Schönheitstipps von der KI

Aus­ge­rech­net der «Welt­woche» habe ich es zu ver­dan­ken, dass ich mich schön füh­le und mit meiner weib­lichen Seite im Ein­klang bin.

Gestern ist mir auf Twitter eine absurde Angelegenheit begegnet. Marko Ković hat den Weltwoche-Schreiber Stefan Millius zur Rede gestellt. Der Mann fand es irgendwie erhellend, einen Artikel über den Umstand zu schreiben, dass eine KI Sanija Ameti mit der vollen Punktzahl für Schönheit ausgezeichnet hatte.

Ameti ist Co-Präsidentin der politischen Bewegung Operation Libero, und sie kandidiert für den Nationalrat. Ković fand, Millius verhalte sich wie ein Stalker.

Ohne Zweifel geht es um Herabwürdigung und darum, eine Kandidatin auf ihr Äusseres zu reduzieren: Stefan Millius bringt mit seiner als Kompliment verkleideten Diffamierung zum Ausdruck, dass er die politischen Ambitionen und ihre Positionen nicht für erwähnenswert hält. Und er pflegt den Habitus des ganz rechten Lagers, sich explizit politisch unkorrekt zu geben. Das wird als Freiheit gedeutet. Der Mann tut das ganz gern: Schon hier hat er sich als Outlaw inszeniert, der mutig tut, wovor andere zurückschrecken und was sogar verboten ist.

Man kann sich nun fragen, ob es Millius und seinen Gleichgesinnten nicht auffällt, dass ihre Vorstellung von Freiheit auf Kosten von anderen geht. Meine Unterstellung: Sie wissen es genau und finden es sogar toll.

Die KI als unbestechlicher Richter übers Schönheitsideal

Aber ich bin komplett vom Thema abgekommen. Eigentlich wollte ich mir diese KI ansehen, die Millius als Richter über die Schönheitsideale bemüht hat, um – und damit sind wir beim Stalker-Vorwurf von Ković – sich nicht dem Dilemma stellen zu müssen, dass er eine Frau schön findet, die sonst so überhaupt nicht in sein Weltbild passt.

Die KI finden wir auf pinkmirror.com. Und sie ist bemerkenswert. Denn sie gibt nicht einfach nur einen Score aus, sondern führt eine ausführliche Analyse durch. Ein 29-seitiges Dokument, das ausführlich die Details des untersuchten Gesichts erörtert und die mit Beispielen anderer Fotos belegt.

Das liest sich wie folgt:

Deine überzeugendsten Merkmale sind die Oberlippenhöhe, das Verhältnis von Augenbrauenbreite zu Jochbeinbreite und die Breite der Jochbeine. Vielleicht möchtest du auch wissen, welche Merkmale besonderer Aufmerksamkeit bedürfen: Verbesserungswürdig sind die Nasenbreite, der Aussenabstand der Augenbrauen und das Verhältnis von Augenbrauenbreite zu Jochbeinbreite.

Und ja, die Beschreibung gilt für mich. Natürlich hatte ich den Gedanken, mir ein Spässchen mit einem Foto von Stefan Millius zu erlauben. Aber das hätte geheissen, sich auf seine Spielregeln einzulassen – und das sollten wir nicht tun.

KIs sollten nicht zum Stalking-Komplizen werden

Denn wenn es an dieser Stelle eine Lehre aus dieser ganzen Angelegenheit gibt, dann ist klar, wie die lauten muss: Nämlich, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit KI gefragt ist. Das bedeutet, dass wir nicht alles tun sollten, was wir tun könnten. Insbesondere braucht es Respekt und Zurückhaltung. Darum halte ich auch nichts davon halte, Promi-Fotos durch die Mangel zu drehen. Nein, wenn ich diese KI testen soll, dann nur mit Leuten, die dazu ihr Einverständnis gegeben haben. Was in diesem Moment die Auswahl tatsächlich auf mich selbst beschränkt.

Also, ich erfahre, dass ich in meinem Gesicht nur «die minimal notwendige Menge an Fettdepots» habe – juhuu, Freipass für Schokolade! Meine Nasenbreite allerdings, ui ui ui, sorgt mit dafür dass es nicht zehn von zehn Punkten gibt.

Wenn es nach meiner Nasenbreite ginge, wäre ich reif fürs Altersheim.

