Chatbots gegen Schwurbler

Die künst­liche Intel­ligenz sorgt für mehr Fake­news und Des­in­for­ma­tion. Doch sie hilft uns auch dabei, auf Face­book und Twitter mit Fak­ten da­ge­gen­zu­hal­ten.

Die künstliche Intelligenz wird das Problem mit Desinformation verschärfen und eine Welle an Fakenews auslösen: Eine Befürchtung, die nicht von der Hand zu weisen ist, wie wir bei Axios, NPR, «The Guardian», «Watson», Deutschlandfunk und fast jedem anderen Medium nachlesen können.

Diese Medaille hat jedoch eine zweite Seite, wie mir neulich aufgegangen ist: Die Chatbots sind auch eine unschlagbare Hilfe gegen Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und Fakenews-Verbreiter.

Als Vertreter des rationalen Denkens und als Freundinnen von belastbaren Fakten haben wir das Problem, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Will sagen: Eine typische Strategie der Menschen, die alternative Weltsichten unter die Leute bringen wollen, ist die Informationsüberflutung: Bei einer Diskussion auf Facebook, Twitter oder in sonst einem sozialen Medium werden ständig neue Fronten aufgemacht, sodass es kaum möglich ist, hinterherzukommen: Denn wir behaupten nicht einfach das Blaue vom Himmel herunter, sondern wollen unsere Aussagen mit Fakten unterlegen und schlüssig argumentieren. Das erfordert Zeit und Nerven.

Warum ist die Erde doch nicht flach?

Bei diesem Kampf sind die Chatbots eine riesige Hilfe. Zum Beispiel: «Lieber ChatGPT, erklär mir in zwei Sätzen, warum die Erde nicht flach ist». Antwort: «Die Erde ist nicht flach, sondern eine annähernd kugelförmige Körper, da dies durch eine Vielzahl von wissenschaftlichen Beobachtungen und Messungen bestätigt wird, wie z.B. die Krümmung des Horizonts, die Schattenwürfe bei Sonnenfinsternissen und die Form von Erdsatellitenbahnen.»

Und ja, natürlich: Es fällt auf, dass ChatGPT nur einen Satz zurückliefert und nicht zwei, wie gewünscht. Ausserdem würden wir einen eingefleischten Flacherdler mit dieser Aussage nicht überzeugen, sondern nur weiter anspornen – auf dieses Problem komme ich gleich noch zu sprechen.

Trotzdem: Wenn wir uns entscheiden sollten, dass eine Entgegnung sinnvoll ist, dann sind Sprachmodelle wie ChatGPT eine grosse Hilfe. Sie liefern uns eine Rohfassung für unsere Entgegnung. Die enthält (oft, nicht immer) brauchbare Argumente und auch die wesentliche Aspekte. Und wenn wir sie etwas umschreiben – was wir selbstverständlich tun –, dann lässt sie sich auch leicht in der Tonalität so adaptieren, dass sie zur Diskussion und zu unserem eigenen Stil passt.

Antreten gegen Rassismus

Ist der Fragesteller an einer echten Antwort interessiert?

Ein anderes Beispiel, das etwas näher an der Facebook-Realität liegt, ist ein Post, der einer meiner Facebook-Bekanntschaften vor ein paar Tagen repostet hat: «Woher haben eigentlich die ganzen unterentwickelten Dritte-Welt-Länder so viele Fachkräfte? Und warum nutzen diese Länder nicht diese ‹Fachkräfte›, um sich zu entwickeln und den Lebensstandard zu erhöhen?»

Der Post wurde im Original über 7100-mal geteilt. Und er ist ein exzellentes Beispiel dafür, warum die Diskussionen in den sozialen Medien oft so schwierig sind – die Engländerinnen nennen das treffend ein uphill battle: Wenn man sich naiv stellt oder naiv ist, dann leuchtet diese Argumentation sofort ein. Der Subtext – «Die armen Länder haben keine Fachkräfte. Und wenn sie welche hätten, sollten sie sie gefälligst selbst einsetzen, statt dass sie hierherkommen» – wird in typischer Polemik in eine scheinbar harmlose Frage verpackt.

Gibt es eine gute Entgegnung, die sich ebenso knackig formulieren lässt, wie diese Frage? Ich habe habe mich schwer getan. Die Sache ist kompliziert. Und die zweite Frage hat eine gewisse Berechtigung: Ist es legitim, Fachkräfte abzuziehen, die dann in ihrer Heimat fehlen?¹

Aber was mich wirklich stört und es mir unmöglich macht, diesen Facebook-Post unkommentiert stehenzulassen, ist der latente Rassismus: Er appelliert an den niederen Instinkt, die Unterschiede zwischen «uns» und «denen» für verdient, gerechtfertigt oder naturgegeben zu erachten – getreu dem Kern der kolonialen Rassenlehre, dass manche «Rassen» «dümmer sind».

Argumentationshilfe von Perplexity

Wenn wir dagegenhalten wollen, sollten wir versuchen, das aufzuzeigen. Ich habe mir daher von Perplexity (Wie ChatGPT, nur besser) einen kurzen Text liefern lassen, warum die Schwellenländer viele kluge Leute haben, dieses Potenzial aber nicht ausspielen können – denn wenn wir das akzeptieren, dann ist es logisch, dass ein Austausch von Fachkräften in alle Richtungen eine Chance für alle sein könnte. Und bei dieser Frage hilft uns Perplexity schnell und unkompliziert weiter.

Hat es was gebracht? Nein, ich fürchte nicht. Oder wenn überhaupt, dann nur wenig. Ein paar Likes gab es für meine Antwort, aber vermutlich stand ich auf verlorenem Posten. Denn bei vielen sind die Meinungen gemacht und erfahrungsgemäss bewirken Argumente bei Themen, bei denen auch Verschwörungstheorien wie der grosse Austausch reinspielen, nichts bzw. bloss eine weitere Verhärtung. Darum kann uns die KI die Entscheidung, wie wir in solchen Fällen dagegenhalten, nicht unbedingt unterstützen. Aber wenn wir es mit Fakten probieren wollen, dann ist sie hilfreich!

Fussnoten

1) Ich finde ja, wenn auch eine Bewegung in die Gegenrichtung stattfindet – wie z.B. hier beschrieben.

Beitragsbild: Duell Roboter gegen Verschwörungstheoretiker (Adobe Firefly zum Prompt: «a robot face to face with a crazy looking man with a tinfoil hat and a raised fist»).

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