Zu meiner Podcast-Grundversorgung gehören auch Podcasts der BBC – die immer wieder erstaunlich gute Produktionen zu bieten hat. Und manchmal auch erstaunlich schlechte. Über zwei missratene Podcasts habe ich früher berichtet. Heute geht es um einen weiteren, der uns zur unwiderruflichen Schlussfolgerung bringen sollte, dass Dokudramen K*cke sind.
Dieses Genre zeichnet sich dadurch aus, dass reale Begebenheiten mit Schauspielern nachgespielt werden. Es hat Tradition in deutschsprachigen Raum wegen Leuten wie Guido Knopp, die damit Einschaltquoten bolzen. Und auch die BBC macht sich damit die Hände schmutzig, was uns zum Schluss bringt, dass nicht nur die privaten Medienveranstalter nicht wählerisch sind, was die Wahl der erzählerischen Mittel angeht, sondern eben auch die öffentlich-rechtlichen Sender. Auch wenn unbestreitbar ist, dass Reality-TV-Shows in der Hierarchie noch weiter unten stehen.
Also, es geht um den Podcast Nazis: The Road to Power: Er zeichnet den Aufstieg der Nationalsozialisten nach und soll zeigen, wie Adolf Hitler in nur dreizehn Jahren vom Niemand zum Kanzler über ganz Deutschland avancieren konnte. Dagegen ist noch nichts zu sagen. Doch die Form finde ich gänzlich missraten. Dramatisiert wie ein Film aus den 1930er-Jahren, arbeitet er mit Sprecher und Schauspielern, mit kurzen szenischen Sequenzen, die sich mit dem Vortrag des Erzählers abwechseln. Es gibt viel Drama, getragene Dialoge, düstere Musik, aber kaum erklärenden Passagen oder Analysen oder Einordnungen. In der ersten Folge, Long Live the Soviet Republic of Bavaria, finden wir uns am 7. November 1918 in München wieder, wo ein Mann namens Kurt Eisner zum Führer der Novemberrevolution avanciert.
Hä?

In 24 Minuten bekommen wir es mit vielen weiteren historischen Figuren zu tun: Kaiser Wilhelm, General Ludendorff, Thomas Mann und Rosa Luxemburg, um nur einige zu nennen. Und klar, es mag an mir liegen; und daran, dass dieser Podcast für weniger begriffsstutzige Menschen gemacht wurde. Aber ich habe schon nach wenigen Minuten völlig die Orientierung verloren, und habe Mühe zu unterscheiden, wer gerade mit wem spricht und wie das eben Gehörte einzuordnen wäre. Denn so viele Leute anhand der Stimme zu unterscheiden, ist schwierig bis unmöglich – vor allem, weil die einzelnen Szenen nur ein paar Sekunden dauern und oft den Charakter von Soundbites haben. Wäre das eine Fernsehproduktion, dann würde einem schwindlig werden von den schnellen Schnitten.
Und ja, wahrscheinlich gehe ich zu zerebral an die Sache heran: Wahrscheinlich geht es nicht darum, jede Szene zu durchdringen. Vermutlich ist meine Aufgabe als Hörer, die Stimmung aufzunehmen und den Podcast eher mit dem Bauch zu absorbieren. Oder, wie es bei Wikipedia heisst:
Im Vergleich mit Text-, Foto- oder Tonbanddokumenten wirkt das Dokudrama anschaulicher und lebendiger und bietet dadurch eine fernsehgerechtere Darstellung des Themas. Vermutete subjektive Sicht und Gefühle der Protagonisten lassen sich auf diese Weise herausstellen. Diese direkte Emotionalisierung ist in reinen text- oder tonbandgestützten Dokumentationen aufgrund des objektiven Abstands zwischen Betrachter und Geschehen nicht oder nur marginal zulässig.
«Wölfchen»
Das ist etwas deutlicher spürbar in der zweiten und nicht so hektischen Folge (I Can Speak), in der wir es mit dem erfolglosen Kunstmaler Adolf Hitler zu tun bekommen. Und in der Folge drei (My Little Wolf), wo wir ein inzestuös anmutendes Geplänkel zwischen jenem Kunstmaler und einem seiner Groupies, Helene Bechstein, vorgeführt erhalten. Aber viel weiter habe ich dann nicht mehr gehört.
Also, das Fazit: Dokudramen sind eine Mogelpackung: Pulp Fiction für Intellektuelle, die sich zu gut für Pulp Fiction sind.
Bin raus
Persönlich bin ich nicht an einer solchen Dramatisierung interessiert. Die «subjektive Sicht und Gefühle der Protagonisten» in Ehren, aber ich bin an Fakten und Analysen interessiert – die Übergänge von Fakten zur Spekulation ist für mich als Zuhörer nicht klar und das finde ich inakzeptabel. Ich bin sehr dafür, dass lehrreiche Inhalte auch unterhaltend sind. Aber wenn die Fakten bloss noch zur Würze eines Unterhaltungsprogramms beitragen, bin ich raus. Falls ihr drin seid: Der Podcast gibt es hier bei iTunes, bei Spotify und hier als RSS. Ansonsten: Hört euch die Folge Die Machtergreifung aus dem hier auch schon vorgestellten Podcast «Geschichtsunterricht» mit Matthias von Hellfeld an: Hier gibt es alles, was die BBC vermissen lässt: Hintergrund, Einordnung und Erklärung.
Es bleibt die Frage, ob Dokudramen immer K*cke sind, wie ich eingangs insinuiere, oder ob es vielleicht Ausnahmen gibt. Mir ist keines begegnet, das ich einer den Fakten verpflichteten Dokumentation vorziehen würde. Vielleicht, wenn sie hervorragend gemacht sind oder nur einzelne dramatische Szenen verwenden, um in einer Dokumentation schwer erklärliche Dinge verständlich zu machen. Typischerweise sind die Dokudramen im Fernsehen aber leider so billig gemacht, dass sich der Verdacht aufdrängt, dass auch die ernsthaften Schauspieler Vorbehalte gegenüber dieses Genres haben.
Beitragbild: In diesem Podcast schrumpfen die Nazis aufs Hosentaschenformat (Mert Kahveci, Unsplash-Lizenz).
Mir fallen zwei Ausnahmen ein:
– Zwingli (der Film): Die Leute zur damaligen Zeit in ihrem Alltag zu sehen, hat geholfen, Zwinglis Gedanken und Motivation zu verstehen.
– Die Geschichtsdokus von Terra X, „Deutschland im Jahr 500“ etc.: Das sind zwar keine Dokumentationen exakter Ereignisse, aber Informationen über eine Epoche werden viel besser transportiert, wenn man die Welt zu der Zeit sieht und nicht nur Ruinen und Scherben wie früher im Schulfernsehen.
Du hast recht mit deinem Einwand und ich hätte bei meiner Kritik darauf hinweisen sollen, dass ich historische Spielfilme scharf von den erwähnten Dokudramen abgrenzen würde: Die können Einsichten vermitteln, haben aber auch viel mehr Produktionsmittel zur Verfügung und sind nicht bloss auf Effekt gebürstet.
Und ja, wenn es weniger um komplexe politische Zusammenhänge als mehr uns Lebensgefühl geht, dann kann die eine Sendung wie «Terra X» gut vermitteln. Dazu würde ich auch das Steinzeit-Experiment von SRF zählen. Da gibt es viel Storytelling-Potenzial, aber man kreativ an die Sache herangehen.