Wie ich lernte, dass Computer-Beherrschung überlebenswichtig ist

Ich erzähle in einigen Anekdoten, wie ich zum Com­puter­freak gewor­den bin. Spoiler: Eine Banken­pleite gehört auch dazu.

Beitragsbild: Leider nicht meiner (Heinz Nixdorf Museumsforum & Jan Braun, CC BY-NC-SA).

Neulich habe ich mich in einer nostalgischen Anwandlung gefragt, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass ich mich beruflich so intensiv mit Computern in all ihren Formen, Ausprägungen und Auswirkungen beschäftige. Die Erkenntnis war interessant genug, um darüber zu bloggen: Ich glaube, der Auslöser war eine Handvoll Aha-Erlebnisse.

Die hatten jedes Mal meine Neugierde angestachelt und mir eine neue Facette dieser vielseitigen Maschinen aufgezeigt. Das hat in mir den Wunsch geweckt, alle diese Möglichkeiten auszuloten: Das darf man sich vorstellen wie in einem Adventure, bei der auf der Mini Map am Anfang die ganze Welt von einem Schleier des Nichtwissens bedeckt ist, den wir als kleiner Spieler Schritt für Schritt vertreiben und unseren Horizont erweitern. Zu den frühesten Erlebnissen dieser Art gehört ein Freund, der noch zur Primarschulzeit einen Commodore C64 geschenkt bekommen hat. Er hat ihn fürs Gamen benutzt. Aber ich habe, wenn er gerade vor dem Fernseher hockte, mit Basic experimentiert.

IBM-PCs und Harvard Graphics

Das war eine Erleuchtung! Leider stand es ausser Frage, mir selbst eine solche Wundermaschine anzuschaffen. Das hätten meine Eltern für keine gute Idee gehalten. Aber immerhin hat mich mein Vater während meiner Schulferien einmal mit einem Bekannten zu dessen Arbeitsplatz mitgeschickt. Das muss Mitte der 1980er-Jahre gewesen sein, als der IBM-PC relativ frisch in manchen Unternehmen Einzug gehalten hatte. Auch da gab es die Möglichkeit für einfache Programmierungen: Ich war stolz wie Anton, als ich meinen Code dazu gebracht habe, einige Kreise auf den Bildschirm zu zeichnen.

Bei meinem Onkel, der in Kriens eine Bäckerei betrieben habe, sass ich während meinen Schulferien am Computer und habe irgendwelche Zahlen von Papierbelegen in eine Buchhaltungssoftware getippt. Ich habe es mir nicht nehmen lassen, das Dateisystem genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich bin dabei auf ein Programm namens Harvard Graphics gestossen, mit dem ich zwar nichts Konkretes anzufangen hatte, das aber meinen Spieltrieb geweckt hat.

Es hat auch ohne Internet Spass gemacht

Das waren alles unschuldige Annäherungsversuche, die nicht wirklich zu etwas geführt haben. Das lag daran, dass es sich nur um kurze Episoden gehandelt hat. Ich bekam es mit fremden Computern zu tun, konnte mich aber nie sosehr vertiefen, dass ich ein fundiertes Verständnis oder echte Kenntnis hätte entwickeln können. Denn ich habe sie auf eigene Faust erkundet – und natürlich ohne, dass ich mir schnell mal im Internet oder auf irgendeinem Youtube-Kanal hätte Inspiration holen können. Denn so anachronistisch das auch wirken mag: Das waren alles Offline-Maschinen damals. Das Internet gab es zwar schon, aber es war noch nicht in der Öffentlichkeit angekommen.

Ernsthaft wurde meine Beziehung am Ende meiner Mittelschulzeit – und zwar, als die alten, textbasierten Systeme durch den Macintosh SE abgelöst wurden: Eine grafische Oberfläche! Eine Maus! Und Programme, die wahre Wundertüten waren. Und endlich eine fundierte Einführung, wie man diese Geräte benutzt. Als Freifach gab es Programmieren in Turbo Pascal, und ab da war meine Leidenschaft für diese Gerätschaften nicht mehr zu leugnen. Ich hatte zwar schon vorher Spass mit meinem programmierbaren Taschenrechner – aber das war eine andere Liga.

Peek. Und Poke!

Zwischenbemerkung zum Taschenrechner: Das war der Sharp PC 1403 (in den USA EL-5500 III), der als «Scientific Computer» vermarktet wurde, und den wir während des Unterrichts für einfache Basic-Programme benutzt haben: Meine Liebe für den Goto-Befehl stammt noch aus jener Zeit – heute gehört der nicht mehr zu den bevorzugten Methoden in der Programmierkunst.

Und ich weiss noch, wie begeistert ich war, als sich auf dem Pausenhof die Befehle Peek und Poke herumgesprochen hatten: Mit denen konnte man direkt auf den Arbeitsspeicher zugreifen. Das eröffnete bei diesem Rechner die Möglichkeit, die Matrix-Anzeige direkt zu manipulieren: Statt normale Zahlen und Ziffern anzuzeigen, liessen sich Pixel-Männchen darstellen, die sich ansatzweise sogar animieren liessen. Auch diese Erfindung hat wohl Experimente ausgelöst, wie weit sich eine Matrix von 7×5 Pixeln für unanständige Kurzfilme verwenden lässt. Irritierend war indes, dass die 24 Blöcke nicht linear ansprechbar waren, sondern in einer für mich nicht transparenten Reihenfolge adressiert wurden. Das hat Animationen über die ganze Breite stark erschwert.

