Es gibt eine Frage, mit der in schöner Regelmässigkeit konfrontiert werde. Sie lautet: Hören die Tech-Konzerne uns via Smartphone und Computer unsere Gespräche ab? Der Ausgangspunkt ist immer der Gleiche: Jemand hat sich offline mit jemand anderem über ein Thema unterhalten und hinterher Werbung zum besprochenen Thema angezeigt bekommen.
Klar: Technisch wäre ein solcher Lauschangriff möglich: Siri, Google Assistant und Amazon Alexa zeigen auf, wie weit das Verständnis der Maschinen für gesprochene Sprache geht. Aber ist es auch wahrscheinlich, dass das passiert?
Ich erkläre gleich, was ich den Leuten jeweils auf diese Frage antworten. Aber erst eine Bitte an euch: Ich möchte das Thema gerne für die Tamedia aufgreifen. Dafür wäre es allerdings spannend, wenn ich nicht auf Mutmassungen angewiesen wäre. Also, wenn jemand von euch einen solchen Fall aufklären und in Erfahrung gebracht hat, wie der Eindruck entstehen konnte, dass Facebook oder Google mithört, dann wäre ich froh um eine Meldung per Kommentar oder auch über das Kontaktformular am Ende.
Wenn das auffliegen würde, wäre der Skandal riesig
Jetzt wie versprochen meine Einschätzung: Ich glaube nicht, dass der Computer zuhört. Das wäre ein extrem unethisches Vorgehen und ein riesiges Reputationsrisiko – sogar für Unternehmen wie Facebook, dem wir alle im Umgang mit unseren persönlichen Daten einige Schurkereien zutrauen. Erinnern wir uns an die Aufruhr von 2019, als herauskam, dass die digitalen Assistenten, namentlich Siri, Google Assistant und Amazon Echo unter Umständen Aufnahmen an die Hersteller übermitteln, die dort transkribiert und analysiert werden.
Das war ein Skandal, der bis heute das Vertrauen in die Assistenten erschüttert, obwohl die übermittelten Aufnahmen vergleichsweise kurz waren – maximal dreissig Sekunden.
Um verwertbare Informationen aus Gesprächen zu ziehen, müsste die Lauschaktion länger dauern. Gespräche müssten in Gänze oder über längere Zeit abgehört werden – denn bekanntlich fallen die meisten Leute nicht gleich mit der Tür ins Haus, sondern nähern sich über Smalltalk und Allgemeinplätze den wesentlichen Themen an.
Um so an verwertbare Informationen zu gelangen, muss man so lange zuhören, dass sich das nicht als Versehen abtun lässt. Wenn Aufnahmen von fünf, zehn oder noch mehr Minuten analysiert und für Werbezwecke verwendet würden, dann wäre das ein Skandal erster Güte, der die Politik zum Handeln zwingen würde. Es würde ohne Zweifel Untersuchungen, Anhörungen und schärfere Gesetze geben – allein, weil auch die Politikerinnen und Politiker betroffen wären.
Nicht nur das: Es würde das Vertrauen in die Tech-Konzerne und ins Smartphone erschüttern und als Kollateralschaden auch die Geschäfte von den Geräteherstellern beeinträchtigen. Allein deswegen glaube ich nicht, dass beispielsweise Apple bei solchen Praktiken einfach hinnehmen würde.
Die Spuren liessen sich kaum verwischen
Das Risiko, aufzufliegen, ist daher beträchtlich. Eine solche Abhörung hinterlässt Spuren, die Experten auffallen würden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch versierte Anwender Anzeichen feststellen könnten. Denn eine Abhörung braucht Ressourcen: Entweder müssen die Aufnahmen in Gänze an einen Clouddienst übermittelt werden, was Netzwerkverkehr verursacht. Oder sie werden auf dem Gerät analysiert, was mit CPU-Last einhergeht und bei mobilen Geräten die Batterielaufzeit verringert. Ausserdem weisen viele Betriebssysteme inzwischen darauf hin, wenn das Mikrofon in Verwendung ist. Das iPhone zeigt das durch einen orangen Punkt in der Titelleiste an.
Um die Anzeichen einer Abhörung zu vertuschen, müsste ein beträchtlicher Aufwand betrieben werden. Es ginge wohl nicht ohne die Ausnutzung von Sicherheitslücken, um insbesondere Hinweise auf die Mikrofon-Verwendung zu unterdrücken. Damit wäre eine solche Abhöreinrichtung nicht nur aus ethischer, sondern auch aus technischer Sicht unzweifelhaft eine Schadsoftware und somit ein Instrument der Cyberkriminalität. Mit anderen Worten: Jedem ist klar, dass mit dieser Form der Datensammelei eine sehr dicke rote Linie sehr eindeutig überschritten wird.
Bleibt die Frage: Warum haben trotzdem so viele Leute den Eindruck, dass genau das passiert?
