Eine Facebook-Freundin, die hauptsächlich über Bücher, Gärtnern und Entschleunigung schreibt, hat neulich einen für sie aussergewöhnlichen Blogpost veröffentlicht: ein Leserbrief aus einer Zeitung, in dem der Autor über Windräder lästert. Er behauptete, dass diese «Windräder das Mikroklima verändern».
Wir kennen diesen Mechanismus aus den sozialen Medien zur Genüge: Ein Blogpost schiesst sich auf ein Detail ein, das für die meisten Leserinnen und Leser unbekannt ist.
«Mikroklima-Veränderungen? Nie gehört, klingt aber schlimm!» ist die gewünschte und erhoffte Reaktion auf ein solches Posting. Denn natürlich geht es um die Windräder an sich, die dem Leserbriefschreiber ein Dorn im Auge sind. Klar, sie sind nicht wirklich eine Verschönerung der Landschaft. Aber das sind Atommeiler und Kohlegruben auch nicht.
Was für ein Widerspruch!
Nebst diesen Windrädern, die hier bekämpft werden sollen, geht es auch um den Klimawandel. Der Leserbriefschreiber sagt in einem Nebensatz, der «Klimawandel sei nicht wissenschaftlich belegt».
Mir ging an dieser Stelle die Düse: Ein Windrad soll das «Mikroklima verändern», aber alle anderen menschlichen Aktivitäten sollen keinerlei Auswirkungen aufs globale Klima haben? Eine steile These.
Das eigentliche Problem solchen Beiträgen besteht darin, dass sie uns auf Facebook ohne Kontext vor den Latz geknallt werden. Wir haben nur den Leserbrief, nicht aber den Beitrag, auf den er sich bezieht – und der sich differenziert mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Hoffe ich zumindest.
Wer mit der These einverstanden ist, setzt ein Like oder ein «Genauso ist es!» als Kommentar darunter. Wer nicht einverstanden ist, müsste sich mit den Argumenten auseinandersetzen. Ich hätte konkret recherchieren müssen, was mit diesem Mikroklima gemeint ist, wie es im ganzen Kontext zu bewerten ist. Wir müssten überlegen, wie wir die geäusserten Bedenken ernst nehmen, aber trotzdem in einem grösseren Ganzen relativieren oder zerstreuen können. Das ist viel Arbeit, selbst wenn wir das Glück haben, auf einen passenden Faktencheck zu stossen.
Das war auch keine Sternstunde für mich
Ich habe in dem Fall das gemacht, was ich mir vorgenommen habe, nicht mehr zu tun – weil es darum geht, die Untergangsspirale zu brechen: Ich habe polemisiert und mich über den Namen des Leserbriefschreibers lustig gemacht. Sein Vorname, Nachname und Wohnort ergaben eine süsse Alliteration mit W, was ich wegen der Windräder amüsant fand.
Klar, dass das nicht zu einer konstruktiven Debatte beiträgt. Die Veröffentlicherin des Beitrags hat mich daraufhin via Messenger angeschrieben und sich höflich von mir verabschiedet: «Auf dieser Ebene habe ich keine Lust auf Austausch.»
Ich habe mir daraufhin die Mühe gemacht, sachlich zu erklären, was die Probleme mit solchen Beiträgen sind: Dass sie im Kern ein polemischer Positionsbezug und eben kein Angebot für eine ernsthafte Debatte sind.
Daraufhin kam die kurze und letzte Reaktion meiner nun Ex-Facebook-Freundin: «Wissenschaft ist auch nur eine moderne Form der Religion.»
Was sollen wir darauf noch antworten?
Ich habe etwas zurückgeschrieben¹, aber genauso gut hätte ich meiner Bürowand einen Vortrag halten können.
Glaubenskrieger und Kulturkämpfer
Wir scheinen an einem Punkt angelangt zu sein, wo auch nette, sympathische Menschen nicht mehr anders können, als ausschliesslich Kulturkämpfe zu betreiben. Wenn es immer gleich um alles und um die unverrückbaren Überzeugungen und Glaubenssätze geht, ist es unmöglich, sich zu einigen oder auch nur anzunähern. Ja, es gelingt nicht einmal mehr, einen Streit in Würde zu beenden.
Wir müssen aufhören, diese sozialen Medien ständig als Arena zu nutzen, in denen die Konfrontation der Glaubenssysteme ausgetragen werden – «Meine Religion ist besser als deine Religion». Denn falls nicht, bleibt mir wirklich nur die Hoffnung, dass die sozialen Medien als Webanwendung möglichst bald endgültig scheitern².
Fussnoten
1) Nun, um das zu glauben, muss man aktiv ignorieren, dass es beweisbare Fakten, unumstössliche Tatsachen, Naturgesetze und die Möglichkeit gibt, Vorgänge objektiv zu dokumentieren. Das ist etwas anderes als der Glaube an hunderte Jahre alte Mythen. Aber es macht das Leben erfreulicher: Du kannst eine unangenehme Tatsache wie den Klimawandel verdrängen und dich in deine heile Welt zurückziehen. Zumindest, bis die Wirklichkeit dann zuschlägt. ↩
2) Hilfreich dabei ist der Podcast «Things Fell Apart». Ich stelle ihn im Beitrag Ein wirklich wichtiger Podcast der BBC ausführlich vor. ↩
Betragsbild: Wenn die Behauptung der Facebook-Freundin stimmen würde, dann wäre das hier ein Pfarrer, der vor seinem Altar steht.
Den Titel habe ich mit Besorgnis gelesen. Der Artikel klärt dann aber auf, das es halt nicht so ist (oder sein sollte), danke wie immer für die klugen Gedanken.
@Matthias
Man sollte sich vielleicht nur mit Spaß auf sowas einlassen, die Leute dann aber auch gründlich herausfordern – es sonst womöglich lassen bzw. einfach „Bullshit“ o.ä. darunter setzen.
Einen guten Ansatz hattest du ja: Wer an die Veränderung des Mikroklimas glaubt, der kann eine Veränderung des Makroklimas nicht einfach leugnen.