Wie ich Pagemaker, äh, gebackupt habe

Gemessen daran war der Mac reinste Sciencefiction. Als ich es dann mit dem Pagemaker, einem Scanner und Laserdrucker zu tun bekam, war für mich klar, dass ich mich damit intensiv auseinandersetzen wollte. So war es kein Wunder, dass ich 1996 die Gelegenheit wahrgenommen habe, dieses Ding namens Desktop-Publishing journalistisch auszuloten – was ich bis 2019 getan habe.

Die Reihe der Anekdoten wäre nicht komplett ohne die Schilderung, wie ich Ende der 1980er-Jahre ein grosses Informatik-Projekt miterlebt habe. Und zwar bis zum bitteren Ende, also dem krachenden Scheitern. Ich hatte einen Ferienjob bei der Winterthurer Hypobank. Die war dabei, das alte EDV-System durch eine Eigenentwicklung abzulösen. Ich war an der Stadthausstrasse 14 stationiert, in unmittelbarer Nähe der vielen Programmierer, die direkt aus Grossbritannien eingeflogen worden waren.

Ich habe zwar keinen eigenen Code beigesteuert, aber Testläufe am System ausgeführt und vermutlich musste ich auch Daten eintippen und Handlager-Arbeiten ausführen. Und ich habe in der Hauszeitung über das Projekt berichtet und dafür meinem Chef eine Pagemaker-Lizenz abgeschwatzt – weil eine solche Hauszeitung schliesslich ordentlich gelayoutet sein wollte. (An dieser Stelle sollte trotz mutmasslicher Verjährung unerwähnt bleiben, dass ich eine Sicherheitskopie der Installationsdisketten gezogen habe, die natürlich offsite aufbewahrt habe. Nämlich bei mir zu Hause, wo ich meinen eigenen 386er hatte, bei dem es schade gewesen wäre, wenn er ohne Pagemaker hätte auskommen müssen. Die Lizenz, das sei bemerkt, hat damals wohl um die 1700 Franken gekostet.)

Nur die halbe Wahrheit in der NZZ

Also, dieses Projekt zog sich hin und brachte immer neue Unwägbarkeiten mit sich. Im Detail kann ich die nicht mehr rekonstruieren; natürlich war ich bei den Projektsitzungen nicht anwesend, sondern habe jeweils aus zweiter Hand gehört, wo gerade wieder ein Feuer zu löschen war. Das System jedenfalls war viel zu langsam und fehleranfällig. Und als die Bank es allen Widrigkeiten zum Trotz live in Betrieb genommen hat, gab es mindestens einen Ausfall von einem halben Tag, währenddessen das Schalterpersonal nichts anderes tun konnte, als die Kunden wieder nach Hause zu schicken.

Die Hypobank wurde 1993 durch die Schweizerische Bankgesellschaft übernommen und ist 1998 mit zur UBS geworden (was dazu führte, dass ich wider Willen zu einem UBS-Konto gekommen bin, weil ich als Mitarbeiter meinen Lohn auf ein Hypobank-Konto ausbezahlt erhalten habe). Ob die Pleite mit diesem neuen Computersystem allein schuld an der Übernahme war, ist heute schwer zu sagen. Die NZZ hat am 22. März 1993 zwar von der Übernahme berichtet, aber keine Gründe angegeben:

Die Generalversammlung der Hypothekar- und Handelsbank Winterthur hat am Freitag nach angeregter Diskussion den Antrag ihres Verwaltungsrates gutgeheissen und beschlossen, das Institut per 1. April 1993 mit dem Schweizerischen Bankverein zu fusionieren und die Gesellschaft aufzulösen.

Am 15. Januar 1993 hat die NZZ ausführlicher über die anstehende Übernahme geschrieben, aber andere Gründe aufgeführt. Es ist von «erloschenem Lokalpatriotismus» der «Winterthur» die Rede, die Mehrheitseigner gewesen war, von einer «Flurbereinigung», «wachsendem Kostendruck» und einem «nicht völlig überraschenden Ende»:

Vor etwas mehr als neun Monaten veranlassten die Krise am schweizerischen Immobilienmarkt und die daraus resultierende massive Erhöhung der Rückstellungen von 4,2 Mio. Fr. auf 8,3 Mio. Fr. die damals im 126. Geschäftsjahr stehende Hypothekar- und Handelsbank Winter- thur, ihren Aktionären einen Dividendenverzicht beliebt zu machen.

Ob das die ganze Wahrheit ist, kann ich nicht beurteilen. Eine tiefere Recherche hätte meiner Vermutung nach zum Vorschein gebracht, dass das EDV-Projekt zumindest der letzte Nagel im Sarg gewesen ist. Für mich herrschte nach dieser Erfahrung jedenfalls kein Zweifel mehr, dass die Computer-Beherrschung im wortwörtlichen Sinn überlebenswichtig ist.

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