Meine Smartwatch bestätigt, dass ich keine faule Sau bin

Die Uhren von Garmin weisen nicht nur Stress­level, sondern auch einen Schlaf-Score und den Füll­stand der Body-Battery aus. Sind diese An­ga­ben akkurat? Und bringen sie im Alltag etwas?

Wie es sich heute gehört, haben die smarten Uhren von Garmin eine Reihe von Sensoren eingebaut, mit denen sie rund um die Uhr Daten erheben; namentlich den Puls und die Intensität, was Bewegung und Sport angeht.

So weit, so einleuchtend. Nun hat Garmin schon mit der Fēnix 5 (hier getestet) durch ein Update eine Anzeige hinzugefügt (Version 5.83 vom Dezember 2019). Das ist der Stress-Level, der den Anspannungsverlauf über den Tag hinweg anzeigen soll: mit einer Kurve, die zwischen kompletter Ruhe und totaler nervlicher Belastung oszilliert.

Mit der Fēnix 7 (hier getestet) sind Werte hinzugekommen: Die Uhr ermittelt, wie gut der Träger geschlafen hat und ermittelt schliesslich den Füllstand der Body Battery: Er setzt die körperliche Leistung mit der Entspannung in Relation und zeigt auf, wieweit beide in Einklang stehen: Falls nicht, dann sollte einem das als Warnung dienen, den Körper nicht weiter auszubeuten, sondern sich Erholung zu gönnen.

Das ist Hokuspokus, oder?

Ich war sehr skeptisch, als ich nach einem Update die Stress-Anzeige in der Garmin-Connect-App entdeckt habe. Denn wie sollte die Uhr meinen Stresslevel feststellen? Das roch mir nach einem kaum erfüllbaren Anspruch. Meine Vermutung war, dass die Werte, die die Uhr ermittelt, entweder völliger Hokuspokus oder aber so ungenau sind, dass sie wenig bis nichts bringen.

Nun, ich habe mich eines Besseren belehren lassen. Zwar zeigt die Uhr im normalen Alltag kleinere Schwankungen bei meinem Stresslevel, die sich nicht immer erklären lassen. Doch die grossen Ausschläge waren immer plausibel – und so genau und akkurat, dass kein Zweifel daran besteht, dass diese Messmethode funktioniert.

Die Stresslevel: Es ist deutlich zu sehen, wo das Virus zugeschlagen hat.

Seit die Stress-Messung eingeführt worden ist, hatte ich drei-, viermal die Gelegenheit, krank zu sein. Es gab auch Momente, in denen ich psychisch stark unter Druck stand. Und beides hat sich in der Messung abgebildet: Man sieht der Kurve an, wann die Krankheit eingesetzt hat und auch die Genesung ist ersichtlich. Mein persönliches Empfinden und die Kurve verliefen dabei meist so synchron, dass ich mir zugetraut habe zu extrapolieren, wann ich wieder fit sein würde.

Wie funktioniert dieser Zaubertrick?

Ich finde das beeindruckend. Und natürlich wollte ich wissen, wie Garmin das macht. Die Messung basiert auf der Herzfrequenzvariabilität (HFV, bzw. heart rate variability oder HRV in Englisch). Die besagt, dass das Herz nicht immer regelmässig schlägt. Hier erklärt das Garmin wie folgt:

Ihr Herz wird durch das autonome Nervensystem (ANS), den unwillkürlichen Teil Ihres Nervensystems, gesteuert. Es gibt zwei Zweige des ANS: den Sympathikus und den Parasympathikus. Der sympathische Zweig des ANS ist aktiv, wenn Sie unter einer Art von Stress stehen. Er ist der Teil Ihres ANS, der alle Systeme in Alarmbereitschaft versetzt. Im Gegensatz dazu ist der parasympathische Zweig der entspanntere Teil, der einfach vor sich hin brummt, wenn Sie entspannt sind.

Dementsprechend leuchtet es ein, dass der sympathischen Zweig den Körper auf Touren bringt und die Herzfrequenz ansteigt, damit der Körper reaktionsbereit ist. In dieser Situation wird auch der Herzrhythmus regelmässiger, was gleichbedeutend mit einem Rückgang der HFV ist. Mir kommt das vom Sport bekannt vor: Wenn ich mich voll verausgabe, dann pumpt das Herz wie eine Maschine. Liege ich hingegen auf dem Sofa und tue nichts, dann tuckert es manchmal auch spürbar unregelmässig.

