Es geht noch schlimmer als Facebook und Google

Marc Elsberg malt sich in «Zero» aus, wie es wäre, wenn wir uns nicht nur in den sozialen Medien von Algorithmen würden bevormunden lassen, sondern auch bei all unseren Handlungen im Alltag. Und klar, das führt zu Mord und Manipulation.

Nach Blackout, Helix und Der Fall des Präsidenten komme ich nicht umhin, noch ein Buch von Marc Elsberg zu besprechen.

Sie wissen nicht nur, was du tust, sondern auch, was du vorhast.

Denn Zero be­schäf­tigt sich auf erdich­tete Weise mit Themen, die ich hier im Blog die ganze Zeit non-fik­tional behand­le: Im Zentrum stehen die grosse Daten­samme­lei im Netz, die daraus resultie­renden Manipu­lations­möglich­keiten durch die Tech-Konzerne, der Verlust der Privatsphäre – und nicht zuletzt kriegen die Medien eins auf den Deckel, weil sie in Zeiten von Livestreaming und Clickbaiting ihre journalistische Verantwortung nicht wahrnehmen.

Das Buch stammt von 2014, und das merkt man ihm deutlich an. Es ist geprägt von den Themen, die damals in der digitalen Welt ganz gross waren: Die Protagonisten sehen die Welt nur durch ihre Datenbrillen, streamen konstant live, verwenden Hashtags, als ob es kein Morgen gäbe und geben die allerpersönlichsten Daten preis, wenn dafür bloss ihr virtueller Wert bei der Internetplattform «Freemee» steigt.

Die Einflüsse sind deutlich zu erkennen: Die 2013 eingeführte Cyberbrille Oculus Rift und Google Glass von 2012, die Quantified Self-Bewegung, die zwar schon etwas älter ist, aber genau in der Zeit in der breiten Bevölkerung angekommen ist (ich kam ebenfalls 2013 auf den Trichter).

Ganz so schlimm wie bei Elsberg ist es zum Glück nicht

Zur Stimmung, unser Alltag werde nun komplett digitalisiert, hat auch die Biometrie beigetragen, die im September 2013 durch die Einführung des Fingerabdrucksensors beim iPhone im Bewusstsein der Leute angekommen ist. Im Buch ist die Gesichtserkennung auch von wildfremden Personen via Cyberbrille auch in der Öffentlichkeit gang und gäbe – was zwar technisch möglich, aber gesellschaftlich nicht akzeptiert ist.

Und wir haben uns mit Plattformen wie Klout.com oder Empireavenue.com beschäftigt, bei denen Algorithmen den Wert eines jeden Social-Media-Nutzers bestimmte. Über dieses Phänomen habe ich mich im September 2012 im Beitrag Die Machtzirkel des Internets ausgelassen.

Damit liegt das Problem von «Zero» bereits auf dem Tisch: Diese Trends, die damals spektakulär waren, sind es heute nicht mehr. Sie sind entweder alltäglich geworden oder wieder verschwunden. Das gilt vor allem für die Cyberbrillen und Augmented Reality, die von der Gesellschaft eben gerade nicht so wohlwollend aufgenommen worden sind, wie Marc Elsberg das beschreibt.

Das müsste nicht unbedingt ein Problem sein, wenn man als Leser im Vorwort nicht mit der Nase darauf gestossen würde, dass der Autor die geschilderte Entwicklung für immanent hält. Es heisst nämlich dort, das Buch erhebe «keinen Faktizitätsanspruch, obwohl reale Unternehmen erwähnt und realistische Abläufe thematisiert werden, die es so oder ähnlich geben könnte». Ein heisser Tipp für Autoren, die Near-future-fiction fabrizieren wollen: Es braucht trotz aller Authentizität genügend Abstand zur Realität, damit die Leser einen hinterher nicht für Prognosen belangen, die sich als falsch erweisen.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig, jedoch gewollt

Aber zugegeben, das Buch hat es bei mir auch deswegen schwer, weil die allererste Szene in einem Newsroom (oder Newsfloor, wie es im Buch heisst) spielt. Dort richtet sich Cynthia Bonsant von der Newsplattform «Daily» ein, wo sie von ihrem neuen Kollegen Jeff aus dem Technikressort begrüsst wird, der ihr die Cyberbrille aufnötigt.

Wir lernen auch sogleich Cynthias Chef kennen, der Anthony Heast heisst und von dem man sich an lebende Beispiele erinnert fühlen könnte. Ich werde aus naheliegenden Gründen keine Namen nennen, aber diese Figur hat mich sogleich an einen real existierenden Newsroom-Generalissmimo erinnert, der sich dadurch auszeichnete, dass er in seinem Büro ein grosses Modell eines Panzers stehen hatte, dessen Kanonenrohr auf die Tür und damit auf die eintretenden Personen zielte.

