Zappenduster und eiskalt

In «Blackout» malt sich Marc Elsberg aus, wie Europa von einem gross­flächi­gen, lang­an­dauern­den Strom­ausfall betrof­fen ist: Glaub­würdig – und gleich­wohl spannend und unter­halt­sam.

Ein beliebter Buchtitel. Auch Andreas Eschbach hat ihn schon benutzt.

Was würde passieren, wenn uns von einem Moment auf den nächsten das Internet abhandenkäme? Dieses Szenario führt die westliche Gesellschaft innert kürzester Zeit an den Rand des Abgrunds. Zumindest hat sich das Wolf Harlander im Buch «Systemfehler» so ausgemalt.

Dieses Buch habe ich kürzlich besprochen, und es hat mich auf den Geschmack gebracht. Was wäre die nächste Katastrophe, mit der ich mich auseinandersetzen könnte? Natürlich sollte sie noch verheerender sein als die vorherige. Denn man will sich schliesslich menschlich und als Leser weiterentwickeln.

Die Wahl lag auf der Hand: Es ist das Buch Blackout von Marc Elsberg.

Der Name des Autors war mir bislang nicht geläufig, was nur mit einem massiven Versagen zu erklären ist: Gescheitert sind die hochgelobten Vorschlags-Algorithmen von Amazon. Wenn die nur im Ansatz etwas taugen würden, hätten sie mir seine Bücher längst vorgeschlagen. Sie behandeln nämlich  teils exakt die Themen, die ich bei meiner Lektüre schätze: In Zero geht es um Big Data und Datenschutz und auch in «Blackout» spielt die digitale Technik eine wesentliche Rolle.

Das Internet ist bloss ein Kollateralschaden

Bei Elsberg steigt nicht nur das Internet aus, sondern das Stromnetz – was logischerweise dazu führt, dass auch die Online-Kommunikation für die allermeisten Menschen nicht mehr gewährleistet ist. Der grossflächige Ausfall der Versorgung mit Elektrizität in fast ganz Europa führt innert gut einer Woche zum gesellschaftlichen Zusammenbruch: Nicht nur die Wirtschaft kollabiert, auch die öffentliche Ordnung und die Versorgung mit Lebensmitteln brechen zusammen. Es entsteht Schwarzhandel, es kommt zu Gewalt und Aufständen gegen Regierungen, in einzelnen Ländern zu Militärputschen und zu mehreren GAUs in Atomreaktoren, deren Kühlsysteme versagen.

Die Geschichte ist natürlich dramatisiert und verdichtet die Ereignisse. Ich glaube nicht, dass der Crash derart schnell einsetzen würde. Aber ob die Folgen, die sich Elsberg ausmalt, nun nach ein paar Tagen oder Wochen eintreffen, ist im Grund egal – an unserer Abhängigkeit von der Elektrizität lässt sich nicht rütteln, auch wenn der Autor meines Erachtens einen Faktor ausser Acht lässt.

Das ist der Umstand, dass vielen Haushalte mittels Solarzellen oder anderer Methoden ihren eigenen Strom erzeugen. Solche Strominseln könnten, in Kombination mit den inzwischen nicht mehr so seltenen Elektroautos, sicher geschickt dazu genutzt werden, kritische Infrastruktur am Laufen zu halten, selbst wenn die Netze längere Zeit nicht angefahren werden können. Da gäbe es zum Glück Möglichkeiten – über die wir uns vielleicht ein paar Gedanken machen sollten, bevor der Blackout da ist.

Der Spagat ist geglückt

Aber egal: Marc Elsberg schafft den Spagat, sowohl einen spannenden Thriller zu erzählen als auch den Fakten gerecht zu werden. Das Buch funktioniert als Unterhaltung und als Aufklärung. Es besteht während der Lektüre kein Zweifel, dass die Fakten sauber recherchiert sind, selbst wenn sich der Autor natürlich erzählerische Freiheiten nimmt. Das ist nicht nur legitim, sondern auch nötig, um Tempo in eine Erzählung zu bringen.

Es schmälert die Glaubwürdigkeit jedoch nicht. Im Nachwort erläutert der Autor, auf welche Quellen er sich gestützt hat, und eine davon ist der Bericht «Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines grossräumigen Ausfalls der Stromversorgung» (PDF) des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Elsberg bezieht sich im Abspann auch auf einen Artikel aus der «New York Times» von Sheri Finks über die Geschehnisse im Memorial Medical Center in New Orleans nach dem Wirbelsturm Kathrina; erhältlich in Buchform unter dem Titel Five Days at Memorial: Life and Death in a Storm-Ravaged Hospital und Erzählungen von Verwandten aus der Nachkriegszeit.

An «Blackout» müssen sich alle Katastrophen-Bücher messen lassen

«Blackout» ist eine Landmarke im Genre der Katastrophenliteratur, an dem sich Bücher messen lassen müssen, die in Schreckszenarien unsere Abhängigkeit von der Technik und die Komplexität der modernen Gesellschaft aufzeigen.

Ich hätte mir übrigens auch mehr davon im kürzlich besprochenen Buch «Cell» von Stephen King gewünscht. In ihm läuft das Mobilfunknetz Amok – und ja, King ist ein Horror- und kein Wissenschaftsautor, was man ihm nicht zum Vorwurf machen darf. Aber für mich ist der in der Realität verwurzelte Horror eindrücklicher als der metaphysische.

