Nachdem Spotify Ende Februar ein neues Abo für Musik in CD-Qualität angekündigt hat, waren Google und Apple die letzten Streaminganbieter ohne entsprechende Option. Es hätte mich sehr gewundert, wenn Apple das auf sich hätte sitzen lassen – denn schliesslich will der Konzern die qualitätsorientierte Premium-Kundschaft nicht der Konkurrenz überlassen.
Darum hat es mich nicht überrascht, dass Apple am 17. Mai auch mit einer entsprechenden Ankündigung herausgerückt ist. Ab Juni gibt es den ganzen Katalog mit ungefähr 75 Millionen Songs – ohne ohne zusätzliche Kosten, wie Apple herausstreicht. Zum Einsatz kommt der Apple Lossless Audio Codec (Alac), der auf MP4 basiert.
Verlustfrei komprimierte Musik gibt es bei Apple in mehreren Varianten. Die niedrigste Qualitätsstufe entspricht der Audio-CD, also 16 Bit mit 44,1 kHz Abtastfrequenz.
Hochauflösendes Audio gibt es auch
Die mittlere Stufe liefert 24 Bit bei 48 kHz und die hochauflösende Variante (Hi-Resolution Lossless) hat eine Abtastfrequenz von 192 kHz, natürlich auch bei 24 Bit. Diese höchste Stufe kann allerdings nicht direkt wiedergeben werden, sondern benötigt einen externen Wandler.
Ich gehöre nicht zur audiophilen Fraktion, die Musik mit maximaler Bandbreite hören will. Erstens fehlt mir dazu das nötige Equipment, zweitens wohl auch das feine Gehör. Drittens konsumiere ich meine Musik meist unterwegs und unter nicht-idealen Bedingungen, sodass ich kaum einen Unterschied zwischen der bisherigen verlustbehafteten Komprimierung und der Alac-Qualität hören würde. Trotzdem finde ich es vernünftig und sinnvoll, diese anzubieten, zumal Musik seit Jahren in dieser Güte produziert und archiviert wird und es genügend Leute gibt, die auf HD-Audio abfahren.
Die Lossless-Option aktivieren
Wie man die verlustfreie Musik wird anhören können, beschreibt Apple im Supportdokument About lossless audio in Apple Music. Grundsätzlich ist es überall gleich: Man geht zu den Einstellungen in der Musik-App und schaltet bei den Wiedergabe-Optionen die Lossless-Option ein. Dafür braucht es die jeweils neueste Version des Betriebssystems.
Man erfährt aus dem Dokument auch, welche Geräte man nutzen kann:
Zum Zug kommen iPhone und iPad, der Mac und der Apple TV 4K. Aussen vor bleiben die AirPods, AirPods Pro und sogar der erst vor Kurzem lancierte High-End-Kopfhörer AirPods Max. Das erstaunt etwas – der wäre nämlich prädestiniert für diesen Einsatzzweck. Die Begründung von Apple lautet, die Bluetooth-Verbindung würde kein Lossless-Audio verkraften.
Homepod ja – AirPods Max nein
Die (neulich eingestellten) HomePod-Lautsprecher und der HomePod mini sind anfänglich nicht kompatibel, sollen aber durch ein Firmware-Update für die verlustfrei komprimierte Musik fit gemacht werden.
Ein entscheidender Punkt steht ganz am Schluss: Die Frage «Kann ich meine iTunes-Einkäufe erneut in verlustfrei herunterladen?» wird vage beantwortet:
Wenn Sie Apple Music abonniert haben, können Sie Musik in verlustfreier Qualität nur aus dem Apple Music-Katalog erneut laden.
Mir ist nicht ganz klar, wie das gemeint ist. Ich würde es aber so interpretieren, dass man Lossless-Musik zum Offline-Hören aufs Gerät herunterladen kann – dass es aber nicht möglich ist, wie seinerzeit mit iTunes Match Titel in der lokalen Sammlung aus dem Store durch eine Kopie in besserer Qualität zu ersetzen (siehe MP3s umtauschen). Aber ob dem wirklich so ist, wird ein Versuch zeigen.
Eine neue Idee? Nein!
Eine zweite Neuerung ist das 3D-Audio, das mithilfe von Dolby Atmos realisiert wird. Auch da kann man sich fragen, warum nicht schon längst einer der Streaminganbieter auf die Idee gekommen ist, sich mit Raumklang von der Konkurrenz abzuheben. Es ist ja nicht so, dass die Idee neu wäre – wie alle wissen, die, wie ich, schon in den 1980er-Jahren von der fabulösen Quadrofonie-Technik gehört hatte und sie unbedingt einmal ausprobieren wollten.
Mit den gängigen Mitteln der Heimelektronik war das nicht möglich. Man konnte sich anhand von Kunstkopfstereo-Aufnahmen ausmalen, wie toll echter Raumklang wäre (siehe Hörspiel 2.0), aber massentauglich ist das nie geworden. Ich erinnere mich nur an ein einziges Quadrofonie-Experiment, bei dem das Schweizer Radio auf der ersten und zweiten Senderkette eine solche Aufnahme ausgestrahlt hat: Mit den zwei vorderen Kanälen auf DRS1 und den zwei hinteren auf DRS2. Ich habe aber leider beim besten Willen nicht herausgefunden, wann diese Übungsanordnung on air war.
Es machen, wenn es schon möglich ist
Heute ist, dank digitalen Audioformaten und raumklangtauglichen Codecs und Heimkino-Anlagen dieses Hörerlebnis keine Sciencefiction mehr. Es funktioniert sogar mit Kopfhörern; laut Apple mit allen AirPods und Beats-Kopfhörern, die einen H1- oder W1-Chip haben. Es gibt jedoch auch andere Dolby-Atmos-Kopfhörer; auf Anhieb habe ich den MDR-HW700DS gefunden.
Im Gegensatz zu Lossless, wo ein Grossteil des Materials in entsprechender Qualität vorliegt, muss Musik für das Raumerlebnis neu abgemischt und produziert werden. Das dürfte bislang nur für sehr wenige Musik überhaupt der Fall sein. Zwischen den Zeilen von Apples Pressemeldung kann man lesen, dass diese Initiative noch in Kinderschuhen steckt:
Immer mehr Künstler:innen beginnen, Musik speziell für das 3D-Audio Erlebnis zu erstellen und Apple Music arbeitet mit ihnen und den Labels zusammen, um Neuerscheinungen und die besten Katalogtitel hinzuzufügen.
Wer vor allem ältere Musik mag, sollte nicht damit rechnen, dass seine vor dreissig oder vierzig Jahren produzierten Lieblingsalben bald in einer Dolby-Atmos-Variante vorliegen werden. Pop und Rock findet in Stereo oder Mono statt – so ist das nun einmal.
Trotzdem werde ich es mir nicht nehmen lassen, einen passenden Kopfhörer zu organisieren und einen Streifzug durch die Dolby Atmos Playlists zu unternehmen. Denn im Gegensatz zu Lossless rechne ich hier damit, auch tatsächlich einen Unterschied zu hören.
Beitragsbild: Seit er in den 1960ern von der Quadrofonie gehört hat, wartet er darauf, Stereo hinter sich zu lassen (Brett Jordan, Unsplash-Lizenz).
2 Kommentare zu «Apple Music mit Lossless und Raumklang: Fortschritt oder Marketing-Furz?»