Erst der Terroranschlag, dann die Trolls

Der Podcast «Disaster Trolls» von der BBC geht dem «Crisis actors»-Mythos nach. Er besagt, dass Terror­anschläge insze­niert und die Opfer Schau­spieler sind: Wer ihn erfun­den hat, verbreitet, an ihn glaubt – und unter ihm leidet.

Neulich habe ich einen schlechten Podcast der BBC vorgestellt. Da ist es nichts als ausgleichende Gerechtigkeit, wenn ich nun einen gelungenen aufs Tapet bringe. Er heisst Disaster Trolls (RSS, iTunes), und hier spielt Tantchen (Auntie) ihre Recherche-Fähigkeit aus, nicht ihre weniger ausgeprägten Qualitäten als Alleinunterhalter.

In dieser Reihe von zehn Folgen geht Marianna Spring einem Verschwörungsmythos nach. Spring ist Fachreporterin für Desinformation und soziale Medien und das Thema ist das der sogenannten «Crisis actors». Der Begriff bezeichnet ursprünglich die Figuranten, der in einer Erste-Hilfe-Übung einen Verletzten spielt. In der wirren Welt der Aluhutträger wird daraus einer bezahlter Schauspieler, der der Öffentlichkeit in einem inszenierten Terroranschlag die Rolle eines Opfers vorspielt. Denn wie wir wissen, finden in der Welt der Querdenker solche Ereignisse immer entweder unter falscher Flagge statt oder sind fingiert, weil die Regierung oder die dunklen Mächte hinter der Regierung die Bevölkerung einschüchtern möchte, damit sie Dinge tut, die sie aus freien Stücken niemals tun würde.

Alex Jones bekam, was er verdient

Erst das Unglück, dann die Deppen.

Der «Erfinder» dieser Verschwörungstheorie ist Alex Jones: Ein Mann, der in seiner gut zwanzigjährigen Karriere unzählige Verschwörungsmythen verbreitet und gemäss dem öffentlich-rechtlichen Radio in den USA, NPR, dafür gesorgt hat, dass die inzwischen zu einem Teil des amerikanischen Lebens geworden sind. Er hat die Behauptung anhand des Amoklaufs an der Sandy Hook Elementary School in Newtown, Connecticut, in Umlauf gebracht, und nicht damit aufgehört, sodass er nun Hunderte Millionen US-Dollar bezahlen muss.

Doch dieser gerechtfertigten Busse zum Trotz zeigt sich, wie sich solche toxischen Erzählmuster wider jede Vernunft fortpflanzen. Der «Disaster Trolls»-Podcast zeichnet nach, wie sie in Grossbritannien Fuss gefasst haben. Marianna Spring recherchiert zum Terroranschlag in Manchester am 22. Mai 2017, bei dem während eines Konzerts von Ariana Grande ein islamistisches Selbstmordattentat verübt wurde, und zum Terroranschlag in London am 22. März 2017 auf der Westminster-Brücke. Sie spricht mit Menschen, die während diesen Anschlägen verletzt wurden und hinterher – teils wenige Stunden nach dem Anschlag – von Leuten belästigt, beschimpft und bedroht wurden, die ihnen unterstellt haben, bloss Figuranten zu sein.

Ein völlig derangierter Aufklärer

Einer der Männer, die den Crisis-actor-Mythos im Vereinigten Königreich salonfähig gemacht hat, ist Richard D. Hall. Er ging so weit, Überwachungskameras vor dem Wohnhaus eines 14-jährigen Mädchens zu verstecken, die seit dem Anschlag am Grande-Konzert im Rollstuhl sitzt, weil er sie zu Fuss erwischen wollte.

Spring hat für den Podcast auch einen ehemaligen Mitstreiter von Hall aufgetrieben und spricht mit Neil Sanders über dessen Beweggründe und die Frage, an welcher Stelle es ihm zu viel geworden ist. Auch ein Insider aus Alex Jones’ Infowars-Team kommt zu Wort. Rob macht deutlich, dass es für Jones keine Rolle spielt, ob die Crisis-Actor-«Theorie» wahr ist oder nicht – Hauptsache, er kann sich selbst sprechen hören und seinen Waffen-Fetisch pflegen.

Das ist alles aufschlussreich und wichtig – und gleichzeitig verrückt und deprimierend. Es gibt zum Glück so etwas wie ein Happy End, wenn in Folge 8 (I was a conspiracy theorist – get me out of here) Brent, der selbst ein glühender Verschwörungstheoretiker war, auf Paul trifft, der in dem Terroranschlag auf der Westminster-Brücke verletzt worden ist und erzählt, wie wichtig es für ihn war, dass ihm Paul eine Art Absolution gewährt hat.

Die Desinformation zeigt Wirkung

Der Podcast geht in Folge fünf auch der Frage nach, wer solch unglaublichen Verschwörungsmythen anhängt und wie gross der Anteil in der Bevölkerung ist. Die Resultate sind auch hier nachzulesen und stimmen nicht optimistisch:

Die Studie wurde vom Policy Institute am King’s College London für BBC Panorama und BBC Radio 4 Podcasts durchgeführt und stützt sich auf Daten, die von Savanta ComRes erhoben wurden. Die Studie zeigt, dass die große Mehrheit – vier von fünf Personen – glaubt, dass in den letzten Jahren im Vereinigten Königreich schwere Terroranschläge verübt wurden. Ein Drittel (35 Prozent) ist jedoch der Meinung, dass die offizielle Darstellung nicht der ganzen Wahrheit entspricht, und jeder Fünfte (19 Prozent) geht sogar so weit zu sagen, dass er glaubt, dass die Opfer von Terroranschlägen im Vereinigten Königreich nicht die Wahrheit darüber sagen, was ihnen widerfahren ist.

Beitragsbild: Alles nur Fake? (Gerd Altmann, Pixabay-Lizenz)

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