Mit anderen Worten: Auch Elsbergs Beschreibung ist akkurat genug, dass ich mich, der ich immer mal wieder in einem Newsroom arbeite, darin wiedergefunden habe – aber zu plakativ, als dass ich sie als stimmig und überzeugend empfunden hätte. Das hat mit Elsbergs Tendenz zu tun, seine Geschichten stark zuzuspitzen, wie es sich für einen Thriller-Autor gehört. Aber wie bei «Der Fall des Präsidenten» wird ein Faktizitätsanspruch impliziert, den die Geschichte nicht einlöst – was dazu führt, dass ich das Buch nur halb befriedigt zugeklappt habe.

Die Intransparenz der Algorithmen

Was Unterhaltung und Spannung angeht, kam ich indes auf meine Rechnung, und auch die grundsätzliche Kritik teile ich voll und ganz. Elsberg prangert an, dass die grossen Tech-Unternehmen, die sich das Recht herausnehmen, mit ihren Algorithmen in die Leben von Millionen von Leuten einzugreifen, eine zu grosse Macht innehaben. Diese Algorithmen können nach Belieben und mit fatalen Folgen manipuliert werden, ohne dass die Bevölkerung das merkt, geschweige denn kontrollieren oder verhindern könnte. Dieser Kern der Geschichte hat auch heute noch Bestand.

Aber aus heutiger Sicht sind andere Dinge problematisch bei Facebook, Instagram und den anderen Diensten aus dem Haus Zuckerberg: der Hass, die Fakenews, den schädlichen Einfluss auf die Psyche junger Menschen, die spaltende Wirkung auf die Gesellschaft. Davon ist in Ansätzen etwas vorhanden, beispielsweise in Gestalt eines Präsidenten, der sich eine Wahl kaufen will. Aber es bleibt die Erkenntnis, dass 2014 die wahren Probleme der sozialen Medien nicht voraussehbar waren. Darum ist «Zero» schlecht gealtert.

Zwei andere Dinge finde ich gut: Erstens die Rolle, die das Hacker-Kollektiv Zero spielt, das an Anonymous oder LulzSec erinnert. Zweitens die Medienkritik, die – obwohl für meinen Geschmack etwas gar überzeichnet, im Kern nicht verkehrt ist. Die bezieht sich auf die Medien, die fürs Clickbaiting alles tun, aber auch auf die selbsternannten Lesereporterinnen und Newsscouts, deren Hobby-Fahndungs-Arbeit leicht in eine Online-Hetzjagd ausartet. Wie Elsberg im Buch andeutet, waren die Erfahrungen rund um die Suche nach dem Boston-Bomber ausschlaggebend für diese Kritik, die ebenfalls 2013 Wellen geworfen hat.

Wegen dieser beiden positiven Punkten und der generellen Spannung wegen ist «Zero» eine empfehlenswerte Lektüre, wenngleich «Daemon» und «Freedom™» von Daniel Suarez aus technisch-dystopischer Sicht eindrücklicher waren.

Kurz zum Inhalt, den man auch bei Wikipedia nachlesen kann:

Zero, ein Hackerkollektiv, hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen die grossen Tech-Unternehmen zu agitieren, die sich die Daten der Menschheit zu Eigen machen und dadurch eine gesellschaftliche Macht erlangen, die weder kontrolliert noch legitimiert ist. Zu diesem Zweck veröffentlicht das Kollektiv immer mal wieder ein Video, und es greift auch zu unzimperlichen Mitteln, indem es vorführt, wie selbst der Präsident von Drohnen ausspioniert werden kann.

Clickbaiting mit allen Mitteln

Dieser Angriff auf den Präsidenten ist für Anthony Heast, den Chefredakteur des «Daily», ein gefundenes Fressen: Er bläst zur Jagd auf Zero, die inzwischen als Cyberterroristen verschrien sind. Es geht Heast nicht in erster Linie darum, die Hacker zur Strecke zu bringen. Vielmehr will er eine möglichst endlose Jagd initiieren, mit der das Interesse des Publikums und die Klickzahlen konstant hochgehalten werden können. Unterstützt wird die Hatz von einem Unternehmen namens Sheeld, das wiederum eine Tochter von Freemee ist.

