Neulich habe ich mit Winword Schluss gemacht

Wie das so ist, am Ende einer Be­ziehung: Es kommt wahn­sin­nig viel hoch. Das ging auch mir so, als ich mich nicht nur von meiner Text­ver­ar­bei­tung ge­trennt habe, son­dern auch von ihrer gan­zen Fami­lie.

Das war eine lange Beziehung. Aber in den letzten Jahren haben wir uns sosehr voneinander entfernt, dass ich nicht mehr um eine Feststellung herumkomme: Wir haben uns zwar nicht völlig entfremdet. Wenn wir uns zufällig begegnen, schrecke ich nicht zurück. Aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass ich dich nicht mehr brauche. Und du mich auch nicht.

Ich habe viele deiner Lebensphasen mitgemacht: Du hast dich über die Jahre immer wieder neu erfunden – so wolltest du es mir und deinen anderen Benutzerinnen und Benutzern zumindest weismachen. Du hast aber vor allem dein Äusseres verwandelt und bist im Kern immer die alte geblieben. Und das scheint mir dein Problem zu sein: Die Erde hat sich weitergedreht. Aber du bist in den 1990er-Jahren stecken geblieben, wo wir uns kennengelernt haben.

Du warst so rank und schlank …

Wir haben Kontakt geschlossen, als du noch in deiner 16-Bit-Lebensphase stecktest. Deine Kindertage mit DOS und einem Text-Interface habe ich weitestgehend verpasst. Aber ich erinnere mich noch, wie rank und schlank du als Winword 2.0 warst.

So werde ich dich in Erinnerung behalten!

Nein, das soll nicht in Bodyshaming ausarten. Aber wirklich: Du hast dich von einem Programm, das auf einer Handvoll Disketten Platz hatte, zu einem Monstrum entwickelt, das um die vier Gigabyte auf der Festplatte braucht. Du wirst sagen, dass Speicherplatz dank der Cloud heute wirklich keine Rolle mehr spielt. Du magst faktisch recht haben. Aber für mich klingt das dennoch nach akuter Wohlstandsverwahrlosung.

Ein echtes Problem war auch, dass ich nur mit dir angebandelt habe, es dann aber mit deiner ganzen Familie zu tun bekommen habe: Dein Bruder Excel erlebe ich noch heute als patenten Kerl. Vielleicht gehen wir auch weiterhin sporadisch ein Bier zusammen heben. Aber deine Schwester Powerpoint ist, entschuldige bitte meine Ausdrucksweise, nichts weiter als eine nutzlose Bitch.

Mit deinem Neffen Access hatte ich gewisse Berührungspunkte. Aber er hat die Zeichen der Zeit noch viel weniger erkannt als du. So leid es mir getan hat, aber er stammt noch sosehr aus dem letzten Jahrhundert, dass ich einfach keine Zeit mehr mit ihm verbringen mochte.

Dieser perverse Onkel!

Kommen wir zum letzten und schlimmsten deiner Familienmitglieder: Deinem perversen Onkel Outlook. Du hast mir immer extrem leidgetan, dass du mit diesem fetten Taugenichts in einer Softwareschachtel stecken musstest. Und statt dass der endlich an einem Herzinfarkt tot umfällt, hat er sich klonen lassen. Er sucht das Internet heim (outlook.com) und macht inzwischen auch Office-freie Windows-Installationen unsicher. Der Teufel soll ihn holen!

Und du selbst – das Theater, dass du immer um dich veranstaltet hast. 2007 hast du meine Nerven am schlimmsten strapaziert. Du hast dein altes Menü gegen die sogenannte Multifunktionsleiste eingetauscht. Allein das Wort war so wichtigtuerisch!

Du bist etwas in die Breite gegangen, meine Freundin – und so ganz ist dein Ribbon deiner Fülle nicht mehr gewachsen.

In deinem Heimatland, den USA, hast du wenigstens einen gewissen Charme bewiesen und von Ribbon gesprochen – da konnte man an ein Haarband denken und dich irgendwie süss finden.

Du hast auch beruflich versagt

Aber Multifunktionsleiste? Ich bitte dich! Du wolltest so verzweifelt deine Seriosität im Berufsleben herausstreichen. Du als Zierde eines jeden Büros! Das Multitalent, das von den Rechnungen über die Korrespondenz bis hin zu den Strategiepapieren des Vorstands jede erdenkliche Aufgabe mit links erledigt. Dabei hast du es nie geschafft, deinen Anwenderinnen und Anwendern die allerbanalsten Dinge verständlich zu machen. Die Absatzformate! Oder, Sternesiech namal, dass man Tabulatoren oder Einzüge verwendet, aber nicht zehn Leerzeichen hintereinander setzt!

