Der ganz normale Hass bei Facebook

Ein Kommentar auf der Facebook-Seite der NZZ, der Gewalt an der Klimajugend verherrlicht, bleibt trotz Aufforderung zum Löschen viel zu lang unwidersprochen stehen.

Ich habe mich letzten Freitag über die NZZ aufgeregt.

Es geht um diesen Beitrag hier, eine ausführliche Reportage zur Klimajugend, die in einem Dilemma steckt. Die Coronakrise hat ihren Kampf in den Schatten gedrängt und die Protestbewegung mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, wie sie ihr Anliegen wieder ins Gespräch bringt. Wie weit darf sie für diesen Zweck gehen? Welche Mittel sind in Ordnung, wo verläuft die Grenze?

Diese Fragen werden in der Reportage differenziert behandelt, indem Exponenten, die mit den Mitteln des Systems operieren, den Exponenten gegenüber gestellt werden, die laut über Gewalt nachdenken:

Und einer fügte an: «Gewalt ist nur gegen Gegenstände okay, einen Kohlebagger zu sabotieren, das ist fast schon Pflicht.»

Lindermeier sagte: «Wir müssen uns schon überlegen, wie wir Gewalt definieren. Man muss sehen: Es ist ja vollkommen erlaubt, dass irgendwelche Zementkonzerne in Afrika produzieren und das ganze Dorf dort dann Krebs hat.»

Es ist ein Moment, in dem sichtbar wird, was die Jugendlichen eigentlich nicht zeigen wollen: eine Art kalte Wut. Sie treibt die Bewegung an. Aber wohin?

Lindermeier ist Anna Lindermeier, eine der porträtierten Aktivisten in der Reportage. Sie schliesst mit einem Fazit, das einleuchtet und in dem Sympathie für die Bewegung mitschwingt:

Vielleicht ist es die Tragik jeder Protestbewegung, dass es immer auf dieses Dilemma hinausläuft: Wer sich selbst treu bleibt, steht sich manchmal selbst im Weg. Jede Welle bricht irgendwann. Aber es kommt immer eine nächste Welle.

Und ja: Man könnte das auch als Abgesang auf die Jugendbewegung lesen – oder aber auch als Erwartung, dass sich die Bewegung erneuern wird. Ich nehme an, dass sich die NZZ einfach nicht festlegen wollte. Und recht hat sie: Es ist schwer vorstellbar, dass die Klimabewegung am Ende ist – allein deswegen, weil der Kampf stagniert, wir das Pariser Abkommen nicht einhalten und wir der Jugend gar keine andere Wahl lassen, als weiterzumachen. Aber ob sie sich radikalisiert oder als Massenbewegung in der Mitte der Gesellschaft ankommt, bleibt abzuwarten.

Bei Facebook ist es schnell vorbei mit der Differenzierung

Also, wir stellen fest: Wir haben eine differenzierte Reportage, die auf Facebook an die Leserschaft gebracht werden soll. Und zwar mit diesem Post hier. Der enthält leider eine leichte Beigabe von Clickbaiting. Der Begleittext liest sich wie folgt:

Wie radikal darf eine Protestbewegung sein, bevor sie sich selber schadet? Die Klimaaktivisten stehen vor einer Zerreissprobe.

Auf Facebook ist es schnell vorbei mit der Differenzierung…

Wer keine Zeit hat, die mit über 30’000 Zeichen sehr lange Reportage zu lesen, der rezipiert nur die Botschaft von der Radikalität der Klimajugend – vorbei ist es mit der Differenzierung.

Und machen wir uns keine Illusionen: Wer auf Facebook zum Stichwort Klima nur ein kleines Windhäuchlein sät, der erntet einen Sturm von Missgunst und Feindseligkeit. Dementsprechend sind die Kommentare auch ausgefallen: «Dümmer gehts immer – werd’ Klimajünger», «Was für Klimaaktivisten? Sie meinen Klimaterroristen.»

Aber gut, damit kann man leben. Der Kommentar, den ich nicht unwidersprochen lassen wollte, stammt von einem T. Z. Junior, der schreibt:

Wo bleibt der Lastwagen, wenn man ihn braucht….

Das ist ohne Zweifel eine Anspielung an die Amoktaten, die mittels Lastwagen ausgeführt worden sind: 2016 starben in Nizza 86 Menschen, im gleichen Jahr kamen in Berlin am Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche zwölf Menschen ums Leben.

Lach-Smiley, Kuss-Smiley

T. Z. Junior hat diesen Zusammenhang in Abrede gestellt. Auf Nachfrage, wie er es denn gemeint haben will, schrieb er:

Wo bleibt der Lastwagen, wenn man ihn braucht, um solche Menschen wegzutransportieren… suchen Sie sich was aus 🤣😘

Diese Erklärung macht die Sache trotz der Emoticons kein bisschen besser: Wer friedliche Demonstranten – und auf dem von der NZZ verwendeten Foto ist eine friedliche Protestkundgebung zu sehen – deportieren will, der predigt wiederum Terrorismus. Wenn Demonstranten in Lastwagen weggefahren werden, dann geht der Terror vom Staat und nicht von einem radikalisierten Einzeltäter aus. Aber es bleibt eine Bedrohung der Gesellschaft und eine Absage an die Demokratie.

