Alternativen zum Tiktok-Verbot

Man muss dieses chine­si­sche Video­monster nicht mögen, um ein Verbot für falsch zu halten. Wie wäre es, wenn sich die US-ameri­ka­nischen Ab­ge­ord­neten ein paar ernst­hafte Gedan­ken zum Thema machen würden?

Es ist verblüffend: Die Demokraten und Republikaner sind sich überhaupt in gar nichts einig – ausser darin, dass Tiktok wegmuss. Im Repräsentantenhaus haben sie ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass der chinesische Betreiber sein US-Geschäft entweder abspalten oder ein Verbot gewärtigen muss.

Für ältere Herr- und Frauschaften – zu denen ich mich zähle – liegt der Gedanke nahe, dass die Welt ohne Tiktok besser dran wäre: Diese App mit ihren kruden Videos, die auf bizarre Weise unverständliche Dinge erzählen – welchen Zweck soll die erfüllen? Sollten die Jungen nicht besser ein gutes Buch lesen?

Im freien Netz hat vieles Platz

Aber halt! An dem Punkt sollte die Erkenntnis einsetzen, dass wir nicht alles verbieten können, was wir selbst nicht verstehen oder reizlos finden. Das freie Netz zeichnet sich nun einmal dadurch aus, dass dort selbst destruktives Zeugs Platz finden muss. Immerhin, zum Glück, argumentieren nicht einmal die US-Politikerinnen rein oberflächlich mit ihrer Abneigung. Es ist die Sorge um die Sicherheit der Nutzerdaten, die die Demokraten und die Republikaner gleichermassen antreibt. Und die Angst, via Tiktok könnte die chinesische Regierung die amerikanische Jugend indoktrinieren.

Sind diese Sorgen gerechtfertigt? Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Mark Zuckerberg sie geschürt hat. Als ob sich seine Plattformen durch einen sorgsamen Umgang mit Nutzerdaten und durch entschiedenes Vorgehen gegen Propaganda und Fakenews auszeichnen würden. Dass die Legislative so bereitwillig auf diesen Zug aufspringt, lässt sich auch mit folgender Argumentation erklären: «Wenn schon jemand unsere Bevölkerung datenmässig ausbeutet und manipuliert, dann soll das ein Amerikaner sein – und sicher kein Chinese.»

Vor der eigenen Tür kehren?

Man kann an dieser Stelle darüber streiten, ob das bloss protektionistisch oder auch rassistisch ist. Unbestreitbar ist, dass Datensammeleien und sozialmediale Einflussnahmen in allen politischen Systemen stattfinden. Aber ich bin einverstanden, dass die Motive und Auswirkungen in einem diktatorischen oder autokratischen System gravierender sind als in einer Demokratie.

Ein Stachel im Fleisch der Amerikaner – der Erfolg der Chinesen auf dem Feld, das sie für sich gepachtet haben (Solen Feyissa, Unsplash-Lizenz).

Trotzdem: Warum nicht Regeln einführen, die für alle gelten? Regeln, die die Nutzerinnen und Nutzer schützen, gleichgültig, welche Pläne, Absichten und Hinterleute das Unternehmen hat, vor dem sie geschützt werden sollen? Das würde auch den Leuten den Wind aus den Segeln nehmen, die sagen, der Vorwurf der chinesischen Spionage via Tiktok sei nicht handfest bewiesen worden.

Wie wärs mit einer Hass-Steuer?

Es ist leider so, dass ein Verbot sehr einfach auszusprechen ist, während eine sinnvolle Regulierung der sozialen Medien viel schwieriger fällt. Also: Kritisieren wir die Amis dafür, dass sie es sich viel zu einfach machen.

Aber haben wir auch Ideen, wie wir es besser machen könnten? Ich habe die Frage ChatGPT um die Ohren gehauen. Seine Antwort ist ausführlich ausgefallen¹ und eine interessante Diskussionsgrundlage. Aus politischer Sicht könnte ich mir auch eine Art Lenkungsabgabe für die «bösen» Plattformen vorstellen; man könnte das vielleicht auch «Hass-Steuer» nennen. Und mir ist eingefallen, dass vor einem Jahr die Idee einer Plattform aufgetaucht ist, die nach dem öffentlich-rechtlichen Prinzip funktioniert².

