So schreibt ihr euren Erfolgsroman

Bei Reedsy gibt es nicht nur einen Texteditor für Literaten, sondern ein ganzes Ökosystem für Autoren und Verlage.

Wer dieses Blog hier auch zwischen den Zeilen liest, dem sind gewisse Dinge nicht entgangen. Beispielsweise mein innerer Drang, die Amateurliga hinter mir und die Bloggerei bleibenzulassen und mich stattdessen der Königsdisziplin zuzuwenden: der echten Literatur – oder zumindest dem Unterhaltungsgenre, wo es zwar keinen Nobelpreis zu gewinnen, aber immerhin Tantiemen zu verdienen gibt.

Diese Ambition lässt sich daran erkennen, dass ich immer mal wieder Programme vorgestellt habe, die man als richtiger Autor verwenden würde: In Schreiben wie Hemingway geht es um eine Text-App, die Stil-Empfehlungen gibt. In Mit dieser App ist der Bestseller-Roman ein Klacks um eine App, die einem bei der Konzeption und Planung seiner Geschichte hilft. Und in Kreative Texte (trotz Word) ging es unter anderem um die Textverarbeitung Papyrus, die sich explizit an Schriftsteller wendet.

Apropos Papyrus: Ich habe mich seinerzeit gefragt, ob mit dieser Software tatsächlich Bestseller geschrieben werden oder ob sie Leute kaufen, die gerne ein Buch verfassen und sich von der Software die nötige Hilfe versprechen. Nun, diese Frage kann ich inzwischen beantworten. Andreas Eschbach hat sich nämlich neulich als Anwender dieser App geoutet.

Als ich mich neulich wieder einmal mit diesem Theme beschäftigt habe, bin ich auf eine interessante Community gestossen. Sie heisst reedsy.com und ist ein britisches Startup, das es immerhin schon seit 2014 gibt. Ich habe mir das näher angeschaut, weil mich Textverarbeitungen aller Art interessieren, und Reedsy einen Editor in petto hat, der fürs Schreiben von längeren Werken ausgelegt ist.

Marathonschreiben im Browser

Mit diesem Editor schreibt man im Browser. Er ist für längere Werke ausgelegt, die sich ohne Extra-Aufwand nach Kapiteln gliedern lassen. Die Oberfläche ist einfach gehalten und wenn man die Bedienelemente ausblendet und den Browser mit F11 in den Vollbildmodus versetzt, sieht man nur seinen Text und eine unscheinbare Leiste am rechten Rand.

Der Editor zeigt einem seine Fortschritte an. Und formatieren kann man die Texte auch, wenn man denn will.

Formatierungen werden über ein Menü vorgenommen, das erscheint, wenn man eine Textmarkierung vornimmt. Das Angebot an Formatierungsfunktionen ist überschaubar, was aber nicht weiter stört, weil literarische Werke mit wenig Formatierungen auskommen. Die unendliche Geschichte mit ihrem zweifarbigen Text – rote für die Geschehnisse in der Menschenwelt, blaugrün für Ereignisse in Phantásien – ist die absolute Ausnahme. Normalerweise reichen kursiv und fett, falls man überhaupt irgendwelche Hervorhebungen vornehmen muss.

In der erwähnten Leiste gibt es einige nützliche Werkzeuge für Leute, die das Schreiben nicht wie wir Journalisten oder Blogger auf der Kurzstrecke betreiben, sondern als Marathonläufer unterwegs sind: Bei Goals & insights sieht man, wie viel Text man pro Tag produziert hat. Unter Suggestions verwaltet man Vorschläge und kann sich gelöschte Passagen anzeigen lassen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass der Trennungsschmerz gemildert wird, wenn man Sätze oder ganze Abschnitte, die nicht in den Text passen wollen, nicht endgültig löscht, sondern aufbewahrt – für den Fall, dass man sie doch wieder würde hervorzaubern wollen.