Manchmal – aber nicht immer – ist es einfach Zufall
Ich denke, in manchen Fällen spielt der Zufall mit. Das zeigt das Experiment des WDR, das im Beitrag Smartphone-App: Hört Facebook Gespräche mit? erläutert wird. Es kommt vor, dass beliebte Dinge wie eine Hochzeit oder eine bestimmte Feriendestination unabhängig voneinander in Gesprächen thematisiert und mittels Bannern beworben werden.
Apropos: Ich kann mir schlecht vorstellen, dass man eine Ferienreise oder eine Hochzeit plant, ohne digitale Spuren zu hinterlassen – selbst wenn man sich hinter vielleicht nicht mehr an die Google-Suche erinnert. Doch mit solchen Recherchen macht man sich gläsern und gibt Informationen preis, die mit zielgerichteter Werbung verwertet werden. Die Monetarisierung kann durchaus mit Zeitversatz zur Netzrecherche passieren (Alibiübungen und Fehleinschätzungen von Google). Wenn wir also Woche oder Monate später eine Werbung sehen, ist uns vielleicht nicht mehr die Online-Suche, sondern nur noch das Gespräch mit einem Freund oder Freundin präsent.
Ausserdem bin ich überzeugt, dass die Daten sammelnden Tech-Konzerne inzwischen ausgezeichnet dabei sind, Querverbindungen herzustellen. Da wir mit unseren Freunden naturgemäss über Themen sprechen, die uns gemeinsam beschäftigen, beeinflussen die Webrecherchen einer Person die Werbung, die deren ganzer Freundeskreis zu sehen bekommt. Es gehört bekanntlich zu Facebooks Kernkompetenz, unsere Beziehungsverhältnisse in allen Einzelheiten zu kennen. Nebenbei unterstelle ich, dass Mark Zuckerberg mittels seiner mobilen App den Versuch unternimmt festzustellen, wann sich online befreundete Leute in der realen Welt treffen.
Ein Erklärungsmodell über drei Etappen
Wenn das Targeting nicht nur über zwischen zwei, sondern sogar über noch mehr Stufen abläuft, wäre es in der Tat so, dass zwei Personen selbst online kein Interesse an einem Thema bekundet haben, aber trotzdem via Facebook oder Google mit entsprechenden Angeboten eingedeckt werden.
Konkret würde das so ablaufen, dass Person A eine Webrecherche durchführt und mit ihrem Freund B darüber spricht. Freund B findet das Thema X so interessant, dass er es bei Freundin C auf Tapet bringt. Weil alle drei auch online miteinander befreundet sind oder von einem Algorithmus dem gleichen Dunstkreis zugerechnet werden – was technisch keine so grosse Herausforderung ist –, kommt Facebook auf die Idee, Freundin C eine Werbung zu Thema X anzuzeigen.
Und voilà: Freundin C sieht ein Banner zu Thema X, das sie nur aus dem Gespräch mit ihrem Freund B kennt. Facebook aber kennt es von Person A.
Also, falls ihr eigene Erfahrungen habt, unten gibt es die Kommentare und hier das versprochene Kontaktformular:
Nachtrag
Es ist tatsächlich so, dass ich mit diesem Blogpost nicht alle überzeugt habe. Ich habe darum noch einmal nachgelegt: Die Matratzenverschwörung bei Facebook
Beitragsbild: Mark Zuckerbergs Ohr wäre nicht ganz so niedlich (Franco Antonio Giovanella, Unsplash-Lizenz).
Ich denke auch, dass es Zufälle sind, wenn wir Werbung für etwas angezeigt bekommen, über das wir gesprochen haben. Zumindest habe ich keine Beweise für „Mithören und an Google senden“ gefunden und ich gehe davon aus, dass schon viele Leute den Datenverkehr ihres Smartphones analysiert haben, um einen solchen Skandal aufzudecken.
Einerseits gewichten wir Zufälle zu hoch und schreiben ihnen eine Bedeutung zu. Wenn wir einen alten Schulkollegen in der Stadt sehen, denken wir „die Welt ist klein“. Wir denken nicht an die letzten 50 Shopping-Touren, an welchen wir niemanden getroffen haben, den wir kannten.
Andererseits ist die Informationsbeschaffung und -verknüpfung mittlerweile sehr fortgeschritten. Ein Kollege konnte nachweisen, dass er im Büro am PC (ohne im Browser oder bei Google eingeloggt zu sein) nach etwas suchen kann und zu Hause am PC dann entsprechende Autocomplete-Vorschläge erhält. Das tönt nach Spionage, ist aber erklärbar: Da er immer sein Smartphone dabei hat, weiss Google, wo und von wann bis wann er arbeitet und evtl. hat er im Büro mal nach etwas Persönlichem gesucht und prompt konnte die Verknüpfung zu ihm hergestellt werden.