Es gibt ein Thema, auf das ich dieses Jahr andauernd angesprochen wurde. Es steht, so scheint mir, symbolhaft für das Gefühl, das wir gegenüber den Tech-Konzernen entwickelt haben. Unser Misstrauen kommt darin zum Ausdruck. Und gleichzeitig legt es unsere Abhängigkeit offen, die uns hindert, Tabula Rasa zu machen.
Die Angelegenheit, mit der mich die Leute konfrontiert haben, hat mit Facebook zu tun: Es ist die Frage, ob die App dieses Konzerns uns belauscht. Ich habe hier darüber gebloggt und ihr im Mai einen grossen Artikel gewidmet, in dem ich erkläre, warum ich das für unwahrscheinlich halte. Kurz zusammengefasst: Solche Lauschaktionen würden auffallen, weil sie auffälligen Datenverkehr oder Last auf dem Prozessor verursachen würden. Sie wären illegal und es wäre unvernünftig, dieses Risiko einzugehen. (Und ja, mir ist die Ironie bewusst, im Zusammenhang mit Facebook mit Vernunft zu argumentieren.)
Vor allem aber lassen sich die Fälle zumindest theoretisch auch ohne Abhörung erklären – durch die Macht von Big Data.
Schon, aber …
Die Reaktion der Leute auf diese Argumentation war durchs Band weg identisch: Die Leute fanden das allgemein einleuchtend, stellten sich aber auf den Standpunkt, dass ihr individueller Fall dadurch nicht hinreichend erklärt sei.
Beim letzten konkreten Fall hat eine Facebook-Freundin per Whatsapp mit einem Freund telefoniert. Das Gespräch kam auf Matratzen eines bestimmten Herstellers. Und es passierte das, was bei diesen Erzählungen immer passiert: Ein paar Stunden später hat sie auf Facebook Werbung für genau diese Matratzen gesehen.
Die Facebook-Freundin gehört nicht zu der Sorte Mensch, die sich leicht etwas vormachen lässt. Nein, man muss sich schon Mühe geben, sie zu überzeugen. Trotzdem hat sie in diesem Fall geunkt, es sei «ein Schelm, der Böses denkt».
Ein Paradebeispiel, wie wichtig kritisches Denken ist
Für mich ist ein Paradebeispiel, dass kritisches Denken harte Arbeit ist. Und besonders kräftezehrend ist es, wenn es um uns selber geht. Da müssen wir uns mit abstrakten Gedankengängen gegen unser Bauchgefühl und unsere «Intuition» wehren, für die alles schon längstens klar ist.
Aber genau dieser Fall zeigt auch auf, weshalb es wichtig ist, dass wir es tun: Wenn wir die Behauptung unausgesprochen im Raum stehen lassen, dass wir hier hinterrücks abgehört wurden, dann finden wir uns in der Opferrolle wieder. Nicht nur das: Obwohl wir in Betracht ziehen, dass wir auf niederträchtige Weise hintergangen wurden, wir ziehen keine Konsequenzen. Wir übernehmen keine Verantwortung für uns und unsere Privatsphäre. Und, fast noch schlimmer, wir lassen Freundinnen und Freunde im Regen stehen, die ebenfalls abgehört werden.
Das kratzt natürlich am Ego. Wenn solche Ereignisse sich wiederholen, dann entsteht die Geisteshaltung eines Verschwörungstheoretikers, der das Gefühl hat, ständig von dunklen Mächten hintergangen zu werden.
Facebook-Abhör-Verdacht-Debunking reloaded
Darum bleibt es dabei: Ich halte auch diesen Fall hier für erklärbar – sonst würde ich noch heute mein Facebook-Konto löchern und alle meine Freunde dazu auffordern, es mir gleichzutun. Aber es auch eine Tatsache, dass ich keine klaren Beweise und keine «smoking gun», sondern nur Indizien habe. Nämlich die folgenden:
- Die Facebook-Freundin hat vorher über Wochen und Monate in ihrem Bekanntenkreis über Dinge gesprochen, die hinterher nicht zu entsprechenden Facebook-Anzeigen geführt haben. Die Matratzen-Sache lässt sich durch selektive Wahrnehmung erklären.
- Es könnte sich um einen simplen Zufall handeln – denn entgegen der Behauptung der Verschwörungstheoretiker existieren Zufälle tatsächlich.
- Matratzenhersteller wissen vermutlich genau, in welcher Jahreszeit sich die Leute für neue Matratzen interessieren und schalten dementsprechend ihre Anzeigen.
- Vielleicht hat der Freund der Facebook-Freundin selbst nach der Matratze gegoogelt oder einem weiteren Bekannten davon erzählt, der daraufhin im Internet recherchiert hat. Da Facebook diese Beziehungen und «Bubbles» kennt und meines Erachtens bei der zielgerichteten Werbung ausnutzt, kommt es dazu, dass die Internetsuchen einer Person Auswirkungen darauf haben, welche Banner bei ihren Freundinnen und Freunde ausgespielt werden. Das ist die besagte Macht von Big Data.
Wir könnten in dem Fall auch mit Verschwörungstheoretiker-Logik argumentieren: Dazu nehmen wir einmal an, dass Facebook die Nutzerschaft abhört. In diesem Fall würde Facebook alles daran setzen, keinen Verdacht zu erwecken. Darum wäre es geradezu idiotisch, wenn Zuckerberg und sein Konzern sein illegal erworbenes Wissen sogleich ausnutzen würde. Nein, natürlich würde er tunlichst darauf achten, dass ein paar Tage verstreichen, bis die Werbung erscheint. Denn was die Verschwörer unbedingt vermeiden müssen, ist, die Schlafschafe aufzuwecken!
Beitragsbild: Er sieht doch wirklich ein wenig aus wie Mark Zuckerberg (Cottonbro Studio, Pexels-Lizenz).