In der Writing Timeline findet sich eine Versionsverwaltung, in der man Meilensteine abspeichern und mit Sternen versehen kann. Auch das eine sinnvolle Sache, wenn man sich während des Schreibens nicht sicher ist, ob man sich vielleicht in eine Sackgasse manövriert.

Export für den Druck und fürs Ebook

Das ist alles einleuchtend – und gut gefallen mir auch die Exportfunktionen. Man kann den fertigen Text als PDF oder für E-Books als Epub und im Mobi-Format ausgeben. Oder man macht gleich eine Vorlage, um sie im Print-on-Demand-Verfahren zu drucken und im Eigenverlag (Self publishing) herauszugeben.

Der Export für den Druck und die Veröffentlichung als E-Book.

Mit anderen Worten: Dieses Reedsy ist eine spannende Sache: Die Anwendung kümmert sich nicht nur um die Texterfassung, sondern auch um den Schreibprozess. Es fehlt eigentlich nur ein Modul, das bei der Planung der Handlung hilft und mit dem man seine Notizen, Figuren und andere Dinge verwaltet.

Im Blog empfiehlt Reedsy zu diesem Zweck Scrivener. Das ist ein Outliner, den ich hier auch schon erwähnt habe. Ausserdem plottr.com, eine «visuelle Buchplanungssoftware», mit der man seine Kreativität in neue Sphären befördert. Muss ich unbedingt ausprobieren!

Ein Marktplatz für Verlage und Dienstleister

Reedsy ist aber noch mehr: Es gibt nämlich auch eine Art Community bzw. einen Platz, auf dem man als Dienstleister seine Haut zum Markt trägt: Man erstellt ein Profil mit seinen Fähigkeiten und Stärken, und wird so – im Idealfall – von Auftraggebern gefunden. Es geht hier nicht um Jux und Dollerei, sondern um die Vermittlung von Aufträgen, wobei Reedsy eine aktive Rolle übernimmt, wie Wikipedia beschreibt:

Eine Hauptaufgabe von Reedsy ist es, die Referenzen von professionellen Freelancern aus der Verlagsbranche zu überprüfen. Diese Freelancer sind keine fest angestellten Mitarbeiter, sondern arbeiten auf Projektbasis mit Autoren. Reedsy prüft Story-Editoren, Cover-Designer, Ghostwriter, Marketing-Strategen und andere Freiberufler, indem es ihre bisherige Arbeitserfahrung für Mainstream-Verlage verifiziert und ihre allgemeine Erfolgsbilanz in der Verlagsbranche untersucht.

Als Autor sucht man auf der Plattform nach einem Lektor für sein Werk, mach einem Gestalter für den Buchumschlag und einem Marketingexperten, der das selbst verlegte Werk bei Amazon in die Hitparade bringt. Umgekehrt kann man sich als Schreiberling als Ghostwriter verdingen oder (vielleicht) von einem Talentscout eines Verlags entdecken lassen.

Und auch wenn ich nicht die unmittelbare Absicht habe, meinen Bettel als Journalist hinzuwerfen und mein Glück als Autor via Reedsy zu suchen, so habe ich doch ein Profil angelegt, das hier zu finden ist. Denn – man weiss ja nie.

Jedenfalls ist das ein spannendes Beispiel für die digitale Transformation einer Branche. Früher war man als Freelancer auf gute Beziehungen angewiesen und darauf, die Leute zu kennen, die einem die Jobs zuschanzen konnten. Heute, mit einer solchen Plattform, sind Aufträge weniger ein Beziehungsdelikt. Allerdings dürfte die Konkurrenz ungleich grösser sein. Mich beschleichen jedenfalls zwiespältige Gefühle: Ein digitaler Marktplatz sorgt für grosse Transparenz. Aber sind persönliche Beziehungen nicht auch etwas wert?

Beitragsbild: Eine leicht romantisierte Darstellung eines Mitglieds der schreibenden Zunft (Dziana Hasanbekava, Pexels-Lizenz).

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