Don’t judge a book by the Klappentext

«One Last Stop» von Casey McQuiston ist eine Ge­schich­te, die so gar nicht in mein typisches Lek­türe-Beute­sche­ma passen will. Durch un­er­gründ­liche Wen­dungen des Schicksals habe ich sie trotz­dem gele­sen – und bereue nichts.

Man solle ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen, heisst eine bekannte Redewendung. Den Klappentext sollte man für die Wahl seiner Lektüre allerdings genauso meiden. Denn zum Buch, um das es heute geht, lautet der wie folgt:

Die New Yorker Studentin August glaubt weder an Hellseherei, noch an die Art von Liebe, über die Filme gedreht werden. Und ganz sicher glaubt sie nicht, dass ihre WG voller liebenswerter Nerds daran etwas ändern wird – oder gar ihre Nachtschichten in einem Pancake House, das seit den 70er Jahren Kultstatus geniesst.

Denn hätte ich diese Anpreisung gelesen, wäre ich schreiend davongerannt. Warum ich das Buch trotzdem gekauft habe, kann ich nur noch ansatzweise rekonstruieren: Ich erinnere mich, dass ich wieder einmal eine Geschichte übers Zeitreisen lesen wollte und irgendwo «One Last Stop» von Casey McQuiston empfohlen wurde. Ich darf vorwegnehmen, dass diese Einordnung diesem Abenteuer ebenso wenig gerecht wird wie Klappentext und Cover – und dass es darum eine glückliche Fügung gewesen sein muss, die uns zusammengeführt hat.

Wegen des Covers hätte ich es auch nicht gekauft.

Also, One Last Stop im englischen Original bzw. One Last Stop: Der letzte Halt ist erst der Anfang ist eine romantisch angehauchte Mystery-Geschichte – oder vielleicht auch eine Love-Story mit einem fantastisch-metaphysischen Einschlag. Wikipedia nennt sie eine LGBT romance novel, was aber auch wieder eine Schubladisierung beinhaltet, die dem Werk nicht gerecht wird.

Liebenswerte, diverse Nerd

Wir kommen an dieser Stelle weiter, wenn ich erkläre, warum mir das Buch so gut gefällt, obwohl die Vermarktung dieses Werks keinen Zweifel daran lässt, dass ich nicht zur Zielgruppe gehöre – abgesehen von den «liebenswerten Nerds». Die führt der Klappentext ebenfalls als Verkaufsargument ins Feld, und nicht zu Unrecht: Die Figuren in diesem Buch sind allesamt von der herzerwärmend-schrulligen Sorte, aber so, dass vielleicht sogar ich als WG-traumatisierter Cis-Mann im fortgeschrittenen Alter mit ihnen Küche und Bad teilen würde.

Casey McQuiston gibt jedem eine unverkennbare Stimme und ich mag den Stil, den Humor und die Tonalität dieser Geschichte – frech, aufmüpfig, aber immer treffsicher und genau in der Beobachtung. Sie porträtiert den schwulen Mitbewohner, die Drag-Queen von gegenüber und einen trans Menschen in Selbstverständlichkeit, die die Hoffnung weckt, dass wir die gesellschaftlichen Querelen, die sich im hier erzählten Erlebnis niedergeschlagen haben, irgendwann hinter uns lassen.

Ich als Leserin

Denn so wie Casey¹ sie schildert, stelle ich mir eine perfekten Welt vor – von der wir jedoch noch weiter entfernt sind als das Jahr 1970 von 2023. Diese inklusive Art geht so weit, dass ich mich auch bei den Szenen nicht als Voyeur gefühlt habe, bei denen es zwischen den beiden Hauptfiguren, August und der geheimnisvollen U-Bahn-Fahrerin Jane ziemlich explizit zur Sache geht. Denn wenn Geschlecht bloss ein soziales Konstrukt ist, gibt es keinen Grund, dieses Buch nicht als Leserin zu lesen.

