In den Podcasts haben die Drachen Hochkonjunktur. Neulich ging es hier um den «Drachenlord». Und vor ein paar Tagen bin ich Drachentoeten begegnet (RSS, iTunes, Spotify). Unterzeile: «Das Gute an bösen Geschichten».
Also, das Gute vorneweg: Die Musik ist grossartig. Abgesehen davon hatte ich meine liebe Mühe mit dieser Produktion. Nach zwei Folgen bin ich hochgradig verwirrt. Das liegt nicht am Thema – der Komplex um Mobbing, Shitstorms und der Rolle sowohl der klassischen als auch der sozialen Medien in dieser Gemengelage ist hochaktuell: Der andere Drachenpodcast, nämlich jener zum «Drachenlord», hat daran keinen Zweifel gelassen.
Ratlos bin ich, was die inhaltliche Stossrichtung angeht: Geht es um Jolanda Spiess-Hegglin und die Zuger Landammann-Feier? Geht es um den Verein Netzcourage oder um Rekrutierungen fürs #TeamJolanda? Geht es um die Medien und ihre Verfehlungen – oder um alles zusammen?
Da passt rein gar nichts zusammen
Auch formal kann ich diese Produktion nicht einordnen: Ist der Podcast ein Pamphlet gegen die Medien bzw. den «Schweineboulevard», wie Hansi Voigt im Intro sagt? Steht Hilfestellung und Beratung im Vordergrund? Geht es um die Analyse und die Kommentierung aktueller Geschehnisse? Oder um Polemik?
Das «Mission Statement» wäre klar und einleuchtend. Jolanda Spiess-Hegglin deklariert «Drachentoeten» zum Selbsthilfe-Instrument. Sie sagt in der ersten Folge, der Podcast sei für Leute gedacht, die angeschossen werden: «Vielleicht gelingt es uns, Mechanismen zu erkennen und Anleitungen für andere Betroffene zu geben». Das wäre eine Marktlücke und würde mir gefallen: Ein Podcast nach den Prinzipien des anwaltschaftlichen Journalismus eine praktische Hilfestellung für Leute liefert, die medial unter die Räder geraten.
Dieser Ansatz würde bedeuten, dass sich die Macher selbst zurücknehmen und in den Dienst der Sache stellen. Doch davon ist nicht die Rede: Die erste Folge dreht sich um Spiess-Hegglin und ihren Stalker-Prozess. Das geschieht auf so eine insiderige Weise, dass Zuhörerinnen und Zuhörer, die nicht mit dem Fall vertraut sind, kaum zu folgen vermögen. Das ist mir zu selbstreflexiv, und es passt nicht zum Anspruch eines allgemeinverständlichen Podcasts.
Alles ein Schrei nach Liebe?
Noch weniger dazu kompatibel ist das Intro, das geschlagene 4:14 Minuten läuft und die Zuger Landammann-Feier in Kurzform abhandelt. Anfänglich hatte ich den Eindruck, dass diese Zusammenfassung zur Klärung der Ausgangslage gedacht ist, zumal Jolanda Spiess-Hegglin sagt, «wir haben uns geeinigt, nach vorn zu schauen und einen Schlussstrich zu ziehen», und Hansi Voigt nachdoppelt: «Die Ermittlungen sind längst abgeschlossen und es gibt nichts Neues.»
Doch dann setzt Hansi Voigt zu einer Attacke an, in der er sagt, die ehemalige Zuger Kantonsrätin solle partout und persönlichkeitsverletzend erneut zur Täterin gemacht werden. «Denn nur so können sich die Medien – die einzigen nachweislichen Täter des Zuger Medienskandals – aus der Verantwortung stehlen», hängt Jolanda Spiess-Hegglin an.
Nach dieser klaren Kampfansage kommen die universellen Pole Hass und Liebe ins Spiel: «Woher kommt dieser Hass? Sind diese Hassbotschaften oft nicht einfach Schreie nach Liebe?»
