Die Krimireihe mit Speichelsturz-Garantie

Xavier Kieffer ist Koch und Wirt und der Held der Kulinarik-Krimireihe von Tom Hillenbrand. Und auch wenn er auf den ersten Blick nur einen geringen Nerdfaktor hat, kommt man auf den zweiten auch als Tech-Freak voll auf die Rechnung.

Tom Hillenbrand ist ein Autor, der zwei Interessengebiete hat, die man nicht unbedingt in einer Person vermuten würde. Einerseits findet er futuristische Erfindungen spannend, Drohnen und Big Data, Bitcoins und die Singularität mit der Digitalisierung des menschlichen Geistes.

Andererseits hat er eine Leidenschaft, was die Küche der Gegenwart betrifft – vorwiegend, aber nicht nur, die französische und luxemburgische. Denn nebst den Sciencefiction-Romanen gibt es von Tom Hillenbrand auch eine Reihe, in der der Luxemburger Koch und Wirt Xavier Kieffer unvermittelt zum Detektiv wird.

Das könnte man für exzentrisch halten – oder zumindest für ein Problem bei der Positionierung im Lesermarkt. Sollte nun ein Fan von Xavier Kieffer zufälligerweise «Hologrammatica» lesen, könnte das für Irritation sorgen – und umgekehrt natürlich genauso. Ich könnte mir vorstellen, dass es im Verlag deswegen gewisse Diskussionen gab. Oder vielleicht auch nicht: Denn Leserinnen sind auch nicht ganz blöd, auch wenn man angesichts des oft eindimensionalen Buchmarketings vermuten muss, dass genau diese Meinung in manchen Verlagen vorherrscht.

Die passenden Zutaten für ein nahrhaftes Leseerlebnis

Mich hat die thematische Zweigleisigkeit des Tom Hillenbrand nicht gestört, im Gegenteil. Ich bin nicht so fixiert auf Sciencefiction-Themen, dass ich nichts anderes lesen würde. Umgekehrt schätze ich aufrichtig, dass der Autor seine Stärken unabhängig von der thematischen Stossrichtung ausspielt. Diese Stärken sind es, die ein gutes Buch ausmachen: Nämlich eine solide Story mit einem interessanten Plot, lebensechte Figuren, an deren Erlebnissen man ein Interesse entwickelt, sowie ein Stil, der eine gewisse Raffinesse aufweist.

Diese Zutaten sind in den Romanen mit Xavier Kieffer enthalten. Es sind Geschichten aus einem Guss, die nicht wie viele andere Bücher aus dem Unterhaltungsbereich den Eindruck hinterlassen, dass hier mit dem Holzhammer Versatzstücke zusammengezimmert wurden, die theoretisch zwar irgendwie zusammenpassen, sich während des Schreibens aber dann doch nicht so harmonisch zusammenfügten. Auch neigt Hillenbrand bei seinen Plots nicht zu allzu extremen Übertreibungen. Es gibt zwar einen Showdown und ansatzweise Action, weil das bei dem Gerne dazugehört. Aber Xavier Kieffer muss nicht immer gleich die ganze Welt oder zumindest die westliche Zivilisation retten, was ich als angenehm empfinde.

Und bei der Xavier-Kieffer-Buchreihe ist ein weiterer Punkt zu erwähnen. Das ist die grossartige Lesung von Gregor Weber, den ich für eine der begnadetsten Hörbuchstimmen im deutschsprachigen Raum halte.

Die Hörbuch-Lesung ist das Sahnehäubchen auf einer gelungenen Krimireihe

Er kommt nicht nur mit den vielen französischen und luxemburgischen Einsprengsel zurecht (soweit ich letzteres beurteilen kann), sondern hat die anderen Dialekte perfekt drauf. In der Reihe haben einige Schweizer Auftritte, deren eidgenössisch gefärbtes Hochdeutsch auch für meine einheimischen Ohren akzeptabel ist

«Teufelsfrucht»: Glutamat ist ein Drek dagegen.

Vor allem im ersten Teil (Teufelsfrucht) muss Gregor Weber über einige Kapitel Passagen mit einem Mann namens Gero Wyss vortragen, der für den Schweizer Lebensmittelkonzern Hüetli arbeitet.

Mit der Zeit sind zwar gewisse Ermüdungserscheinungen zu hören, aber Weber hat dennoch meinen vollsten Respekt für diese Leistung. Man fragt sich, warum es dafür keine Auszeichnungen gibt, wo doch sonst jeder Auftritt auf einer Laienbühne mit einem goldenen Topf oder einer lorbeerbekränzten Büste prämiert wird.

Bei der Erwähnung von Hüetli sind wir beim Punkt angelangt, dass Kieffers Abenteuer zwar in der Gegenwart angesiedelt sind und der Protagonist mit Technik und Fortschritt herzlich wenig anfangen kann. Der Koch besitzt (anfangs) nicht einmal ein Smartphone und einen Laptop, der so alt ist, dass er während seiner Benutzung ächzende und jaulende Geräusche von sich gibt.