An dieser Stelle könnte man folgenden Einwand machen: «Klar ist das zynisch und verwerflich. Aber es ist nur eine weitere geschmacklose Wortäusserung, wie sie auf Facebook täglich hunderttausendfach stattfindet. Wenn man sich über jede einzelne aufregen würde, dann käme man nicht mehr aus der Wutspirale heraus.»

Schon mal darüber nachgedacht?

Das stimmt in gewisser Weise sogar. Aber ich weigere mich auch im Jahr 2021, solche Kommentare hinzunehmen. Und ja, leider kann ich nicht gegen jede Entgleisung anschreiben. Aber das heisst nicht, dass man es gleich ganz bleiben lassen sollte, oder?

Also, darum eine freundliche Aufforderung an den Herrn T. Z. Junior:

Bevor Sie sich die Deportation von, beziehungsweise eine Amokfahrt eines Lastwagens über Jugendliche wünschen, die sich für ein mehr als berechtigtes Anliegen einsetzen, überlegen Sie sich bitte, dass in so einem Protestzug auch Ihr Kind stehen könnte. Denn es soll vorkommen, dass Kinder andere Ansichten als ihre Eltern vertreten – und in Ihrem Fall vielleicht sogar mit etwas mehr Weitsicht gesegnet sind. Und wenn Sie keine Kinder haben: Vielleicht würde Ihr Bruder oder Ihre Schwester niedergewalzt oder ins Lager geschafft. Oder sonst jemand, den Sie gernhaben.

Was mich aber noch mehr geärgert hat, ist, dass der Kommentar stundenlang bei der NZZ zu sehen war. Nachdem ich ihn gelesen hatte, habe ich in einer Antwort unter Erwähnung via @ die NZZ darauf aufmerksam gemacht. Trotzdem ist weitere 24 Stunden lang nichts passiert. Daraufhin habe ich zu diesem Blogpost hier angesetzt, der mit der NZZ in der Endpassage hart ins Gericht ging¹.

Nach Stunden die Löschung

Am Freitagabend war die Amok-Fantasie nun weg, darum erspare ich mir, euch und der NZZ diese Kritik – auch wenn ich nicht weiss, ob wirklich der Social-Media-Manager für die Löschung zuständig war oder ob Herr T. Z. Junior selbst Einsicht bewiesen hat. Ich finde es nicht gut, dass in so einem Fall der ganze Ast des Threads verschwindet, ohne dass für die Beteiligten der Grund dafür ersichtlich ist. Ich würde es vorziehen, wenn mit Hinweis auf den Verstoss gegen die Netiquette der Inhalt geschwärzt würde, die Diskussion um den Kommentar aber ersichtlich bliebe – das hätte auch eine erzieherische Wirkung.

Trotzdem: Danke an die NZZ fürs Löschen, auch wenn ihr euch leider wahnsinnig lange damit Zeit gelassen habt und es erst passiert ist, als das Interesse an dem Post wahrscheinlich schon gegen null tendierte. Es wäre wichtig, dass das schneller geht: Denn so hatte der Hass halt doch ein viel zu grosses Publikum.

Fussnoten

1) Ich hatte die Gelegenheit wahrgenommen, die «Neue Zürcher Zeitung» an ihre eigenen Regeln für Kommentare zu erinnern, auf die die NZZ explizit in ihrem Facebook-Auftritt verweist. Sie sind hier zu finden. Gemäss Punkt 9 verbietet die NZZ…

Beiträge, die als Aufforderungen zur Gewalt oder zu sonstigen Straftaten verstanden werden können oder gewaltverherrlichende oder pornografische Inhalte teilen.

Beitragsbild: Was könnte ein Lastwagen an einer Klimademo wohl verloren haben (Wolfgang Hasselmann, Unsplash-Lizenz)?

2 Kommentare zu «Der ganz normale Hass bei Facebook»

  1. NZZ ist doch das Nazi-Freunde-Blatt. Die kennen Anstand nur, um gegen Linke zu hetzen, aber wenn es dann um die Definition und Substanz von Anstand geht, stehen Sie den Rechtsextremen, vor die sie andauernd ihre schützende Hand halten, in nichts nach. Wer NZZ liest und dann auch noch glaubt, was die schreiben, der ist ziemlich lost.

    1. Ich lese die NZZ noch, auch wenn ich diese Kritik sehr gut nachvollziehen kann, mich über manche inhaltliche Position gewundert und mich gefragt habe, ob man sie nun endgültig zu den «alternativen» Medien zählen muss. Der andauernde Applaus von AfD-Kreisen aus Deutschland sollte kein Ziel, sondern Abschreckung sein.

      Doch bis jetzt habe die NZZ nicht abgeschrieben. Ich sehe noch Hoffnung, dass sie zu den alten Stärken zurückkehrt. Denn es wäre im eigenen Interesse – ich finde, die frühere, wirtschaftsliberale Positionen wichtig in der Schweizer Medienlandschaft, auch wenn ich natürlich schon früher mit vielen nicht einverstanden war. Aber immerhin war die NZZ ein ehrenwertes Medium, das sich mehr der Berichterstattung als der Meinungsmache verpflichtet gefühlt hat.

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