Wann wird Spotify wieder sozial?

Anfänglich war das Musik­streaming eine gemein­schaft­liche Sache: Wir erleb­ten mit, was den Freun­dinnen gefällt und konnten Wie­der­ga­be­listen tauschen. Doch diese soziale Kom­po­nen­te ist fast ver­schwun­den. Stellt sich die Frage: Kehrt sie zurück?

Elf Jahre ist es her, dass ich zum Schluss gekommen bin, soziales Musik-Streaming würde «rocken». Und ja, offensichtlich hatte ich 2012 keine Scham, den jugendsprachlichen Jargon von 1989 zu bemühen.

Jedenfalls ging es im Blogpost um die Tatsache, dass Spotify ursprünglich untrennbar mit Facebook verbandelt war. Diese Verbindung fand ich im Kern zwar falsch, weil sie Leute zum Facebook-Beitritt nötigte, die dort gar nicht sein wollten.

Aber ich konnte ihr auch etwas Gutes abgewinnen: Ich fand toll, dass ich sehen konnte, was meine Freunde so hören und für öffentliche Wiedergabelisten parat haben. Die Erkenntnis damals: «Von meinen 176 Facebook-Freunden sind 43 auf Spotify – immerhin 24 Prozent. Neun Leute haben öffentliche Playlists (fünf Prozent) und fünf Leute (drei Prozent) haben einen tollen Musikgeschmack.»

Facebook muss nicht alles wissen

Wir wissen es: Spotify und Facebook haben sich auseinandergelebt. Das hat zu einigen Reibereien geführt, auch für mich persönlich. Und damit ist auch die soziale Komponente weitgehend verloren gegangen. Sie wurde offiziell zwar nie abgeschafft und ist in der Desktop-App noch verfügbar¹. Aber sie hat kaum mehr einen Nutzen, weil sie erstens am Smartphone und Tablet nicht existiert und weil viele meiner Freundinnen und Freunde wie ich die Verbindung zu Facebook gekappt haben.

Es gibt den «Freund*innen-Feed» noch – aber viel ist hier nicht mehr los.

Ist die Idee des sozialen Musikstreamings gestorben? Es macht den Eindruck, zumal auch Apple in diesem Bereich eine fulminante Bauchlandung hingelegt hat. iTunes Ping war ein soziales Netzwerk, das auch Musikerinnen und Fans hätte zusammenbringen sollen. Es wurde 2010 gestartet, aber 2012 war schon wieder Schluss. Der Dienst hätte nie Fuss fassen können, lautete die Begründung damals.

Nein, völlig gestorben ist die Idee nicht, denn es gibt auch Gegenbeispiele: Auf Soundcloud existiert eine aktive Community und auch Last.fm hat es geschafft, die Musik mit einem sozialen Aspekt zu verbinden. Doch im Vergleich zu den grossen Streamingplattformen sind beides Nischen-Phänomene geblieben, und bei Last.fm frage ich mich, ob der Zenit nicht überschritten ist.

Über Musik zu reden, ist nicht abendfüllend

Ein Problem habe ich bei meiner Lobeshymne aufs soziale Musikstreaming vor elf Jahren ausser Acht gelassen – auch wenn es zwischen den Zeilen durchaus erahnbar war. Nämlich das Problem, dass Musik womöglich kein so verbindender Element ist, wie man glauben könnte. Klar, mit unseren Klassenkameraden haben wir gewisse musikalische Vorlieben geteilt und es gab gemeinsame Konzertbesuche, die für Verbrüderung (und bei mir kaum zu Verschwesterungen) geführt haben. Mit meinem heutigen Bekanntenkreis teile ich kaum musikalische Vorlieben. Das gilt auch für die sozialen Medien, auch wenn ich neulich höchst erfreut über die Reaktionen auf einen Beitrag zu Joe Dassins «L’été indien» (in Deutsch!!!) war.

Umgekehrt ist es nicht so, dass wir mit Leuten, mit denen wir gewisse musikalische Vorlieben teilen, automatisch sonst viel gemeinsam haben. Und klar, wir könnten uns mit ihnen über unsere Idole reden. Aber ab einem gewissen Lebensalter sind solche Schwärmereien auch nicht mehr abendfüllend. Für ernsthafte und tiefgründige Diskussionen über Musik, braucht es viel Wissen und ein Talent, das nicht allen gegeben ist. Funktionieren würde ein solches soziales Netzwerk nur, wenn es von den Künstlerinnen und Künstlern befeuert würde, indem sie sich auf Augenhöhe mit ihren Fans treffen. Aber es liegt auf der Hand, dass das höchstens im alternativen Segment, nicht aber bei Leuten wie Rihanna, Taylor Swift und Beyoncé mit Millionen Fans für die Künstlerinnen leistbar ist.