Das heisst aber nicht, dass die Bücher nostalgisch verklärend wären, wie das oft bei den Regiokrimis der Fall ist. Im Gegenteil; Hillenbrand greift aktuelle Themen mit politischer Tragweite auf. In Teufelsfrucht geht es um die Monopolisierung und Patentierung von Ressourcen aus dem Lebensmittelbereich, und das besagte Unternehmen Hüetli erinnert namentlich an den allseits beliebten Nahrungsmittelkonzern Nestlé, aber es gibt keinen Zweifel, dass Hillenbrand auch von Glencore schon gehört hat.

Die Franzosen und ihre bizarren Vorlieben

«Rotes Gold»: Thunfisch aus der Retorte?

Im zweiten Teil, Rotes Gold, gibt die Überfischung der Weltmeere den aktuellen Bezug, und hier kann Gregor Weber beweisen, dass er auch ein Flair für Japanisch hat, wenn er den Sushi-Kuch Ryuunosuke Mifune und vor allem Kiefers Freund Kaneda Hashimoto zum Leben erweckt.

Dieser Teil beweist am eindrücklichsten, wie gut sich Hillenbrand gastronomisch auskennt und wie eindrücklich er formulieren kann. Die Szene, in der Kieffer von François Allégret, dem Pariser Bürgermeister, gezwungen wird, einen Ortolan zu essen, bringt hervorragend auf den Punkt, was die Kunst eines guten Krimis ausmacht:

«Ortolan ist für mich die Seele der französischen Küche. Wir Franzosen essen Dinge nicht nur, wie es andere Vöker tun. Wir verschlingen sie ganz, ihr Wesen, ihre Seele, ihre wahre Natur. (…)»

«Letzte Ernte»: Xavier Kieffer schlägt sich mit Zwillingen herum – und mit seinem Freund José Trebarca Silva.

Im dritten Teil, Letzte Ernte, hat auch ein Computerfreak einen Auftritt: Per Sundergaard muss Xavier Kieffer helfen, das Geheimnis einer mysteriösen Keycard zu entschlüsseln, die ein anscheinend betrunkener Gast, der kurz nach dem Besuch an seinen Stand an der Luxemburger Sommerkirmes in suizidaler Absicht von der Rouder Bréck (Grossherzogin-Charlotte-Brücke) springt, ihm hinterlassen hat. Diese Karte enthält eine verschlüsselte Botschaft, was zur Folge hat, dass auch der Nerd in mir bei der Lektüre auf die Rechnung kommt, weil der Technik-Banause Kieffer herausfinden muss, wie man einen auf Primzahlen basierenden, hochgezüchteten Krypto-Code knackt.

«Tödliche Oliven»: Bei diesen Geschäften hat die Mafia ein Wörtchen mitzureden.

Der vierte Teil, Tödliche Oliven, hat die Geschäfte mit Olivenöl als Hintergrund, bei dem – ohne hier zu viel zu verraten – oft nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Spannend, aber wiederum mit einem etwas tieferen Nerdfaktor.

Der fünfte Teil heisst Gefährliche Empfehlungen macht das aber wett. Er verwickelt Xavier Kieffer in Ereignisse, die in der Vergangenheit wurzeln. Seit dem ersten Band ist der Koch mit der Valérie Gabin liiert. Sie ist die Erbin des Gabin-Verlags, der einen Gastroführer herausgibt, in dem man wahlweise den Guide Michelin oder den Gault-Millau herauslesen kann – wahrscheinlich eher letzterer, weil auch der Gabin-Verlag einen charismatischen Gründer hatte.

Luxemburgs Rundfunk-Vergangenheit

«Gefährliche Empfehlungen»: Ein alter Gastroführer birgt Geheimnisse.

Auguste Gabin ist im Buch das Verbindungsglied, das die Kulinarik mit der Mediengeschichte Luxemburgs in Verbindung bringt, denn wie viele Konsumenten von deutschen Privatsendern nicht wissen, reichen die Vorläufer der RTL-Gruppe zur Compagnie Luxembourgeoise de Télédiffusion zurück, deren Pendant RadioLux in Hillenbrands Buch eine wichtige Rolle im Kampf der Alliierten gegen die Nazis spielt – mit verschlüsselten Botschaften, die per Radio ausgestrahlt werden und sich mit der inzwischen extrem seltenen Ausgabe des «Guide Gabin» von 1939 entschlüsseln lassen.

Weiter bin ich in der Reihe noch nicht. Aber es steht ausser Frage, dass ich mir auch Bittere Schokolade und Goldenes Gift zu Gemüte führen werde. Ich habe gelernt, dass das Subgenre des kulinarischen Krimis ein Ding ist – und dass Finnen hervorragende Sidekicks abgeben, wie Pekka Vatanen in dieser Reihe eindrücklich beweist.

Beitragsbild: Hier irgendwo ist wohl auch Kieffers Restaurant (Cedric Letsch, Unsplash-Lizenz).

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