Der Edge-Browser und die Vermicrosoftisierung des Webs

Eine schein­bar harm­lose Neue­rung in Micro­softs Browser zeigt, auf welch scham­lo­sem Ego­trip sich der Soft­ware­konzern befindet. Nicht nur Edge, sondern auch Win­dows drohen zur Ad­ware zu ver­kom­men.

In Microsofts Browser Edge gibt die sogenannte Randleiste. Sie ist im Kern keine völlig dumme Idee, doch in der Praxis hinterlässt sie einen sehr durchzogenen Eindruck.

Doch bevor wir auf die Kritikpunkte kommen, eine Übersicht, was die Randspalte alles zu bieten hat. Es gibt diverse Bereiche, die beim Anklicken in der Seitenleiste am rechten Rand geöffnet werden:

  • Es gibt einen Bereich Suche, mit dem wir im ganzen Web oder aber auf der gerade geöffneten Website recherchieren, natürlich via Bing.
  • Bei Extras erscheint ein Taschenrechner und ein Konverter für diverse Masseinheiten.
  • Unter Einkaufen finden wir Schnäppchen aus diversen Shops und die Möglichkeit, Pakete nachzuverfolgen.
  • Bei Spiele stossen wir auf Online-Games von msn.com. Es gibt auch einen Bereich für den Posteingang von Outlook, für Microsoft 365 und die zuletzt benutzten Dokumente und für generative Bild-KI Image Creator.
  • Bei E-Tree pflanzen wir einen virtuellen Baum, wobei Microsoft verspricht, am Ende einen echten Baum in Kenia in die Erde zu setzen. Dazu müssen wir das virtuelle Pflänzchen aber täglich bewässern.
  • Über den Bereich Drop tauschen wir Nachrichten und Dateien mit den Mobilgeräten aus. Eigentlich eine gute Idee – nur habe ich nicht herausgefunden, wo diese Dinge ankommen. In Edge am iPhone habe ich sie nicht gefunden.

Der grösste Knopf in der Randleiste führt zu Copilot. Denn bekanntlich kennt Microsoft kein Halten mehr, wenn es um die künstliche Intelligenz geht: Überall, wirklich überall, glaubt der Konzern, KI einbauen zu müssen: in Windows, Office, Programmen wie Paint.

KI überall – auch in Bing.

Was die KI im Browser alles kann

Und hier eben auch im Browser. Der Copilot in Microsoft Edge hat drei Bereiche:

  • Unter Chat finden wir Bing Chat vor, Microsofts Sprachmodell, das seit Mai öffentlich verfügbar ist.
  • Bei Verfassen generieren wir per KI Texte, wobei wir über ein Formular die Tonalität (Professionell, Leger, Enthusiastisch, Informativ, Lustig), das Format (Absatz, E-Mail, Ideen, Blogbeitrag) und die Länge (kurz, mittel, lang) vorgeben.
  • Der Bereich Insights liefert Informationen zur geöffneten Website.
Ein Hilfsmittel für Medienkompetenz: Die «Insights».

Dieser letzte Bereich scheint mir der interessanteste zu sein: Via Insights kann der Browser beim Surfen einen echten Mehrwert bieten: Sie kann Inhalte zusammenfassen und einen personalisierten Überblick liefern. Zu grossen Websites gibt es Informationen von Newsguard, die eine Einschätzung zur Vertrauenswürdigkeit ermöglichen. Ich beurteile Newsguard zwar kritisch, dennoch steht ausser Frage, dass diese Angaben ein angewandtes Hilfsmittel zur Förderung der Medienkompetenz sind.

Wir erfahren auch etwas zum Publikum, d.h. Angaben zur Traffic-Entwicklung über die Zeit (aber ohne absolute Zahlen) und über die Herkunft der Besucher. Schliesslich gibt es auch eine Aufzählung verwandter Websites mit einem ähnlichen Publikum und eine Bewertung. Letztere krankt jedoch noch daran, dass zu den meisten Websites kaum Resultate vorliegen, weil das anscheinend ein neues Feature ist.

Microsoft Edge fördert vor allem Microsoft

Damit sind wir beim Fazit. Und das fällt vernichtend aus.

Die Randspalte lässt sich auch mit Bereichen von Drittherstellern bestücken.

Einige der Neuerungen sind nicht verkehrt. Für die Insights habe ich sogar ein moderates Lob übrig und ich finde es praktisch, dass wir eigene Elemente in die Randspalte einfügen dürfen. Zur Auswahl stehen DHL, Chefkoch, Ecosia, Reddit, Instagram, Tiktok, Facebook und diverses mehr.

Aber das Kernproblem ist nicht zu übersehen: Die Randspalte ist vor allem dazu da, Angebote von Microsoft zu promoten: Bing, MSN, Microsoft 365, Onedrive, Image Creator – und es ist sicher nur eine Frage der Zeit, dass auch Teams in der Randspalte auftaucht.