Fazit: An den Ideen mangelt es nicht. Die Frage ist, ob und wie sich das Problem ausgleichen liesse, dass diese Ansätze wirtschaftlich weniger lukrativ bis völlig uninteressant sind. Es bleibt wohl dabei, dass die sozialen Medien eigentlich eine Service-Public-Aufgabe wären …

Fussnoten

1) Wie ChatGPT die Social-Media-Plattformen freundlicher gestalten würde:

1. Dezentrale Plattformen
  • Prinzip: Anstatt einer zentralisierten Plattform, die von einer einzigen Entität kontrolliert wird, könnten dezentrale Plattformen die Macht verteilen und Nutzern mehr Kontrolle über ihre Daten und die Inhalte geben, die sie sehen.
  • Vorteil: Dies könnte die Bildung von Gemeinschaften fördern, die sich auf positive und konstruktive Weise engagieren.
  • Kommentar Matthias: Mastodon, anyone?
2. Community-Moderation
  • Prinzip: Anstatt sich ausschliesslich auf algorithmische oder zentralisierte Moderation zu verlassen, könnten Plattformen Community-Moderationssysteme einsetzen, in denen Nutzer aktiv an der Gestaltung und Aufrechterhaltung der Diskurskultur teilnehmen.
  • Vorteil: Nutzer fühlen sich verantwortlicher für die Gemeinschaft und tragen zu einem positiveren Umfeld bei.
  • Kommentar Matthias: Die Community Notes bei Twitter sind ein Schritt in diese Richtung.
3. Positive Verstärkung und Anreize
  • Prinzip: Anstelle von Engagement-Modellen, die kontroverse oder polarisierende Inhalte belohnen, könnten Plattformen Systeme entwickeln, die positive Interaktionen und konstruktive Beiträge belohnen.
  • Vorteil: Fördert eine Kultur der Positivität und des konstruktiven Austauschs.
  • Kommentar Matthias: Ja, und als Belohnung dafür gibt es einen Steuerrabatt.
4. Transparenz und Bildung
  • Prinzip: Plattformen könnten transparenter darüber sein, wie Algorithmen Inhalte kuratieren und Nutzer beeinflussen, und Bildungsressourcen bereitstellen, die kritisches Denken und Medienkompetenz fördern.
  • Vorteil: Besseres Verständnis und kritische Reflexion über den Konsum und die Verbreitung von Inhalten.
  • Kommentar Matthias: Auch das liesse sich politisch belohnen.
5. Diversitätsförderung
  • Prinzip: Gezielte Förderung von Diversität in den angezeigten Inhalten und in den Stimmen, die in der Plattform prominent vertreten sind, um Echokammern und Filterblasen entgegenzuwirken.
  • Vorteil: Stärkung eines breiteren Verständnisses und Empathie unter Nutzern.
6. Design gegen Fehlinformationen
  • Prinzip: Entwicklung von Features, die Fehlinformationen aktiv entgegenwirken, z.B. durch Fact-Checking-Labels oder Warnhinweise bei umstrittenen Themen.
  • Vorteil: Reduzierung der Verbreitung von Fehlinformationen und Förderung einer informierten Öffentlichkeit.
7. Nutzerkontrolle und Personalisierung
  • Prinzip: Erweiterte Kontrolle der Nutzer über ihre Feeds und die Art der Interaktionen, die sie erleben, um eine gesündere und angenehmere Erfahrung zu ermöglichen.
  • Vorteil: Nutzer können eine für sie gesündere und produktivere Umgebung schaffen.

Diese Ansätze erfordern eine sorgfältige Abwägung zwischen der Freiheit des Ausdrucks und der Notwendigkeit, schädliche Inhalte zu minimieren. Zudem ist eine ständige Anpassung und Überarbeitung der Strategien notwendig, um mit den sich ändernden Dynamiken sozialer Medien Schritt zu halten.

2) Das ZDF hat vor einem Jahr ein Forschungsprojekt lanciert. Beim «Public Spaces Incubator» ist auch SRF dabei, ebenso CBC/Radio-Canada und RTBF aus Belgien. Ich habe auf newpublic.org nachgesehen, was sich tut – und ausser den ursprünglichen Pressemeldungen nichts gefunden. Vielleicht könnte dieses Projekt etwas öffentlichen Rückenwind gebrauchen?

Beitragsbild: Noch gibt es die App in den Stores (Obi-@pixel8propix, Unsplash-Lizenz).

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