Überraschend! Meine Frisur ist nicht ideal

Bleibt die Frage: Wozu das Ganze? «Pink Mirror» gibt uns umfangreiche und, wie es heisst, «nicht chirurgische Empfehlungen». Wir erfahren nicht, wo man schnippeln könnte, aber es gibt Tipps zu Make-up, Frisur und Brille. In meinem Fall gibt es u.a. folgende Tipps:

Um das Beste aus deiner Gesichtsform herauszuholen, ist eine natürliche, dichte Augenbrauenform am besten geeignet, um das Gefühl einer breiten Gesichtsform zu mindern, insbesondere um die Augen und die Stirn.

Die beste Frisur, die zu deinem Aussehen passt, sind Bobs mit Pony. Ein Bob oder ein Pony sind auch eine gute Möglichkeit, Ihren Stil zu verändern.

Als Nächstes steht die Sonnenbrille auf dem Programm. Für deine Gesichtsform könntest du eine Brille tragen, deren Rahmen unten ein Detail aufweist. Das gleicht dein Gesicht aus und lenkt den Blick weniger auf deine Stirn, da die Aufmerksamkeit auf der unteren Gesichtshälfte liegt.

Nun, daran hatte ich nicht gedacht. Aber auch wenn ich nun nicht alle Tipps gleich umsetzen werden, hat das trotzdem für einen in Schönheitsbelangen unbewanderten Neandertaler wie mich einen Wert: Denn als ich in den 1970er- und 1980er-Jahren auf dem Land aufgewachsen bin, wäre jungen Männern niemals der Gedanke gekommen, mehr für ihre äussere Erscheinung zu tun, als einmal in der Woche das Hemd zu wechseln.

Das globale Schönheitsideal ist nicht alles

Will sagen: Dass sich mehr herausholen liesse, ist durchaus eine Erkenntnis – auch wenn ich in diesem Leben wohl keine Begeisterung für Männerkosmetik mehr entwickeln werde. Und wenn ich schon meine Jugend bemühe: Vermutlich wäre es damals meinem Selbstbewusstsein zuträglich gewesen, dass die Gesamtnote von «Pink Mirror» ganz solide ausfällt.

Das Geschäftsmodell der Website besteht darin, dass wir ein Nutzerkonto einrichten, regelmässig wiederkommen und überprüfen, wie weit die Tipps ihre Wirkung entfalten. Dafür zahlen wir zehn US-Dollar pro Monat.

Bleibt die Frage nach der Ethik. Wie erwähnt, bin ich kein Experte und ich habe auch keine Studie vorgenommen, aber es kann eigentlich gar nicht anders sein, als dass diese KI globales Mainstream-Schönheitsideal vertritt. Das lassen auch die Beispielbilder vermuten, mit der die KI ihre Einsichten untermauert. Das beinhaltet ein Diskriminierungspotenzial. Und ganz ohne Zweifel geht dabei unter, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt und sie manchmal auch in der Hässlichkeit zu finden ist.

Mit einem Körnchen Salz

Aber es bleibt dabei, dass wir die Ergüsse der KI immer mit dem sprichwörtlichen Körnchen Salz geniessen sollten. Das gilt auch hier. Zumal das Resultat höchst unterschiedlich ausfällt, wenn man die Analyse ohne Registrierung durchführt – oder nach der Registrierung mit Alters- und Geschlechtsangabe.

Da kommen gewisse Zweifel an der Unbestechlichkeit auf. Es kann auch daran liegen, dass man ohne Login per Default als Frau bewertet wird und andere Massstäbe angewendet werden als bei Männern. Ironie an der Sache: Bei der Bewertung als Frau bekomme ich mehr Punkte als als Mann! 😱😬😊

Zwei Bemerkungen noch: Die Schönheitswettbewerbe im Netz haben lange Tradition. Hot or Not war eine der Errungenschaften, die uns anfangs der 2000er das junge Internet beschert hat, und das Bewertungs-Prinzip hat nicht nur Tinder zum Erfolg verholfen.

Wer hätte das gedacht? «Das Verhältnis der Gesichtshöhe im mittleren Drittel zum unteren Drittel ist ein weibliches Merkmal.»

Bemerkenswert ist schliesslich, dass auch bei der männlichen Bewertung feminine Züge festgestellt werden: Damit schliesst sich der Kreis zu Stefan Millius. Denn ich wette darauf, dass die Geschlechterfrage in seiner Welt hundertprozentig bipolar ist. Aber wenn er sich schon herausnimmt, «Pink Mirror» für seine «lustigen» Texte heranzuziehen, dann sollte er hier auch etwas lernen. Nämlich, dass das Geschlecht ein Spektrum ist.

Beitragsbild: Das gibt zehn Schönheitspunkte Extra (KoolShooters, Pexels-Lizenz).

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