Das widerspricht diametral dem Anspruch, dass ein Browser ein neutrales Vermittlungswerkzeug sein sollte. Es muss alle Inhalte aus dem Web gleich behandelt. Ein Browser, der mich das Netz durch eine gefärbte Brille betrachten lässt, ist unbrauchbar.

Andauernde Gängelungsversuche

Und klar, man kann die Randspalte auch einklappen und ignorieren. Trotzdem bleibt das Problem bestehen, dass Microsoft eine problematische Form der Selbstbevorzugung betreibt. Edge, aber auch Windows selbst, ist dabei, zu einer Adware zu verkommen, die uns Nutzerinnen und Nutzer nicht einfach unsere Arbeit machen lässt, sondern andauernden Gängelungsversuchen aussetzt.

Könnten wir es hier vielleicht mit Greenwashing zu tun haben?

Unter dem Strich ist diese Randspalte nur ein weiteres Indiz dafür, dass sich Microsoft auf einem üblen Trip befindet, um mit nachgelagerten Diensten Geld zu scheffeln, die eigenen Produkte in den Vordergrund zu drängen und die Abhängigkeit von uns Nutzerinnen und Nutzern zu vergrössern. Es gibt noch diverse weitere Indizien:

Wer zeigt Microsoft die Grenzen auf?

Wenn wir uns daran erinnern, dass die EU-Kommission Microsoft wegen der Integration des Internet Explorers in Windows verklagt hat, dann scheint mir hier noch ein viel weitreichenderes Problem vorzuliegen. Microsoft verzahnt nicht mehr nur Browser und Betriebssystem, sondern alles mit allem – inklusive Windows, Cloud, KI und Anwendungsprogramme. Und es steht ausser Frage, dass Microsoft diese Strategie immer weitertreiben wird. Zumindest so lange, bis jemand dem Konzern die Grenzen aufzeigt.

Beitragsbild: So fühlt es sich an, mit Edge das Web zu erkunden (Adobe Firefly zum Prompt «A robot spider with a laptop on his back sitting in a huge web. Dark atmosphere with a fantasy style»).

2 Kommentare zu «Der Edge-Browser und die Vermicrosoftisierung des Webs»

  1. Die Konzentration auf einige wenige, grosse Anbieter, führt zu solchen Auswüchsen. Apple verlangt, dass Abos in Apps über ihren Store (mit satter Provision) laufen, Google zeigt bei jedem zweiten Aufruf der Galerie einen Hinweis an, wie toll doch das Abo mit mehr Funktionen wäre und Microsoft verweist an jeder Ecke auf seine Cloud.

    Da die Behörden die Browserhersteller wohl bald dazu zwingen werden, ihre Root-CAs zu hinterlegen und somit jegliche Kommunikation unbemerkt mitlesen zu können, bleibt als Browser wohl sowieso nur Firefox übrig. Das ist einer der letzten Browser, der nicht abhängig von einer Grossfirma ist und deren Dienste verkaufen will.

    Ich finde es schade, wie Microsoft für ein wenig Geld seine Reputation schädigt. Auf der Edge-Startseite findet man zwischen verlinkten Zeitungsartikeln fast nur noch unseriöse Werbung. Bestellmöglichkeiten für Medikamente gegen „Männerprobleme“, kostenlose Hörgeräte für „Einwohner des Kantons Solothurn“ und eine nicht ausgestrahlte Sendung des „Kassensturz“, in der eine revolutionäre Investitionsmöglichkeit hätte vorgestellt werden sollen. Klassischer Betrug. Soll mir niemand sagen, dass da ein oder zwei Anzeigen durch die Kontrolle gerutscht sind. Das hat System. Ich bin erstaunt, dass das in den Medien nicht mehr thematisiert wird.

    Den Bing Chat möchte ich von der Kritik ausnehmen: Diesen verwende ich recht häufig. Es ist ChatGPT mit Internetzugang und das kostenlos. Er hilft mir bei Sachen, die mittels normaler Recherche schwierig zu finden wären. So habe ich die auf einem Kinder-Xylofon vorhandenen Töne eingegeben und er hat mir gesagt, welche Stücke ich damit spielen kann.

    1. Guter Hinweis auf Google und Apple. Ja, das ist kein Phänomen, das auf Microsoft allein bezogen wäre. Die Selbstbevorzugung wird von allen grossen Tech-Konzernen praktiziert. Vielleicht muss ich das Thema mal noch mit einem etwas weiteren Horizont angehen. Bei Apple ist ja auch kein Herumkommen mehr um die iCloud. Trotzdem ist die Integration stringenter gelöst als bei Onedrive, wo Microsoft sich genötigt fühlt, einem das Ding mit dem Holzhammer schmackhaft zu machen.

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