Freeme wiederum ist ein Internetkonzern, der sich ganz der Mission verschrieben hat, so viele persönliche Daten wie überhaupt möglich zu sammeln. Sein CEO und Gründer, Carl Montik, erinnert in seiner autistischen Art etwas an Mark Zuckerberg, doch beim Unternehmen handelt es sich nicht im eigentlichen Sinn um ein soziales Netzwerk., Freeme will vielmehr den Einfluss eines Menschen in den sozialen Medien berechnen und daraus seinen Wert ableiten, wie einst das eingangs erwähnte Startup Klout.com.

Doch während man bei dem seinerzeit als Gegenwert für seine Bedeutung sogenannte Perks bekommen hat, gibt es bei Freemee echtes Geld oder geldwerte Entschädigungen. Zum Beispiel kann man dafür die ActApps abonnieren. Das sind digitale Ratgeber, die einen in allen Belangen des täglichen Lebens beraten und Empfehlungen zu Gesundheit, Ernährung, Lebensgewohnheiten, Fitness, aber auch zur Partnersuche und Lebensgestaltung machen. Die Apps gibt es in der von Elsberg geschilderten Form bislang nicht, auch wenn die Apple Watch gegelentlich Anstalten in diese Richtung unternimmt.

Die Hacker jagen, und zwar live im Internet

Cynthia «Cyn» Bonsant soll sich als neue Mitarbeiterin des «Daily» sogleich an der Jagd auf Zero beteiligen. Sie macht das mit einem gewissen Unwillen, der in Abneigung umschlägt, nachdem ein Freund ihrer Tochter Viola Bonsant ums Leben kommt. Adam Denham hat auf eigene Faust versucht, einen Mann zu stellen, nachdem ihm seine Cyberbrille ihm den als gesuchten Kriminellen identifiziert hat. Cynthia wird daraufhin ihrerseits zum Objekt des medialen Interesses, weil sie einräumen muss, keine Ahnung gehabt zu haben, was ihre Tochter und deren Freunde treiben. Doch weil Anthony ihr mit der Kündigung droht, macht sie zähneknirschend weiter.

Es gelingt ihr zusammen mit Chander Argawal, einem IT-Forensiker, einen der Hacker in einem Internetcafé in Wien aufzuspüren. Fast gleichzeitig kommt ein weiterer Freund von Viola ums Leben, nachdem er Cynthia in einem Telefongespräch eine Enthüllung angekündigt hatte. Edward Brickle hat nämlich herausgefunden, dass die ActApps nicht immer neutrale Ratschläge geben, sondern offenbar auch versuchen, die Nutzer gezielt zu manipulieren.

Lukrative Manipulationsmöglichkeiten

Wir erfahren, dass das ein unethisches Experiment Carl Montiks war, der die Einflussmöglichkeiten seiner Technologie ausloten wollte. Nachdem das Experiment zwar Todesopfer gefordert hat, aber trotzdem (oder gerade deswegen) sehr erfolgreich war, will er diese Möglichkeit auch ausnutzen. Zur Debatte steht, sich von Konzernen für diese effektive Werbemethode bezahlen zu lassen. Aber natürlich könnte man sie auch zu Börsenmanipulationen einsetzen. Und nicht speziell erwähnt werden braucht, dass auch die Politik, besonders besagter US-Präsident, das Potenzial zur Unterwanderung der Demokratie erkennt.

Cynthia Bonsant kommt der Sache über Edward Brickles Laptop auf die Spur und bringt das Freemee-Vorstandsmitglied Will Dekkert dazu auszupacken. Nachdem sie sich nach der Begegnung mit einem der Hacker in Wien gegen eine weitere Jagd auf Zero ausspricht, wird sie vom Kollektiv konaktiert und erhält einen Raspberry Pi, über den sie anonym mit ihm kommunizieren kann. Sie soll im US-Fernsehen über ihre Erkenntnisse berichten, doch dazu kommt es nicht. Nachdem sie das Angebot von Freemee abgelehnt hat, sich ihr Schweigen zu erkaufen, kommt ihr Kollege Chander Argawal ums Leben und sie unter Mordverdacht – und Cynthia wird quer durch New York verfolgt: Nicht nur von der Polizei, sondern auch von einem aufgeheizten Cybermob, der sie live streamend zur Strecke bringen will.

Cynthia findet auch heraus, dass Chander Argawal sie hintergangen hat und will in einem Befreiungsschlag die Freemee-Machenschaften vor ihren live streamenden Vefolgern ans Licht bringen. Das gelingt, aber nur dank der tatkräftigen Unterstützung von Zero. Der Tag ist gerettet, aber Cynthia und Viola haben daraufhin genug von den digitalen Verstrickungen und ziehen sich in ein Offline-Leben zurück.

Beitragsbild: Die Brille sagt, er müsse das tun (Eugene Capon, Pexels-Lizenz).

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