Es klingt jetzt etwas hart, aber hast du jemals gemerkt, dass dich die Leute aus Gewohnheit behalten haben? Vielleicht sogar aus Faulheit? Ist dir selbst aufgefallen, wie lange du deinen Zenit schon überschritten hast?

Du streitest das natürlich vehement ab und weist darauf hin, welche neuen Möglichkeiten sich wegen deiner hervorragenden Beziehungen zu Onedrive ergeben. Aber sorry, dieses Onedrive ist noch schlimmer als deine Bitch-Schwester Powerpoint! Es mischt sich einfach in alles ein. In hueregopferteli wirklich alles! Ich kann diese Hackfresse nicht mehr sehen, seit sie mir nun auch bei jedem Klick in Windows entgegenstarrt. Habt ihr in eurer Familie jedes Schamgefühl verloren? Diese Aufdringlichkeit ist wirklich eine Zumutung.

Warum hast du nie auf mich gehört?

Entschuldige bitte, ich wollte mich nicht so aufregen. Wir alle haben Fehler gemacht in dieser Beziehung. Ich habe es nicht geschafft, meine Bedenken in gewaltfreier Kommunikation und in Ich-Botschaften auszudrücken. Darum hast du wohl nie auf mich gehört.

Ich fand es saublöd, dass deine grösste Errungenschaft in den letzten Jahren dieses Microsoft 365 war. Du kamst dir so wichtig vor, dass du es für gerechtfertigt hieltest, jetzt monatlich Geld von uns Anwenderinnen und Anwender zu bekommen, statt dass wir eine neue Version von dir gekauft haben, wenn uns die Neuerungen überzeugt haben.

Jawohl: Du wolltest, dass wir dich für selbstverständlich nehmen. Dir wars zu blöd, uns immer wieder neu von dir überzeugen zu müssen. Aber jeder weiss, dass das mittelfristig jede Beziehung tötet.

Aber lass uns nicht im Streit auseinandergehen. Ja, ich weiss, gerade ist viel hochgekommen. Aber lass uns an die guten Zeiten denken und uns jetzt trennen, noch bevor du wieder mit dieser KI-Nummer anfängst. Ja, ich weiss, du willst lernen, künstlich intelligent zu werden und denkst, dass das bald alles verändern wird. Ja, alles wird sich verändern. Aber ohne dich.

Beitragsbild: Die schrecklich nette Office-Familie (Microsoft Image Creator).

11 Kommentare zu «Neulich habe ich mit Winword Schluss gemacht»

          1. Danke für die Antwort.
            Da alle meine Geräte von Apple sind, bleibe ich doch lieber bei Pages und Notizen.

      1. Ich liebe Beelzebub *grins*

        Ich musste ingottesnamen so Dingerchen wie Impress-Slides (sprich PPT) haben für meinen FH-Unterricht bis vor fünf Jahren. Und auf Papier ausdruckbare Skripts musste ich auch noch verfassen… Da bleibt als Alternative halt nur LibreOffice. Ich arbeite zuhause seit bald 20 Jahren mit Linux… Aber immerhin habe ich mir so lange MS vom Leib gehalten 🙂

      2. Ich schätze Libre Office und Open Office. Die Bezeichnung «Beelzebub» oben rührt daher, dass es sich wie bei Office um grosse Bürosuiten handelt. Das ist ein Konzept der 1990er-Jahre, das heute meinen Bedürfnissen nicht mehr entspricht. Optisch finde ich die Open-Source-Office-Alternativen aber noch rückständiger als Microsofts Produkt.

  1. Cool geschriebener Artikel!

    Darf ich fragen, was dich an Simplenote überzeugt hat respektive was die Vorteile gegenüber der Apple-eigenen Notiz App sind?

  2. Es kommt doch ganz auf den Anwendungsbereich an, nicht? Für einen Serienbrief z.B. kommt man fast nicht um Word oder LibreOffice herum (die Plugins für Google Docs sind bisschen shaky…). Für eine simple Präsentation geht auch Google Slides, aber für richtig gut designte Business-Präsentationen braucht es dann halt doch PowerPoint. Auch Challenger wie pitch.com bieten da noch nicht alle Funktionen.
    Aber hast schon recht – Office sollte endlich einmal uralten Ballast abwerfen und etwas abspecken. Aber nicht zu viel.

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