linkedin) verbinden und die Grafikposts über eine Kalenderansicht zeitgesteuert veröffentlichen. Es ist möglich, einen Post gleich auf allen verbundenen Kanälen zu publizieren. Allerdings braucht es für die regelmässige Nutzung das erwähnte Premium-Abo.

Für Laien und Halbprofis

Damit ist die Stossrichtung klar: Adobe Express ist eine Art gestalterische Allzweckwaffe, mit der Laien und Halbprofis sämtliche Aufgaben erschlagen sollen, die sich einem als Büroarbeiter, Social-Media-Beauftragter oder Mädchen (bzw. Junge) für alles so stellen können. Statt lange zu studieren oder auf die Idee zu verfallen, Indesign, Premiere oder Illustrator aufzustarten, suchen wir flugs eine passende Vorlage, ändern Texte ab und tauschen Bilder aus – und dann ab damit in die sozialen Medien. Für diese Kanäle ist Adobe Express dann doch besser geeignet als für klassische Drucksachen.

Eine Vorlage, mit eigenen Texten versehen und leicht modifiziert.

Das Anpassen der Vorlagen ist keine Hexerei. Die Templates bestehen aus Elementen, die einzeln ausgewählt und bearbeitet werden. Wie wir es von einer Layoutsoftware gewohnt sind, können wir sie in der Grösse verändern, drehen und verschieben und natürlich in ihren Eigenschaften anpassen. Bei Textelementen tippen wir den gewünschten Inhalt, wählen Schriftart und Auszeichnung und legen bei Bedarf Füllfarbe und Kontur fest. Bildelemente können wir spiegeln, drehen, in der Deckkraft verändern oder mit einer Füllmethode versehen. Es gibt auch Farbeffekte, Korrekturen und Animationen.

Altbewährt und nicht verkehrt

Wir dürfen auch Elemente gruppieren und mittels magischer Hilfslinien ausrichten. Eine Liste am rechten Rand erlaubt es uns, die Elemente auszuwählen und ihre Stapelung zu ändern (z.B. ein Element hinter ein anderes zu ziehen). Das ist altbewährt und erfüllt den Zweck.

Am linken Rand gibt es einige Werkzeuge, um eigene Elemente hinzuzufügen:

  • Medien: Wir können Fotos, Videos und Audiodateien auswählen, vom Computer hochladen oder in der Rubrik Fotos via Firefly generieren.
  • Text: Wir fügen hier nicht nur herkömmliche Textrahmen hinzu, sondern auch Sticker und vorgefertigte Labels, Logos und Gestaltungselemente.
  • Elemente: Hier finden sich grafische Versatzstücke wie Rahmen, Pinselstriche, Cliparts, Hintergründe, Formen wie Sterne, Blumen, Herzen, Sprechblasen, Musiknoten, Smileys und Linien, Kringel, Symbole und Piktogramme.
  • Collage: In dieser Rubrik gibt es vorgefertigte Raster, mit denen wir mehrere Bilder nebeneinander, übereinander und in bestimmten Anordnungen platzieren.
  • Add-ons: Über diesen Bereich haben wir Zugriff auf Google Drive, Dropbox und diverse Zusatzfunktionen wie Attention Insight, wo mittels KI herausgefunden werden soll, wo die Nutzerinnen und Nutzer bei der Gestaltung ihre Aufmerksamkeit hinwenden werden. Es gibt auch einen Farbblindheits-Simulator und Dinge wie Clipping Mask Pro, mit denen man seine Gestaltung mittels extravaganter Schnittmasken aufwertet.

Hohe Ambitionen – aber der Konkurrenz gewachsen

Fazit: Nicht alle mögen solche Rundum-Glücklich-Pakete, also Anwendungen, die für alle Lebenslagen taugen sollen. Adobe will Layout, Bildbearbeitung, Videoschnitt, die generative KI und Animation in einem Anlauf erschlagen.

Das ist ein ambitioniertes Ziel – aber Adobe ist schliesslich nicht irgendwer, sondern ein Konzern, der unbestritten ein riesiges Know-how im Bereich der Medienkreation hat. Das macht sich auch bei Express bemerkbar: Die App interagiert mit der Creative Cloud und stellt die dort gelagerten Inhalte zur Verfügung. Wir haben auch Zugriff auf die Stock-Inhalte von Adobe, auf die Fonts und die Bibliotheken, die wir andernorts erstellt haben.

Wer auf der Suche nach einem niederschwelligen Gestaltungswerkzeug ist, sollte sich daher Adobe Express unbedingt ansehen. Ob es den Zweck erfüllt, steht und fällt mit den Vorlagen – denn um Dokumente von Grund auf zu entwerfen, ist der klassische Weg mit einer herkömmlichen Layout- oder Vektorgrafiksoftware weiterhin vorzuziehen. Mir gefallen Adobes Vorlagen im Schnitt besser als bei der Konkurrenz.

Apropos: Zur direkten Konkurrenz würde ich Microsoft Designer, Edit.org, Canva, Venngage, Design Evo, Logojoy und Piktochart zählen, die ich alle hier im Blog getestet habe. Einige der Werkzeuge setzen Schwerpunkte z.B. bei Infografiken oder Logos und sind in diesem Bereich vorzuziehen. Ansonsten ist Adobe Express keine sonderlich originelle Wahl, aber mutmasslich auch kein Missgriff.

Beitragsbild: So geht Gestaltung heute (Adobe Firefly mit dem Prompt «A robot with a brush, who paints on a huge canvas, and a small man sitting in front of a computer next to the robot»).

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