Die Welt zu retten, ist erstaunlich günstig

Mit der Klima-App berechnet man seinen CO₂-Fussabdruck und kann den sogleich kompensieren lassen. Das schmeckt nach Ablasshandel – aber das ist nicht das einzige Problem, das ich mit dieser App habe.

Die «Gutmenschen-Apps»: Das ist eine Kategorie, der ich zwar einen etwas ironischen Namen gegeben habe, die ich nichtsdestotrotz für sinnvoll und für empfehlenswert halte.

Hier finden sich Apps wie Too good to go gegen Lebens­mittel­ver­schwen­dung (Die Lieblings-Apps aus diesem Jahr), Kiva für Mikrokredite in Schwellenländern (Geld-Apps, die nicht stinken) oder Gutes Tun für einfacheres Spenden für gute Zwecke (Schöne Apps von 2015) und Share the Meal für einfache Spenden gegen den Hunger (Die App-Highlights aus der Android-Welt) zählen in diesen Bereich.

Eine weitere solche Gutmenschen-App ist Klima, die es fürs iPhone und iPad und für Android gibt. Sie hat den Zweck einem zu einem Treibhausgas-neutralen Lebensstil zu verhelfen. Zu diesem Zweck tut sie etwas Naheliegendes: Sie berechnet sie den berühmt-berüchtigten CO₂-Fussabdruck: Man gibt an, wie viele Lang- und Kurzstreckenflüge man pro Jahr absolviert, wie man sich ernährt, ob man regelmässig ein Automobil benutzt, ob man seine Kleider austrägt oder eher in die Altkleidersammlung gibt, statt sie zu waschen – und das war es dann auch schon fast.

Ein reines CO₂-Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen

3,1 Tonnen? Na, das geht ja noch.

Nach der Auswertung bin ich fast ein Heiliger; was damit zusammenhängt, dass ich nie einen Führerschein erworben habe, relativ wenig fliege und kürzlich eine Konvertierung zum Vegetarier vollzogen habe.

Damit sind wir auch bereits beim grossen Problem dieser App: Ich glaube, dass sie im Idealfall die Leute dazu anhält, sich umweltbewusster zu verhalten.

Der entgegengesetzte Effekt ist genauso denkbar: Wenn man einen unterdurchschnittlichen Fussabdruck bescheinigt erhält, könnte man sich bei der nächstbesten Gelegenheit ermutigt fühlen, die Zurückhaltung abzulegen: «Hey, ich produziere so wenig CO₂ – da kann ich doch genauso gut nach Berlin fliegen, statt mit dem Zug zu fahren!»

Oder man lässt sich seine Bilanz berechnen, findet das Resultat annehmbar, geniesst das wohlige Gefühl, ein Gutmensch zu sein – und kommt zum Schluss, ab sofort sei es die Aufgabe der anderen, sich um die Rettung der Welt zu kümmern, weil man selbst schliesslich schon genug getan habe. Umgekehrt darf man sich sicher sein, dass die Leute, die einen «F*ck Greta»-Kleber an der Stossstange ihres Geländewagens kleben haben, einen Teufel tun werden.

Moralismus, Slacktivismus

Diesen Mechanismus gab es vermutlich schon immer, seit es Moralvorstellungen gibt – Moralismus wird das häufig genannt. Nur macht es einem das Internet noch leichter, sich selbst einfach und ohne jeglichen Aufwand Absolution zu verschaffen: Slacktivism, auch Clicktivism oder Sofa-Aktivismus genannt, ist das Stichwort dazu: Man färbt seinen Avatar schwarz, grün oder blau, um gegen dieses oder jenes zu protestieren oder setzt ein Like unter den Aufruf von Friday for Future, in dem die Politiker aufgefordert werden, endlich mal etwas zu tun – und schon ist das Gewissen sauber und rein.

Es kommt noch etwas anderes dazu: Wie genau kann eine solche App schon sein, die ein paar wenige Verhaltensweisen abfragt? Die Klima-App hat beispielsweise keinerlei Fragen nach meinen digitalen Gewohnheiten gestellt, obwohl anzunehmen ist, dass ich dort einen beträchtlichen Fussabdruck hinterlasse. Ich bin ein intensiver Streaming-Nutzer, obwohl das bekanntlich eine beträchtliche CO₂-Schleuder ist.

