Der Weltuntergang ist kein Kindergeburtstag

So eindringlich wie bei Adrian J. Walker geht die Welt nur selten unter: «The End of the World Running Club» ist ein packendes Untergangsszenario, das man hervorragend auch beim Joggen hören kann.

Apokalypse auf die Zwölf.

In letzter Zeit ging es hier immer mal wieder um apokalyptische Geschichten: der Crash des Internets in Systemfehler von Wolf Harlander, ein Ausfall der Strom­ver­sor­gung bei Marc Elsbergs «Blackout» und schliesslich das Ende der Zivilisation, ausgelöst durch einen Hack des Mobilfunknetzes, wie es Stephen King in «Cell» beschreibt.

Alle diese Geschichten sind spannend, doch keine hat so richtig auf die Zwölf gezielt. Will sagen: Bei den ersten beiden gibt es ein Happy-End und die Zivilisation wird am Ende wiederhergestellt. Beim dritten Buch ist es zwar aus mit der Hochkultur, aber weil die Ursache für diesen Untergang sehr an den Haaren herbeigezerrt ist, fühlt man sich als Leserin wenig betroffen.

Das ist ganz anders beim Buch, um das es jetzt geht: Das schildert den Untergang der Welt, so wie wir sie kennen, so eindringlich, dass ich fast nicht über die ersten Kapitel hinausgekommen wäre. Wie Edgar Hill mit seiner Frau Beth, der dreijährigen Tochter Alice und dem einjährigen Arthur im Bunker hockt, nachdem mehrere Meteore in der Nähe eingeschlagen und die Stadt dort, Edinburgh, fast ausradiert hat, ist beklemmend und so bildhaft beschrieben, dass ich um ein Haar das Buch beiseite gelegt hätte.

Harter Tobak

Diese Intensität wird  mit den kommenden Seiten etwas leichter verkraftbar, doch auch das Ende ist gefühlsmässig harter Tobak: Der Autor erspart es uns Leserinnen und Lesern nicht, uns der Tatsache zu stellen, wie viel Verlust, Abschied und Schmerz eine solche Apokalypse über die Überlebenden bringen würde – dieser Aspekt wird in Untergangs-Geschichten, auch im Kino wie etwa bei Deep Impact, meistens abtemperiert: Das Publikum soll sich schliesslich trotz des Katastrophen-Szenarios gut unterhalten.

Bei diesem Buch ist es anders. Es hält die Eindringlichkeit hoch, ist aber gerade deswegen eine tolle Lektüre, weil es in den Figuren, ihrer Kameradschaft und der Dringlichkeit der Überlebensmission einen starken Anreiz gibt, dabei zu bleiben.

Das Buch, das diese Geschichte erzählt, heisst The End of the World Running Club (Deutsch: Am Ende aller Zeiten) und stammt von Adrian J. Walker. Man kann es hervorragend beim Joggen hören – in der grossartig von Jot Davies gelesenen Hörbuchfassung, natürlich –, weil es im Kern ums Rennen geht: Edgar Hill, der nicht gerade ein Vorzeigevater ist, wird nach der Apokalypse von seiner Familie getrennt. Um sie wiederzutreffen, bleibt ihm keine Option, als sich mit einer Handvoll Getreuen durch ganz Grossbritannien zu bewegen. Und weil die Zeit drängt, haben sie keine andere Wahl, als das zu einem grossen Teil rennenderweise zu tun.

Comical relief

Nebst der einfachen, aber packenden Geschichte hat Adrian J. Walker spannende Figuren, eine eindrückliche und verbindliche Sprache, eine dichte Erzählweise und einen plastischen Stil zu bieten. Und die Portion Humor, die es für eine solche Geschichte braucht. Ein Beispiel:

Arthur released a long, thoughtful fart that trailed off into something wet. “Smartest thing I’ve heard so far this evening”, said Harvey. We laughed. It’s hard not to when a baby farts and an old man smiles.

Mit anderen Worten: Eine hundertprozentige Empfehlung für Leute, die bereit sind, sich dem Untergang der Welt, so wie wir sie kennen, als Leserin oder Leser zu stellen. Aber das Buch ist nichts für schwache Nerven. Der Anfang hat mich mitgenommen und das Ende ebenso. Es gibt übrigens einen zweiten Teil, der aus Sicht von Edgars Frau Beth erzählt wird, The End of the World Survivors Club heisst und anscheinend bislang nicht auf Deutsch erschienen ist.