Also: eine unbedingte Empfehlung!

Die Hörbuchlesung von Steffen Groth ist für meinen Geschmack etwas zu exaltiert. Beispielsweise spricht er Lauren Shannon, die CNN-Reporterin, mit amerikanischem Akzent, was auf die Dauer etwas nervt und auch wenig Sinn ergibt, wenn sie für ihren Heimatsender eine Reportage macht – die würde sie nicht in Deutsch mit Akzent, sondern in ihrer Muttersprache machen. Abgesehen hat der Held, Piero Manzano, keinen Akzent, obwohl er Italiener ist.

Und es ist das am schludrigsten produzierte Hörbuch, das mir je untergekommen ist: Ich habe fünf Schnittfehler gezählt: Es gibt Verhaspler, die nicht rausgeschnitten wurden, Versprecher wie «Behörden» statt «Börsen» und mehr als einmal braucht Steffen Groth auch mehr als einen Anlauf, bis ein Satz so sitzt, wie er möchte. Das ist schade, aber bei einer Lesung von mehr als 22 Stunden verkraftbar – ich kann trotz der Einwände auch die Hörbuchfassung empfehlen.

Noch ein paar Worte zum Inhalt, ab jetzt mit Spoilern:

Wie angedeutet erzählt das Buch die 23 dramatischen Tage eines grossflächigen Stromausfalls. Während am Anfang die Ursache im Dunkeln bleibt, kommt die Hauptfigur, Piero Manzano, ihnen auf die Spur: Es sind die intelligenten Stromzähler (Smart Meter), die es in Italien und Schweden in den Haushalten gibt und die nicht resistent gegen Hacker-Attacken sind. Sie reagieren auf einen unautorisierten Abschaltbefehl, und lösen dadurch kaskadenartige Ausfälle im Netz aus.

Fällt aus, bleibt aus

Erst später entdeckt Europol mit Manzanos Hilfe, dass auch die SCADA-Steuerungsanlagen in einigen Kraftwerken so manipuliert worden sind, dass sie dem Personal falsche Werte anzeigen und infolgedessen falsch bedient werden. Diese Manipulationen haben zur Folge, dass das Stromnetz nicht nur ausfällt, sondern auch nicht wieder hochgefahren werden können und der Stromausfall andauert.

Manzano versucht, sich mit seinem Verdacht zu den gehackten Smart-Metern Gehör zu verschaffen, was aber erst niemanden interessiert und dann zur Folge hat, dass er selbst unter Verdacht gerät. Im Hauptteil der Geschichte geht es darum, wie Manzano zusammen mit einigen Getreuen wie der CNN-Reporterin Lauren Shannon versucht, den Hintermännern auf die Spur zu kommen und seinen Ruf zu rehabilitieren, während die Zivilisation zusammenbricht, Reisen und Kommunikation immer schwieriger werden und man auch leicht ausgeplündert oder als Aufrührer ins Gefängnis gesteckt wird.

Da der Blackout ein offensichtlicher Terrorakt ist, bleibt die Frage nach den Urhebern und ihren Motiven. Die bleiben lange im Dunkeln und entpuppen sich am Ende als Gruppe von Fundamentalisten, die sowohl die demokratische Ordnung als auch die Hochtechnologie ablehnen. Sie wollen die Grundlagen der Zivilisation zerstören und die Gesellschaft neu organisieren, ohne den «Raubtierkapitalismus».

Gibt es solche Bösewichte wirklich?

Ihr Antrieb ist besser greifbar als beim eingangs erwähnten Buch «Systemfehler» – trotzdem bleibt es eine kleine Schwachstelle der Geschichte. Kann und würde eine solche Splittergruppe ganz Europa und später auch die USA in Chaos stürzen? Das ist nicht ausgeschlossen, aber die im Buch ebenfalls angedeutete Möglichkeit der Cyber-Kriegsführung, sei es durch Russland oder China, scheint mir wahrscheinlicher. Aber natürlich hätte das Konsequenzen für die Geschichte: Es wäre nicht möglich, sie glücklich enden zu lassen. Es würde stattdessen zu Gegenschlägen und Vergeltungsaktionen kommen – und wäre es kein Tech-Thriller mehr, sondern ein Kriegsroman.

Das Buch wurde 2012 veröffentlicht. Würde es heute geschrieben, dann könnte sich der Autor an einer Figur wie dem QAnon-Schamanen Jake Angeli orientieren – und mit dieser Anlehnung würde der Zerstörungswille aus abstrusen Motiven für die Leserin greifbar. Denn wie leichtfertig diese Leute Errungenschaften wie die Demokratie zu opfern bereit sind, geht weit über das hinaus, was wir bei einer fiktionalen Figur zu glauben bereit sind.

In anderen Bereichen ist die Realität dem Autor rechtzeitig beigesprungen. Während der Autor noch an seiner Geschichte arbeitete, ist 2010 der Stuxnet-Wurm hat 2010 genau das gemacht, was auch in «Blackout» passiert: Er hat nämlich die SCADA-Steuerungssysteme von Siemens (nicht von Talaefer, wie im Buch) in Kraftwerken im Iran angegriffen. Und ja, damals steckte kein Jake Angeli dahinter, sondern mutmasslich die USA und Israel.

Beitragsbild: Nach dem Blackout wird es sehr schnell ungemütlich (Josh Nuttall, Unsplash-Lizenz).

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