Nur theoretisch einleuchtend

Fazit: Die Idee war einleuchtend, doch es zeigt sich immer wieder, wie schwierig es ist, eine Social-Media-Plattform zu realisieren, die eine breite Akzeptanz findet. Das ist Google mit Google Plus nicht gelungen. Und auch Myspace ging als Flop in die Geschichte ein – und auch hier waren Musik und die sogenannten «Band-Spaces» zentral. Ein PS dazu: Wer sich im Detail für die Geschichte von Myspace interessiert, muss unbedingt den Podcast Main Accounts von Joanne McNeil und iHeart Radio (RSS, iTunes, Spotify) anhören.

Aber vielleicht ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Spotify experimentiert mit der Community-Funktion, die von Techcrunch.com wie folgt beschrieben wird.

Mit dieser Funktion sollen mobile Nutzer in Echtzeit sehen können, welche Art von Musik ihre Freunde streamen und welche Wiedergabelisten sie kürzlich aktualisiert haben.

Techcrunch hat Ende Januar 2023 einen Beitrag nachgelegt, der besagt, dass Spotify die Funktion weiter testet, sich aber nicht festlegen will:

In der Telefonkonferenz mit Investoren lehnte es Daniel Ek ab, den Test mit der Freundes-Ansicht speziell zu kommentieren. Er sagte, das Unternehmen führe viele Experimente durch: «Was Sie wahrscheinlich gesehen haben, ist eines dieser Experimente. Und da wir uns nicht entschieden haben, es einzuführen, kann ich nicht nichts dazu sagen». Aber er spielte das Interesse des Unternehmens an sozialen Netzwerken nicht herunter und deutete an, dass dies ein Bereich von Interesse bleibt.

Eine echte Null-Aussage. Meine Empfehlung wäre, dass Spotify es entweder richtig oder gar nicht machen sollte: Einfach nur den Freundes Reiter, wie er jetzt schon existiert, in die mobile App zu transferieren und von Facebook abzukoppeln, wäre zwar nicht verkehrt, aber auch keine echte Innovation – da würde sich Spotify besser auf eine andere alte Baustelle konzentrieren, nämlich das hochauflösende Audio und den Raumklang. Stattdessen wird die App für den Geschmack der Tiktok-Generation umgebaut. Es gibt dort die Möglichkeit für Musiker, sich in kurzen Videos an die Nutzerinnen und Nutzer zu wenden. Soll das die soziale Komponente sein, die Spotify anstrebt? Falls ja, fände ich das reichlich dürftig.

Könnte man es auch richtig und gut machen? Die Idee des sozialen Musikstreamings ist noch nicht zu Ende gedacht – davon bin ich überzeugt.

Fussnoten

1) Der Freund*innen-Feed wird wie folgt eingeschaltet: Wir klicken in der Windows- oder Mac-App rechts oben auf unser Konto und auf Einstellungen. In diesen Einstellungen schalten wir im Abschnitt Anzeige die Option Sehen, was deine Freund*innen hören ein. Nun erscheint am rechten Rand des Fensters der Freund*innen-Feed, der aber nur aktualisiert wird, wenn wir eine Verbindung mit Facebook herstellen.

Beitragsbild: So geht es natürlich auch (George Milton, Pexels-Lizenz).

One thought on “Wann wird Spotify wieder sozial?

  1. Die Freundesliste in Spotify bleibt übrigens aktiv, auch wenn du deine Freundschaft zu Facebook gekappt hast. Ich sehe immer noch, was meine ehemaligen Facebook Bindungen so hören. Wie es umgekehrt ist, habe ich noch nie erforscht. Schätze aber, dass mein Hörkonsum noch immer hochgestreamt wird.

    LastFM ist zwar nischig, aber ich finds ziemlich cool. Nicht wegen dem sozialen Aspekt, sondern wegen seiner statistischen Funktionen. Ich scrobble seit 2008 meinen ganzen Musikkonsum dort hoch. Und zwar aus allen Musikquellen. So habe ich den besseren Überblick darüber, als in Spotify oder sonst in einem einzelnen Musikdienst.

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