Der WWF kommt zu ganz anderen Resultaten

Zum Vergleich habe ich mir beim CO₂-Rechner des WWF eine Zweitmeinung eingeholt. Er ist deutlich ausführlicher, aber deckt längst nicht alle Bereiche ab und fragt ebenfalls nicht nach Netflix und Spotify.

Wenn man dem WWF-Fussabdruck-Rechner glauben darf, bin doch kein Vorzeige-Klimaschützer.

Bei dieser Gegenprobe kommt in der Tat etwas gänzlich anderes heraus: Während die Klima-App meinen Fussabdruck auf 3,1 Tonnen angesetzt, ermittelt der WWF-Rechner 6,81 Tonnen, wobei jeweils beide Male eine Angabe in der Masseinheit von CO₂-​Äquivalenten (CO₂e) erfolgt. Die zweite Rechnung ergibt eine um mehr als hundert Prozent höhere Emission, was meinen eingangs erwähnten Heiligen-Status leider ausnehmend schmälert.

Diese Diskrepanz ist nicht einleuchtend

Das liesse sich allenfalls mit unterschiedlichen Gewichtungen erklären. Es ist klar, dass man mit ein paar Fragen nur grobe Annäherungen erhält. Allerdings ist auffällig, dass der angegebene Durchschnitt für die Schweiz (4,8 Tonnen in der Klima-App, 13,5 Tonnen beim WWF pro Schweizerin und Schweizer) noch weiter auseinanderklafft als mein persönliches Ergebnis: Dabei würde man denken, dass man sich bei den Emissionen pro Land auf fundiertere Quantifizierungsmethoden verlassen kann, als beim Handgelenk-mal-Pi-Ansatz für einen Smartphone-Nutzer, der sich selbst nicht in ein allzu schlechtes Licht rücken will.

Fazit: Die Klima-App hat bei mir die Verwirrung vergrössert, statt für Klärung zu sorgen. Laut Website steckt hinter der App ein soziales Start-up aus Berlin; zur Berechnungsmethode habe ich auf die Schnelle keine Angaben gefunden. Der WWF führt sie gemäss Angabe via esu-services.ch durch. Ob das die Angaben nun verlässlicher macht oder nicht, weiss ich aber auch nicht.

«Vielen Dank, damit ist die Welt gerettet.»

Die Rettung der Welt kann in Monatsraten beglichen werden und ist erstaunlich günstig.

Mit der Klima-App kann man direkt Projekte unterstützen, um den berechneten CO₂-Fussabdruck zu kompensieren. Dazu kann man Bäume pflanzen, Solaranlagen unterstützen und/oder saubere Kochöfen für Menschen bereitstellen, die noch mittels Holz kochen. Der Preis dafür wird sogleich als Monats-Abo abgebucht. In meinem Fall sind es 2,58 Euro pro Monat.

Das fühlt sich für mich zu sehr nach Ablasshandel an. Ausserdem ist es unfassbar günstig. Wenn es weniger als ein Mineralwasser im Restaurant kosten würde, das Klima zu retten – wieso haben wir es nicht schon längst getan?

Die Idee der App, die Leute zu sensibilisieren, ist sicherlich richtig. Der Weg dahin scheint mir aber verkehrt; denn so einfach, wie die App es suggeriert, ist es nicht. Natürlich ist die Kompensation ein Anfang, aber letztlich helfen wird nur die Reduktion.

Anreize dazu gibt die App wenig – auch wenn der vierte Schritt (nach Berechnen, kompensieren, die Auswirkungen studieren) eine Verkleinerung des Fussabdrucks bewirken will. Dazu gibt es Tipps. Jedoch offenbar erst, wenn man sein Abo abgeschlossen hat. Darum finde ich die Tipps, die ich im Buch «Was, wenn wir einfach die Welt retten?» von Frank Schätzing (Retten wird uns nur der Fortschritt) gefunden habe, klar zweckdienlicher.

Beitragsbild: Warum streiken, wenn man das Problem einfach mit einer App löst? (Markus Spiske, Unsplash-Lizenz)

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