Die Menschheit bekommt eine zweite Chance

Falsche An­nah­me, aber richtige Forderung: Ich analy­siere die These zweier MIT-Profes­so­ren, wonach die künst­liche Intel­li­genz uns allen «poli­ti­sche und wirt­schaf­tl­iche Unter­drüc­kung» bringen wird.

Gestern hat mich ein Kollege ultimativ dazu angehalten, einen Artikel zu lesen. Und zwar ausgerechnet von «Infosperber»; jener Plattform, die manchmal vernünftige Dinge schreibt, die sich meines Erachtens aber zu wenig von den Verbreitern von Verschwörungsideologien abgrenzt¹. Auch der Titel liess Unheil erahnen:  Big Tech ist schlecht. Big KI wird noch schlimmer sein, lautete die Überschrift.

Ich muss vorausschicken, dass für meinen Geschmack die Gefahren der künstlichen Intelligenz journalistisch in den letzten Monaten überstrapaziert worden ist. Nicht, dass das nicht wichtig wäre – ich sehe selbst gewisse Risiken. Aber von dem Punkt, dass die KI die Menschheit zerstört, sind wir noch sehr weit entfernt. Abgesehen davon: Wenn KI die Menschheit zerstören kann, dann hat sie vielleicht auch die Möglichkeit, uns alle vor Dingen wie der Klimakatastrophe zu retten? Wieso reden wir nicht einmal darüber?

Wo Google KI doch verschlafen hat!

Trotzdem habe ich der Aufforderung meines Kollegen Folge geleistet und den Artikel gelesen. Er stammt von zwei Professoren am Massachusetts Institute of Technology (MIT), ist aber dennoch erstaunlich einseitig und bei den Fakten zu wenig sattelfest. Die Autoren Daron Acemoğlu und Simon Johnson schiessen sich auf Google bzw. Alphabet und Microsoft ein und prognostizieren der Menschheit «politische und wirtschaftliche Unterdrückung»:

Die Tech-Giganten Microsoft und Alphabet/Google haben einen grossen Vorsprung bei der Gestaltung unserer Zukunft, welche die künstliche Intelligenz künftig potenziell dominieren wird.

Diese Grundannahme stelle ich infrage: Google hat das KI-Rennens bisher verschlafen. Die Lancierung von Bard hat Google komplett verhauen und bei meinem Test überzeugte mich dieser ChatGPT-Konkurrent kein bisschen. Microsoft ist mit Bing Chat besser unterwegs und zeigt durch sein Vorpreschen, wo derzeit die Risiken liegen: Nämlich, dass in einem erbitterten Kampf um Vorherrschaft unausgereifte Technologien auf den Markt kommen. Allerdings hat Microsoft beim offiziellen Start von Bing Chat einige der ursprünglichen Mankos ausgeräumt.

Die Karten werden neu gemischt

Verbesserungspotenzial gibt es jedoch weiterhin. Darum sehe ich es überhaupt nicht als sakrosankt an, dass Microsoft und Alphabet ihre Machtpositionen ins KI-Zeitalter hinüberretten oder sogar ausbauen können, wie es die Herren Acemoğlu und Johnson als gegeben annehmen. Abgesehen davon, dass man bei der Liga der bösen Tech-Konzernen Meta auf keinen Fall ausklammern darf.

Nein: Die Chancen standen selten so gut, dass die Karten neu gemischt werden. Erinnern wir uns auch daran, dass einige der KI-Modelle Open-Source sind. Stable Diffusion etwa, oder die ChatGPT-Alternative Alpaca, die man auch selbst betreiben kann. Sie basiert auf dem KI-Sprachmodell Llama von Facebook, und wurde von Forscherinnen und Forscher aus Stanford trainiert. Das heisst: Es gibt kein Monopol auf solche Technologien. Start-ups haben die Chance mitzumischen. Und da diese KI-Anwendungen für alle Neuland sind, haben sie auch echte Chancen, sich mit Innovationen hervorzutun.

Ein letztes Beispiel für diese These: Midjourney ist der beste Text-zu-Bild-Generator, den wir derzeit zur Verfügung haben. Er stammt weder von Alphabet noch von Microsoft, sondern von einem unabhängigen Forschungslabor.

Es geht um etwas ganz anderes

Mein Eindruck vom Artikel ist allerdings, dass diese Drohkulisse eher ein Vorwand ist für die Forderung, die im zweiten Teil nach einem längeren historischen Abriss folgt. Um zu verhindern, dass Datenmonopolisten «unser Leben ruinieren», müsse eine wirksame Gegenmacht mobilisiert werden:

Der US-Kongress muss die Eigentumsrechte des Einzelnen an den zugrundeliegenden Daten durchsetzen, auf die sich die KI-Systeme stützen. Wenn Big KI unsere Daten nutzen will, wollen wir dafür eine Gegenleistung: Man muss die tatsächliche Produktivität der Arbeitnehmenden steigern. Was wir brauchen, ist nicht maschinelle Intelligenz, sondern «maschinelle Nützlichkeit», welche die Fähigkeit von Computern nutzt, um die menschlichen Fähigkeiten zu erweitern.

Diese Forderung wiederum unterschreibe ich vorbehaltlos². Ich hätte sie jedoch auch als sinnvoll erachtet, wenn die Autoren den Teufel nicht an die Wand hätte gemalt hätten. Wirtschaftliche Machtballung ist auch ohne KI ein Problem. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Idee auch überhaupt nicht neu ist. Schon vor sieben Jahren habe ich die Forderung aufgestellt, dass persönliche Daten einen Gegenwert haben sollten.

Da war doch schon 2014 was

Aber auch ich kann nicht behaupten, dass die auf meinem Mist gewachsen wäre. Hannes Grassegger hat 2014 das Buch Das Kapital bin ich geschrieben (Das digitale Manifest): Dort rechnet er durch, wie die Tech-Unternehmen mit einem Rohstoff stinkreich werden, den wir ihnen als Lieferanten ohne angemessene Entschädigung liefern.

Darum ist es schön, dass die künstliche Intelligenz eine Idee aufs Tapet bringt, die wir bei der letzten Gelegenheit leider nicht ernsthaft erwogen haben. Ob es dieses Mal besser ausgeht? Die Antwort darauf hängt davon ab, wie gross der Leidensdruck werden wird. Also, Microsoft, Alphabet und natürlich auch Meta: Drückt so richtig auf die Tube!

Fussnoten

1) Siehe dazu: Infosperber und die Grenzen eines Ergänzungsmediums (Oder: Wie gut schützt sich «die letzte Pforte vor dem Abgrund»?)

2) Mit dem Vorbehalt, dass nicht nur der US-Kongress gefragt ist.

Beitragsbild: Adobe Firefly zum Prompt «a huge, evil looking robot who watches over a huge group of tiny, anxious looking male and female human beings».

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