Ein Highlight ist auch Natalie Naudus, die das englische Hörbuch liest: Ihre Stimme harmoniert perfekt mit der von Casey und den Figuren. Die Geschichte selbst ist nun nicht allzu tiefschürfend. Es gibt einen Plot, der in sich schlüssig ist und zur Zufriedenheit der Leserin aufgeklärt wird – aber was dieses Buch ausmacht, ist das Gefühl von Gemeinschaft und Kameraderie. Das braucht allerdings seine Zeit, um sich zu entwickeln. Am Anfang ist es mir darum oft passiert, dass meine Gedanken während des Hörens abgeschweift sind. Ich musste x-mal zurückspulen, wenn ich den Faden verloren habe. Es dauert etwas, bis die Geschichte verbindlich wird und am Anfang dürfte es eine relativ hohe Absprungrate geben. Andererseits gelingt es Casey auch immer wieder, die Neugierde anzustacheln.

Das Ende ist etwas gar auf Hollywood und Romantik getrimmt, wobei die Romantik auch sehr ausführlich auf nicht-platonischem Weg ausgelebt wird. Ein melancholischerer Ausklang – junge August trifft auf alte Jane – hätte mir besser gefallen. Aber ich kann ich auch mit diesem Schluss anfreunden. Apropos Hollywood: Wenn Hollywood diese Geschichte nicht verfilmt wird, dann ist Hollywood nicht mehr zu helfen!

Schuld an allem: Der Stromausfall von 1977

Kurz zur Geschichte und zu einigen Spoilern: August Landry zieht nach New York in eine WG und bekommt mit der neuen Bleibe auch gleich einen Job im «Pancake Billy’s House of Pancakes». Beim Pendeln dorthin der Linie Q lernt August Jane Su kennen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit dort anzutreffen ist, und die anscheinend kein Leben ausserhalb dieses Mikrokosmos hat. Nach und nach kommt August dem Geheimnis auf die Spur. Jane Su ist der U-Bahn gefangen und seit Jahrzehnten dazu verdammt, in einem Zustand zwischen Leben und Tod in diesem Waggon zu fristen.

1977 hat sie versucht, Jerry das Leben zu retten, der besoffen auf die Gleise gefallen war. Das passierte just in dem Moment, als der New York City blackout of 1977 seinen Anfang nahm. Das hat Jane Su einerseits vor dem Tod durch einen Stromschlag bewahrt. Aber andererseits hat es sie in diese metaphysische Zwischenwelt geschleudert, aus der sie nicht mehr entkommt, und der ihr auch nicht voll bewusst ist. Erst, als sie sich mit August anfreundet, kommen die Erinnerungen zurück – und zwar vor allem dann, wenn August sie küsst, wie Jane Su damals ihre vielen Freundinnen geküsst hat.

August macht es sich zur Aufgabe, das Rätsel zu lösen und Jane Su aus ihrem Zustand zu befreien – selbst wenn das bedeuten sollte, dass sie ins Jahr 1977 zurückkehrt, das sie gemäss ihrem körperlichen Zustand nie verlassen hat. Sie spannt dafür ihre WG-Mitbewohner und Freundinnen ein, die gleichzeitig damit beschäftigt sind, auch das von der Gentrification bedrohte «Pancake Billy’s House of Pancakes» zu retten. Und als ob das nicht genug wäre, hilft sie auch ihrer Mutter dabei, das Rätsel ihres verschollenen Bruders Augie aufzuklären – denn wie sich zeigt, ist dessen Schicksal mit Jane Su verknüpft.

Fussnoten

1) Laut Wikipedia verwendet Casey die Pronomen «they/them», was sich meines Erachtens nicht vernünftig abbilden lässt. Der beste Weg scheint mir bis auf weiteres zu sein, auf die Pronomen zu verzichten und immer den Namen zu nennen.

Beitragsbild: Hier für immer gefangen (Bo Ponomari, Pexels-Lizenz).

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