Raumklang hat sich noch nicht sehr weit ausgebreitet

Stereo war gestern, heute haben wir «Spatial Audio» – so hiess es vor einem Jahr. Ich habe nachgeforscht, was daraus geworden ist. Spoiler: nicht viel.

2021 hat Apple in Sachen Audio einen Pflock eingeschlagen: Im Sommer hat der Konzern seine Raumklang-Initiative angekündigt. Über den hauseigenen Streamingdienst Apple Music gibt es nun Musik zu hören, die in Dolby Atmos abgemischt wird. Auch andere Hersteller haben ähnliche Vorstösse unternommen; Sony zum Beispiel.

Das verspricht ein neues, viel immersiveres Hörerlebnis. Ich fand das damals spannend und habe mich gefragt, ob sich hier eine Revolution anbahnt oder Stereo nicht trotz allem gut genug ist.

Nach einem Jahr scheint mir die Zeit reif für einen Zwischenstand und die Frage, was sich seitdem getan hat.

Nun, erst einmal fällt auf, was sich nicht getan hat: Spotify hat keine Anstalten gemacht, auf den Zug aufzuspringen. Der schwedische Streamingdienst hat noch nicht einmal sein Abo für die höhere Qualität eingeführt, das Anfang 2021 angekündigt worden war. Das ist gemäss einer schmallippigen Mitteilung in den Supportseiten auf Eis gelegt worden.

Spotify macht keine Anstalten

Also bislang kein Raumklang-Engagement vom Marktführer, einem mysteriösen Patentantrag zum Trotz.

Auch sonst ist der Raumklang ein Ding für die Nische: Er lässt sich (fast) nur via Streaming nutzen; wer Atmos-Musik zum Kaufen und Herunterladen sucht, wird auf dolby.com enttäuscht.

Wer Raumklang-Musik offline hören will, muss hart im Nehmen sein.

Wer an dieser Stelle nicht aufgibt und sich bis zum norwegischen Label 2l.no durchschlägt, findet hier die Möglichkeit, einige Alben von Künstlern wie Jan Gunnar Hoff in Raumklang zu kaufen. Die Formatauswahl ist allerdings nur für Eingeweihte zu durchdringen – ein unbeleckter Anwender hat keine Ahnung, ob er nun Dolby Atmos in MP4 oder Auro-3D files (emedded in 5.1 FLAC) kaufen soll.

Nicht besser sieht es aus, wenn wir der Frage nachgehen, ob es denn Musik-Apps, Videoplayer oder Podcast-Clients von Drittherstellern fürs immersive Erlebnis gibt. Denn wenn Raumklang die breite Masse erreichen soll, müssen möglichst viele Apps entsprechend ausgerüstet sein: Nur dann kommen Nutzerinnen und Nutzer zum Zug, ohne ihre Gewohnheiten über den Haufen werfen zu müssen.

Nur wenige Apps sind dabei

Auch in dieser Frage sieht es mau aus. Eine (nicht mehr brandneue) Übersicht von macrumors.com zählt einige wenige Apps der grossen Hersteller auf (Netflix, Disney+, HBO Max, Hulu) und hat aus dem «alternativen» Bereich nur Plex zu bieten. Auffällig ist in dieser Liste vor allem, wer nicht mitmacht: Infuse (Am Apple TV ist VLC nicht die beste Wahl), Youtube, Vimeo, VLC und Amazon Prime Video.

Als einzige Ausnahme habe ich den Podcastverlag Wondery gefunden, der über seine eigene App einige Produktionen in Dolby Atmos anbietet – allerdings auch nur für die Abonnenten des Premium-Dienstes.

Warum diese Zurückhaltung bei den App-Entwicklern? Ich habe keine klare Antwort auf diese Frage. Vielleicht werden zu teure Lizenzen fällig, wenn sie Dolby Atmos oder das Konkurrenzformat MPEG-H nutzen wollen. Vielleicht ist es technisch aufwändig. Oder es handelt sich um ein klassisches Henne-Ei-Problem: Solange keine Inhalte vorhanden sind, gibt es keine Nachfrage bei der Kundschaft und keinen Druck, dieses Feature anzubieten – und so lange die Apps es nicht unterstützen, werden keine entsprechenden Inhalte produziert.

Sorgt Google dafür, dass etwas vorwärtsgeht?

Vielleicht kommt mit Android 13 Bewegung in die Sache. Es ist Mitte August auf den Markt gekommen und unterstützt Spatial Audio: Apps von Drittherstellern können Raumklang nutzen, tun das aber bislang nicht, weil gemäss 9to5google.com noch kein Telefon mitspielt.

Etwas enttäuschend, das Ganze – zumal alle technischen Voraussetzungen für ein tolles, futuristisches Audio-Erlebnis vorhanden wären. Damit dieser Beitrag nicht ganz unbefriedigend endet, hier noch die grosse 3D-Audio-Content-Übersicht von Audio-Immersions-Spezialist Martin Rieger. Sie hinterlässt zwar einen reichlich verzettelten Eindruck, ist aber doch umfangreich genug, dass man die eine oder andere spannende Entdeckung machen kann.

Beitragsbild: Musik kommt statt nur von rechts und links jetzt auch von oben und unten (Devin Avery, Unsplash-Lizenz).

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