Ein erster Augenschein von Threads

Der Coup ist Mark Zucker­berg ge­glückt: Wie er versucht, Profit aus dem Unmut über Elon Musk zu schla­gen, ist be­mer­kens­wert. Doch hält die App, was sie ver­spricht – und ist Threads tat­säch­lich ein «Twitter-Killer»?

Mark Zuckerberg, die menschliche Kopiermaschine, hat es also wieder getan und die Gunst der Stunde genutzt. Dieses Mal hat er einen Twitter-Klon namens Threads in die Welt gesetzt.

Es gibt dieses Wunderwerk fürs iPhone und für Android, aber bislang offiziell nicht in der EU und auch nicht in der Schweiz. Das liegt wohl an den Datenschutzregeln. Das soll unsereins aber nicht von einem Test abhalten. Heise hat verdienstvollerweise beschrieben, wie wir uns die App trotzdem beschaffen: Wir können uns eine US-Apple-ID zulegen.

Ich habe den meines Erachtens einfacheren Weg gewählt und mir das APK für Android heruntergeladen und installiert. Fürs Anmelden können wir unseren Instagram-Accont verwenden (in meinem Fall: @mrclicko), der allerdings noch überprüft wird. Das war in meinem Fall etwas knifflig: Meta bietet drei Methoden an, Mail, SMS oder Whatsapp-Nachricht. Bei mir ist lediglich das SMS angekommen.

Mit den Instagram-Freunden anbandeln

Die Zeitleiste ist ein algorithmisches Tohuwabohu.

Jetzt haben wir die Möglichkeit, uns mit unseren Freunden auf Instagram zu verbinden – was sinnvoll ist: Denn auf diesem Weg beseitigen wir die ganz grosse Hürde, aus der den vielen Twitter-Konkurrenten ein beträchtlicher Startnachteil erwächst: Ohne Kontakte starten wir mit einer leeren Timeline und müssen erst mühsam Personen finden, denen wir folgen könnten, damit überhaupt etwas los ist. Bei Thread finden wir von Anfang an einige unserer Freunde: Bei mir ist eine Handvoll der üblichen Verdächtigen bereits vor Ort. Nämlich jene Tech-Journalisten, die sich keine neue App entgehen lassen.

Allerdings verwendet Threads wie die Twitter-Ansicht Für dich einen Algorithmus, der Posts von allen Nutzern anzeigt. Doch diese Auswahl überzeugt mich ganz und gar nicht: Alles belangloser Quark von Leuten, die mich nicht interessieren. Das liegt natürlich auch daran, dass Threads wie erwähnt in Europa offiziell nicht verfügbar ist. Das führt dazu, dass die Zeitleiste durch Inhalte aus Übersee und UK geprägt ist und für uns hier nicht viel hergibt.

Die Zeitleiste ist ein Chaos

Die üblichen Verdächtigen.

Nun könnten wir auf die Idee kommen, dem entgegenzuwirken, indem wir uns nur die Posts unserer Freunde bzw. den gefolgten Accounts anzeigen lassen. Aber genau diese Möglichkeit gibt es nicht. Es gibt keine chronologische, auf die eigene Blase beschränkte Zeitleiste. Das ist ein gewaltiges Manko, das Meta unbedingt schnell beheben muss. Ohne ist die App für mich annähernd unbrauchbar.

Ansonsten hat die App das, was man erwarten würde: Wir können Posts mit einem Herzchen (Like) versehen, einen Kommentar (Druko) hinzufügen, reposten (retweeten) oder zitieren oder auf Instagram in eine Story oder den Feed übernehmen. Das ist nicht revolutionär – aber das war bei einem solchen Klon auch nicht zu erwarten.

#KeineHashtags?

Jeder Post hat rechts oben ein Menü, über das wir die Person stummschalten, verbergen, blockieren und melden können. Und etwas fällt sofort auf: Es gibt keine Hashtags. Das heisst: Es gibt sie schon; manche Leute verwenden sie. Aber sie werden nicht speziell formatiert und sind auch nicht anklickbar. Ein weiteres riesiges Manko!

