Mister Präsident, Sie sind verhaftet!

Wenn die USA den Präsidenten nicht des Amtes entheben wollen, könnte nicht die Justiz nachhelfen? Im Thriller «Der Fall des Präsidenten» exerziert Marc Elsberg diese Möglichkeit durch.

Unter uns gesagt: Das Cover des Buchs hätte mich fast davon abgehalten, es zu kaufen…

Also, wie versprochen folgt nach Blackout und Helix hier der dritte Streich zu Marc Elsberg. Ich habe das neue Werk, Der Fall des Präsidenten durchgeackert. Und zwar als Hörbuch, sodass ich als Erstes gleich die diesbezügliche Kritik loswerden muss.

Der Erzähler, Dietmar Wunder, hat mich auf Dauer ziemlich genervt. Nicht, dass er eine unangenehme Stimme oder eine fragwürdige Aussprache hätte – nein, er wäre dem Job, eine Lesung von 14 Stunden und 42 Minuten abzuhalten, durchaus gewachsen. Aber er hat die Marotte, gegen Ende jedes Satzes eine Betonung zu setzen, was gepresst und affektiert klingt. Der Regisseur – falls es so etwas bei Hörbuchaufnahmen gibt – hätte ihn dazu anhalten sollen, seinen Hals etwas zu entspannen.

Aber gut, die Geschichte selbst ist atemlos und auf Spannung getrimmt: ein Politthriller mit annähernd perfekten Timing und einem Plot, den man nur als utopisch bezeichnen kann. Es geht nämlich darum, dass ein politischer Machthaber tatsächlich Verantwortung für seine Entscheide übernehmen muss – etwas, das man sich leider so gar nicht vorstellen kann. Denn je grösser die Macht, desto kleiner das Risiko, juristisch zur Verantwortung gezogen zu werden. Der letzte US-Präsident ist ein exemplarisches Beispiel: Die Aufforderungen zum Wahlbetrug und die Nähe zu QAnon mit dem Dilettanten-Putsch vom 6. Januar 2021 blieben ohne Konsequenzen für Donald Trump.

Die Ereignisse in Afghanistan lösen den internationalen Kladderadatsch aus

Der Anlass, weswegen der fiktive US-Präsident Douglas Turner in Elsbergs Buch zur Rechenschaft gezogen werden soll, hat mit dem Krieg gegen den Terror in Afghanistan zu tun – und ist damit in der Tat brandaktuell.

Turner wird in Athen verhaftet und soll an den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (International Criminal Court, ICC) überstellt werden, wo ihm der Prozess wegen Kriegsverbrechen gemacht werden soll. Das ist ein Affront sondergleichen, der eine geharnischte Reaktion der USA zur Folge hat.

Da bei der Festsetzung von Turner nicht alles rundläuft, gerät Dana Marin, eine Angestellte des ICC, die die Verhaftung hätte überwachen sollen, ins Visier der Weltöffentlichkeit und der amerikanischen Geheimdienste, die natürlich sofort tätig werden und alles tun, um Turner loszueisen. Die Ausgangslage für turbulente Ereignisse rund um die Frage, ob die vom Kampf gegen den Terror in Afghanistan betroffenen Zivilisten Gerechtigkeit widerfahren wird, ist gesetzt.

Würde ein Präsident tatsächlich jemals angeklagt?

Wie zuvor erwähnt: «Der Fall des Präsidenten» ist eine politische Utopie. Eine Anklage, wie sie im Buch geschildert wird, ist in Realität völlig undenkbar – selbst mit einer so vehementen Anklägerin wie Carla Del Ponte, die im Buch (vielleicht) durch die Chefanklägerin Maria Cruz verkörpert wird. Zugegeben, der Fall wird im Buch so aufgebaut, dass im Lauf der Zeit unumstössliche Beweise auftreten. Aber trotzdem – niemand würde die internationalen Animositäten riskieren wollen. Aber das ist das Schöne an einer fiktiven Geschichte – sie kann ausloten, was passieren könnte, wenn die Bedingungen anders wären. So gesehen könnte man dieses Buch fast schon als Alternativweltgeschichte betrachten.

Fazit: «Der Fall des Präsidenten» ist eine spannende Geschichte und beste Unterhaltung. Die Erkenntnisse bleiben letztlich an einem kleinen Ort, in dem wir eben in einer Welt leben, in der Politiker nur in den seltensten Fällen juristisch für ihre Verfehlungen geradestehen müssen.

Es bleibt die Frage, ob die Geschichte packender geworden wäre, wenn sich Marc Elsberg noch etwas näher an der Wirklichkeit entlanggehangelt hätte. Donald Trump hätte dafür eine Steilvorlage geliefert.

Steckt hinter Douglas Turner Donald Trump?

