Wer will schon mit Windows XP schlafen?

Vor zwanzig Jahren ist Windows XP erschienen. Dieses Jubiläum hat allenthalben für Nostalgie gesorgt. Ich nehme es zum Anlass nachzuforschen, was ich damals vom grossen Update gehalten habe – und ob meine Einschätzungen aus der Retrospektive noch Bestand haben.

Gestern hat mit Twitter freundlicherweise darauf hingewiesen, dass Windows XP seinen zwanzigsten Geburtstag feiert. Am 25. Oktober ist das Betriebssystem auf den Markt gekommen. Und obwohl die offizielle Unterstützung am 8. April 2014 ausgelaufen ist, hat Golem «den letzten XP-Fan» aufgestöbert, der noch immer mit dem System arbeitet.

Ich trauere XP nicht nach: Im Vergleich zu Windows 10 und selbst gemessen am ungeliebten Windows 11 wirkt das System hoffnungslos veraltet und optisch nicht mehr adäquat: Wie wenn man heute noch in einer Wohnung aus den 1970er-Jahren leben müsste, mit den braun-grün-orangen Farbpaletten von damals, den Plastikmöbeln, dem Flokati und den wilden Mustern an den Tapeten.

Wie seinerzeit im Beitrag Warum war XP bloss so erfolgreich? (Paywall) analysiert, halte ich den Erfolg dieses Systems für ungerechtfertigt: Die Leute neigen zu nostalgischer Verklärung und vergessen, wie fehleranfällig und unsicher XP war und wie viel Ärger das System den Nutzern und Microsoft bereitet hat. Erst mit dem Service Pack 2 aus dem August 2004 ist das System einigermassen alltagstauglich geworden. Mein Fazit darum:

Natürlich beruht der Erfolg von Windows XP auch auf dem Versagen seines Nachfolgers. Vista vermochte die Leute nicht zu überzeugen. Weder die modernere Oberfläche noch der von Microsoft naiverweise beworbene Flip-3D, der tatsächlich nur eine nutzlose Spielerei darstellte.

Eine interessante Frage bleibt: Wie habe ich das System beurteilt, als es neu war? Ich habe für den «Tagesanzeiger» eine grosse Besprechung geschrieben, die am 22. Oktober 2001 unter dem Titel «Fensterprunk auf solider Basis» erschienen ist:

«Liebe geht über den Desktop», könnten sich Microsofts Entwickler gesagt haben, als sie für Windows XP die neue Oberfläche entwarfen. Luna, so der Codename des Erscheinungsbildes, gibt dem Bildschirmschreibtisch ein knalliges Aussehen. Die dominierende Farbe bei Startmenü und Fenstern ist nicht mehr Grau, sondern Blau. Der Startknopf schimmert grün, und viele Ikönchen haben ein elegantes Aussehen erhalten – das Betriebssystem arbeitet mit der ganzen Farbenpracht des Regenbogens und nicht mehr nur mit 256 Systemfarben.

Das zeigt deutlich, wie unterschiedlich sich XP je nach Perspektive präsentiert. Aus heutiger Sicht wirkt Luna viel zu sehr nach Spielzeug. Doch wenn man sich erinnert, wie grau und langweilig die Vorgänger waren, dann versteht man vielleicht, dass der Look damals erfrischend war.

Das Startmenü hat mich nicht in Begeisterung versetzt – im Gegenteil.

Trotz allem hielt sich meine Euphorie über das neue Erscheinungsbild in Grenzen:

Es erstaunt, dass der IT-Riese Microsoft trotz zwanzig Jahren Betriebssystem-Erfahrung mit dem Look and Feel noch immer seine liebe Mühe hat. Die Luna-Oberfläche ist ansprechend, doch nicht innovativ. Den plastischen Look der Fenster, man hat ihn bei Apples MacOS X und seinem Aqua genannten Look and Feel gesehen. Bei dem zentralen Bedienungselement von Windows hat Microsoft eigene Ideen entwickelt – doch man wünscht sich bald, die Redmonder hätten die Dreistigkeit besessen, Apples Dock zu klauen: Das überarbeitete Startmenü von Windows XP ist eine monströse Ungereimtheit.

Fragwürdig fand ich, dass Microsoft im neuen Startmenü an prominenter Stelle keine fix sortierte Programmliste angeboten hat, sondern die häufig verwendeten Programme. Die vollständige Programmliste musste man in einem Untermenü suchen.

Den Versuch, einem die gerade passende App zu präsentieren, gibt es heute beim iPhone bei den sogenannten «Siri-Vorschlägen», und ich halte es nach wie vor für kein sinnvolles Konzept.

Positiv bewertet habe ich dagegen den Systemkern:

Unter der «Motorhaube» hält Windows XP hingegen Neuerungen von unbestrittener Güte bereit. Zum ersten Mal kommen auch Heimanwender in den Genuss eines Betriebssystems ohne Altlasten aus grauer Informatikvorzeit. Windows XP basiert, anders als seine Vorgänger Windows 98 und ME, auf dem bewährt stabilen Kern von Windows 2000.

Das DOS-Fundament stellte bei den bisherigen Heim-Windows-Versionen die Kompatibilität zu älteren Anwendungen (hauptsächlich Spielen) sicher, war aber auch an vielen Abstürzen schuld.

Der Internet Explorer war schon bald eine der grössten Problemzonen von XP. Ihn habe ich im Beitrag von damals mit keiner Silbe erwähnt, was aus heutiger Sicht als Unterlassungssünde gewertet werden muss.

Der Hügel, der vom ikonischen XP-Hintergrundbild bekannt ist, findet sich im kalifornischen Weinanbaugebiet von Sonoma County und er sieht heute so aus. (Bliss hill July 2017, Exoplanetaryscience/Wikimedia, CC0)

Der letzte Abschnitt ist allerdings von geradezu prophetischer Klarheit. Denn was Microsoft damals tat, tut Microsoft noch heute:

Alles in allem ist Windows XP ein gelungenes Update. Wer updatet, muss einige Unannehmlichkeiten akzeptieren. Zum einen muss Windows XP aktiviert werden. Zum Zweiten versucht einem Microsoft bei verschiedenen Gelegenheiten ein Passportkonto (ein globales Benutzerkonto für verschiedene Microsoft-Dienste wie Hotmail, den Windows Messenger, MSN MoneyCentral etc.) aufs Auge zu drücken. Microsoft betreibt diese Vereinnahmungsversuche mit grosser Hartnäckigkeit – das ist störend, denn wer mit Windows arbeitet, der möchte nicht unbedingt auch noch mit Windows kaufen, essen oder schlafen . . .

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