Also: Kein Hokuspokus, sondern Wissenschaft, wie man auch Wikipedia nachlesen kann.

Die Herzfrequenzvariabilität spielt auch bei den beiden anderen Messwerten eine entscheidende Rolle, nämlich bei der Schlafanalyse und der Body Battery. Die werden wie folgt erklärt:

  • Erweiterte Schlafanalyse: «Durch den Einsatz des optischen Herzfrequenzsensors messen wir die Herzfrequenzvariabilität, wodurch wir in Kombination mit dem Beschleunigungssensor feststellen, wann Sie einschlafen, wann Sie aufwachen und in welchem Ausmass Sie schlafen.»
  • Body Battery: «Die Body Battery ist eine Funktion, die eine Kombination aus Herzfrequenzvariabilität, Stress, Schlafqualität und Aktivität verwendet, um die Energiereserven des Benutzers den ganzen Tag über abzuschätzen.»

Die Werte sind mit Unsicherheiten behaftet

Man könnte sagen, dass es sich bei diesen beiden Messgrössen um angereicherte Varianten der Herzfrequenzvariabilität handelt. Für die Beurteilung des Schlafs kommen nebst HFV noch die Daten des Bewegungssensors dazu.

Man muss sich an dieser Stelle im Klaren sein, dass diese Methode nur Näherungswerte möglich sind, zumal sich die Schlafqualität am Handgelenk nur indirekt messen lässt. Für eine direkte Messung wäre ein Elektroenzephalogramm (EEG) nötig (siehe dazu auch Was hätte bloss Morpheus dazu gesagt?).

Nachts sollte sich die Body Battery aufladen. Hier sieht man, wo einige Tage Fieber das verhindert haben.

Die Body Battery wiederum basiert auf der HFV und auf besagter Schlafmessung, was den Grad der Unsicherheit weiter erhöht – sodass man sich bei diesem Wert schon fragen sollte, wie akkurat er ist: Es werden mehrere interpretierte Werte aufeinandergestapelt, was eine wackeliges Gebilde ergibt. Das gilt auch für die kürzlich eingeführte Trainingsbereitschaft. Neu ist auch der HFV-Status, der die Messungen direkt anzeigt, aber ohne Deutungshilfe nicht sehr aussagekräftig ist.

Ich habe auf Reddit eine Diskussion gefunden, bei der die Meinungen weit auseinandergehen: Es gibt Leute, die sich darüber lustig machen, aber auch einige Stimmen, die sie für akkurat halten.

Der Körper ist nun einmal kein Akku

Was mich angeht, habe ich gewisse Vorbehalte: Erstens ist der Begriff der «Körperbatterie» leicht esoterisch: Unser Körper funktioniert nun mal nicht wie ein Akku, den man nach Belieben aufladen und leer brauchen kann: Ausserdem finde ich die Skala von null bis hundert seltsam. Das impliziert, dass wir bei null ins Koma fallen und erst wieder betriebsfähig sind, nachdem uns Energie zugeführt wurde. Aber das ist definitiv nicht der Fall: Jeder weiss, dass man als Mensch auch auf Reserve noch sehr weit kommt, wenn es notwendig ist, sich über seine eigenen Limiten hinaus zu quälen. Darum halte ich eine lineare Skala für unpassend.

Doch wenn man sich von der Terminologie löst und die Body Battery nicht mit der Akku-Anzeige seines Smartphones verwechselt, ist die Angabe hilfreich: Meine Erfahrung besagt, dass es sinnvoll ist, sich zu schonen, wenn die Garmin-App einen niedrigen Ladestand anzeigt.

Demzufolge sind diese Daten sinnvoll: Sie liefern zwar keine Einsichten, die man nicht selbst gewinnen könnte, wenn man auf sich hört und sich bemüht, ein gutes Körpergefühl zu entwickeln. Aber sie geben dem individuellen Empfinden einen quasi-objektiven Rückhalt. Und das kann in der Tat helfen, dass man einmal einen Gang zurückschaltet, selbst wenn es im Job oder Haushalt noch viel zu tun gäbe: Denn man hat die Daten, die unzweifelhaft belegen, dass man nicht einfach nur eine faule Sau ist, sondern das gute Recht auf «Self care» hat…

Beitragsbild: Eben nicht! (Christopher Carson, Unsplash-Lizenz)

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