In dem Fall hätte es zwingend um die innenpolitischen Verfehlungen gehen müssen und die Geschichte hätte sich nicht über die internationalen Verwicklungen erklären lassen. Beim Krieg gegen den Terror wiederum hat sich Trump gar nicht sosehr der Kritik ausgesetzt; in Sachen Drohnenangriffe könnte man sich genauso an Obama abarbeiten. Trotzdem ist auffällig, dass Douglas Turner die gleichen Initialen hat wie Donald Trump. In einem Interview mit «Der Standard» hat Elsberg das wie folgt erklärt:

Interessanterweise hiess der fiktive Ex-Präsident während der längsten Zeit des Schreibens anders. Erst im letzten Moment habe ich ihn umgetauft und bin dann erst draufgekommen, dass es dieselben Initialen des – nunmehrigen – Ex-Präsidenten sind. Und ich habe mir gedacht: Warum eigentlich nicht? Wobei er ja eigentlich eine Mischung aus drei Präsidenten ist, wenn man so will, angelehnt an das Handeln der letzten drei Präsidenten, George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump.

Damit hat sich Elsberg elegant aus der Affäre gezogen.

Was mich überzeugt, ist die Rolle der sozialen Medien. Sie dienen als Brandbeschleuniger in der Geschichte, heizen den Konflikt an und sorgen dafür, dass keiner der Protagonisten zur Ruhe kommt. Das ist der realistischste Teil der Erzählung, und Elsberg äussert sich im Interview wie folgt:

Ich würde die sozialen Medien in ihrem heutigen Zustand nicht mehr positiv bewerten. Schon der Begriff soziale Medien ist irreführend. Das sind inzwischen riesige Kontroll-, Überwachungs- und Vermarktungsmaschinen und als solche höchst problematisch. (…) Die Steuerung durch Algorithmen hat nur ein Ziel: größtmögliche Kommerzialisierung.

Abgesehen davon – und das ist nun ein Spoiler, Achtung! – widerfährt den zivilen Opfern des Kampfs gegen den Terror auch bei Elsbergs Erzählung keine endgültige Gerechtigkeit. Die Geschichte endet damit, dass der US-Präsident Turner nach Den Haag überstellt wird, wo ihm der Prozess gemacht werden kann – das ganze Buch beschäftigt sich mit den Hürden, die allein bei dieser Auslieferung lauern: Sei es vonseiten der griechischen Gerichte, die sie absegnen müssen, sei es von den Amerikanern, die nichts unversucht lassen, Turner dem Zugriff des ICC zu entreissen, sei es von einer dubiosen Drittpartei, die versucht, den Ex-Präsidenten zu entführen – zu welchem Zweck auch immer.

Den Bogen noch grösser spannen

Man hätte sich einen etwas grösseren Bogen wünschen können, weil sich dann die interessante Frage gestellt hätte, wie denn der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte für einen Schlag gegen einen afghanischen Terrorfürsten, bei dem zivile Opfer nicht nur in Kauf genommen, sondern ein erwünschter Nebeneffekt sind, denn zu bestrafen wäre. Aber ich verstehe auch, wenn sich der Autor um dieses Minenfeld herumlavieren wollte.

Das Buch zeichnet sich durch zwei eindrückliche Schilderungen aus, die fassbar machen, was Krieg mit Zivilisten und Kindern anstellt. Die sind einerseits nötig, um die Motivation zu erklären, denn in einem Fall handelt es sich um Dana, die die Belagerung von Sarajevo als Kind miterlebt und durch ihre Erlebnisse motiviert ist, Turner zur Strecke zu bringen. Andererseits gibt es dem Hintergrund mehr Gewicht, auch wenn der Krieg natürlich trotzdem nur die Szenerie ist, in der sich das Thrillergeschehen abspielt. Trotzdem haben mich diese Darstellungen überzeugt.

Stilistische Hochform und einige Ausrutscher

Stilistisch gibt es allerdings auch einige Ausrutscher, die man hätte korrigieren können:

Statt Blut raste glühendes Adrenalin durch ihre Adern. Zehn! Dana spürte keinen Schmerz. (…) Danas Magensäure dagegen verteilte sich glühend in ihrem ganzen Körper, stieg ihr bis unter die Schädeldecke. (…) Die glühende Magensäure schwappte von ihrer Schädeldecke zurück, Schweiss überzog ihre Haut bis auf die letzte Pore. (…) Dana war durchgeschwitzt bis auf ihre Unterwäsche.

Das wäre auch eindrücklich gewesen, wenn der Autor etwas weniger dick aufgetragen hätte. Und abgesehen davon ergibt der letzte Satz keinen Sinn. Denn wenn man pingelig wäre, würde man darauf hinweisen, dass die Unterwäsche als Erstes durchgeschwitzt wird, weil die direkt auf der Haut liegt.

Beitragsbild: Ein Symbolbild – denn so dreist, den Präsidenten direkt im Oval Office verhaften zu lassen, war noch nicht einmal Elsberg (Jacob Morch, Pexels-Lizenz).

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