In der Symbolleiste am unteren Rand finden sich neben der Zeitleiste mit dem Home-Icon Knöpfe fürs Suchen, Posten, für die Aktivitäten (Benachrichtigungen) und zum eigenen Profil mit den Einstellungen. Die Suche scheint bislang nur für Personen zu funktionieren, nicht aber für Inhalte und Posts.

Die Threads gehören zum Konzept

Die Threads, also auf mehrere Posts verteilte Beiträge, gehören zum Konzept.

Warum Threads «Threads» heisst, sehen wir, wenn wir eine Nachricht verfassen: Es gibt von Haus aus die Möglichkeit, eine Botschaft aus mehreren Teilen zu verfassen. Das Limit pro Post beläuft sich auf 500 Zeichen. Über das Büroklammern-Symbol fügen wir ein Bild hinzu und es gibt die Möglichkeit, zu beschränken, wer antworten darf: Zur Auswahl stehen hier: Alle, Profile, denen du folgst und Nur erwähnte. Das ist eine Funktion, die ich nicht mag – warum, erkläre ich hier ausführlich.

Das Erwähnen funktioniert wie anderswo auch über das @-Zeichen.

Die brennende Frage ist jetzt natürlich, wie es um die Interaktion mit dem Fediversum steht. Davon ist in dieser ersten Version weit und breit nichts zu sehen – die Suche nach Mastodon-Links oder -Personen (wie @MrClicko@mastodon.social) führt ins Leere. Sollte es die postulierte Verbindung tatsächlich geben, dann manifestiert sie sich nicht. Vielleicht setzt Meta intern aufs Acitivitypub-Protokoll. Vielleicht kommt eine solche Andockungsmöglichkeit noch. Oder – meines Erachtens am wahrscheinlichsten – es war nur eine Nebelpetarde.

Dann doch lieber Mastodon!

Fazit: Threads ist nach dem ersten Augenschein eine Enttäuschung. Ich sehe den Twitter-Killer, von dem manche gesprochen haben, derzeit nicht. Diese Twitter-Kopie ist selbst für Zuckerberg’sche Verhältnisse uninspiriert. Diverse wichtige Funktionen fehlen und diese App wirkt unfertig.

Das dürfte daran liegen, dass sie das auch ist: Ich vermute, dass Mark Zuckerberg vom Unmut profitieren wollte, der letztes Wochenende über Twitter hereingebrochen ist («Häufigkeitslimit überschritten»): Deswegen kam diese App jetzt viel zu früh auf den Markt. Nun, das ist verkraftbar, wenn Meta jetzt ein strammes Update-Tempo vorlegt und zeigt, dass dieser Angriff auf die Bastion des Kurznachrichtendienstes ernstgemeint ist – dann kann das Unterfangen noch immer gelingen.

Aber es gibt viele Baustellen: Die Hashtags, die chronologische Zeitleiste, die Integration des Fediversums, die Öffnung nach Europa – von Twitter-Features wie den Spaces, den Analytics, den Listen und Lesezeichen ganz zu schweigen. Ach ja, und übers Web lässt sich Threads auch noch nicht nutzen: Auch das ist zwingend notwendig. Nicht nur für Leute, die die Plattform während der Arbeitszeit nutzen wollen, sondern auch für die Kommunikation zwischen Personen und Unternehmen (B2C).

Soll ich eine Prognose abgeben? Metas Chancen sind noch immer intakt. Aber ein bisschen mehr Herzblut braucht es schon. Denn was immer man Twitter vorwirft – woran es Elon Musk nicht mangelt, ist die Leidenschaft.

Beitragsbild: Es Gnuusch im Fadetruckli – bzw. eine akkurate Visualisierung der Timeline (snd63, Pixabay-Lizenz).

2 Kommentare zu «Ein erster Augenschein von Threads»

  1. «Es gibt keine chronologische, auf die eigene Blase beschränkte Zeitleiste.»

    Die Funktion ist angekündigt. Auch andere Dinge, die offensichtlich fehlen, sind angekündigt.

    «Die brennende Frage ist jetzt natürlich, wie es um die Interaktion mit dem Fediversum steht.»

    Die ActivityPub-Anbindung ist angekündigt. Threads läuft auf der Instagram-Plattform.

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