Die vielen Widersprüche
Das ist eine Frage, die in der zugespitzten Form schwer zu klären ist – die mich aber gerade deswegen interessieren würde. Leider ist der Podcast an der Beantwortung gescheitert. Und das liegt an der Widersprüchlichkeit, und daran, dass er sich nicht entschieden kann, ob er sich in den persönlichen Fällen festbeisst oder öffnet.
Die Widersprüchlichkeit stelle ich auch beim Co-Moderator fest: Hansi Voigt müsste klarmachen, in welcher Rolle er auftritt. Meines Erachtens sollte es die Rolle des Journalisten sein und nicht die des Präsidenten des Vereins Netzcourage. Denn erinnern wir uns: Hansi Voigt ist ein gestandener Medienmensch, der die Mechanismen der Online-Medien kennt wie kaum ein zweiter: Er hat 20minuten.ch mit aufgebaut geführt, watson.ch erfunden, in England gelebt und den dortigen Boulevard kennengelernt. Meines Wissens hatte er sogar einmal ein Plattenlabel, auch wenn das jetzt nichts zur Sache tut.
Ich habe seinerzeit auch einen Podcast mit ihm bestritten: Im 26. Oktober 2007 war er zusammen mit Peter Hogenkamp im «Digitalk», wo es um die neuen Online-Medien ging: Blogs und die Newsplattformen wie das damals noch junge «20 Minuten». Meine Einstiegsfrage lautete damals, wie viel Sex eigentlich zu viel Sex für «20 Minuten» sei, weil am Tag vor der Aufnahme gleich vier Stücke vom alten boulevardesken «Sex sells»-Schlag auf der Startseite zu sehen waren.
Diese Vergangenheit schimmert im Podcast manchmal durch, zum Beispiel, wenn Spiess-Hegglin bewundernd sagt, Voigt sei in der Lage, in jeder beliebigen Affäre die Schlagzeilen zu prognostizieren, die als nächstes zu lesen sein werden. Klar kann er das – aber nicht wegen einer übersinnlichen Ader, sondern weil er selbst solche Schlagzeilen geschrieben hat.
Es ist kein grosses Rätsel, wer der Drache ist
Mir ist ein völliges Rätsel, warum er Seine Vergangenheit nicht transparent macht – und nicht in eine Stärke ummünzt: Einer, der die Mechanismen der Medien versteht und erklärt, wie er sie selbst angewandt hat, trifft auf jemanden, der diese Mechanismen anprangert: Das hätte Kraft. Eine zweite, mögliche Rolle wäre ein ruhender Pol, der Sachlichkeit in die Sendung bringt.
Doch stattdessen haben sich hier zwei für einen gemeinsamen Feldzug zum Drachentoeten versammelt, wobei das zu erlegende Biest die Tamedia ist: Das ist ein grosses Schweizer Verlagshaus und für beide ein grosses Feindbild.
Diese Antipathie treibt seltsame Blüten, beispielsweise in Form eines (vermeintlichen?) Sponsorings durch die Tx Group in Rapperswil. Wir erinnern uns: Die Tamedia hat sich 2020 zur Holding umstrukturiert und sich in TX Group umbenannt, was zu einem Namensstreit geführt hat. Ob es dieses Sponsoring gibt oder ob es bloss eine polemische Spitze ist, hat sich mir beim Zuhören nicht erschlossen. Es ist aber auch fast egal, denn im gesamten Kontext habe ich das nicht als Gag empfunden, sondern als Ausdruck der Unversöhnlichkeit. Doch während ich mir den Groll bei Jolanda Spiess-Hegglin erklären kann, ist er mir bei Hansi Voigt ein völliges Rätsel: Er war schliesslich selbst einmal bei der Tamedia angestellt (Disclaimer: Ich arbeite seit dem Jahr 2000 für dieses Medienunternehmen).
Unter dem Strich dient dieses Projekt leider hauptsächlich dem Zweck, die Welt in böse Drachen und heldenhafte Drachentoeter einzuteilen; in Gut und Böse, Freund und Feind. Das mögen andere gut finden; ich habe daran kein Interesse.
Beitragsbild: Drachen, die Feuer spuken, bellen nicht … oder so ähnlich (Kazun, Pixabay-Lizenz).