Kurz zur inhaltlichen Zusammenfassung: Obwohl die Medien schon einige Zeit von einem potenziell verheerenden astronomischen Ereignis gewarnt hatten, hatte keiner das Orakeln ernst genommen – und Edgar Hill schon gar nicht. Er hat sich weder für seinen Job noch für seine Familie so richtig ins Zeug gelegt. Denn wie es so geht: Im Alltag werden selbst ursprünglich vorhandene Ambitionen und gute Vorsätze auf unteres Mittelmass herab geschliffen.

Zufällig überlebt und noch rechtzeitig geplündert

Edgar Hill hat sich auch sonst gehen lassen: Er ist übergewichtig und kurz vor einer Alkoholsucht. Und es ist nur seinem Sohn Arthur zu verdanken, der als Kleinkind die Kunst des Durchschlafens noch nicht erlernt hat, dass Edgar rechtzeitig die Fliegersirenen hört und sich und seine Familie im Keller in Sicherheit bringen kann, bevor die Meteoriten einschlagen. Zuvor hatte er noch die Geistesgegenwart, im lokalen Lebensmittelgeschäft eine kleine Plünderungsaktion abzuhalten und sich mit dem allernötigsten einzudecken.

Die Hills überleben den Meteoriteneinschlag, stecken nun aber in der Klemme. Aus dem Keller ist kein Herauskommen, weil die Trümmer des Hauses den Ausgang verschüttet haben. Doch als es kritisch wird, werden sie gerettet. Ein paar Soldaten – wenige, die von der schottischen Armee noch übrig sind –, retten sie und bringen sie in ein Camp mit einigen Überlebenden.

Dort versuchen sich diese Überlebenden mehr schlecht als recht zu organisieren. In den Trümmern von Edinburgh greift die Anarchie um sich und Edgar geht lieber mit einigen Kumpels auf Patrouille, statt sich um seine Familie zu kümmern. Und so kommt es, dass diese zusammen mit anderen Leuten aus dem Camp evakuiert werden, während Hill und seine Kumpels gerade auf einer Mission sind, bei denen sie obendrein die Position ihres Lagers an die «Rabbits», jugendliche Marodeure, verraten.

«We missed the bus», said Bryce.

Die Evakuation soll von Falmouth aus stattfinden und die dort Versammelten in die südliche Hemisphäre bringen, die von den Meteoriten weniger betroffen ist. Der Helikopter, der Edgar und seine Freunde dort ebenfalls hinbringen soll, kommt jedoch nicht. Und so bleibt ihnen nur, sich zu Fuss aufzumachen, um wieder Anschluss zu erhalten und in einer unversehrten Weltgegend die Chance auf einen Neuanfang zu erhalten. Doch die Zeit drängt: Die Schiffe wollen um Weihnachten herum von Falmouth aus ablegen. Es bleibt Edgar, Harvey, Bryce, Richard und Grimes nichts anderes übrig, als täglich eine beträchtliche Zahl an Meilen hinter sich zu bringen – was nur rennend möglich ist.

Es bleibt Edgar nichts anderes übrig, als jeden Tag, jede Minute gegen die Trägheit seines Körpers und die Widrigkeiten der Umstände anzukämpfen. Auf ihrem Lauf durch das versehrte Land bleiben Begegnungen und Gefahren natürlich nicht aus. Sie treffen auf Gloria, die alles tut, um sich und ihr vor wenigen Wochen geborene Tochter zu verteidigen; auf Lord Bartonmouth, der selbst unter widrigen Umständen Haltung wahrt, seinen Landsitz verteidigt und seinen Gästen Hundefutter serviert, wenn sonst nichts mehr da ist.

Das autoritäre Matriarchat

Und da gibt es Jenny Rae, die in Manchester eine Art autoritäres Matriarchat hochgezogen hat – eine Szene, die manche Kommentatoren auf Amazon für überzogen halten, und über die Jason King in seiner treffend überschriebenden Kritik «A Very British Apocalypse» schreibt:

Wieder einmal ist es die Arbeiterklasse, die als Hauptbösewicht im Mittelpunkt steht, obwohl Walker zu seiner Verteidigung sagen muss, dass seine Darstellung der arbeitenden Bevölkerung recht ausgewogen ist, obwohl die Szenen auf Jenny Raes Anwesen manchmal wie eine Mischung aus Coronation Street und dem Versteck eines Bond-Bösewichts wirken.

Das kann ich nur unterschreiben. Und darum zitiere ich hier auch gleich noch Kings zweite Beschwerde:

Meine andere Beschwerde betrifft den subtilen Versuch, das Ende zweideutig zu gestalten: Es gibt ein oder zwei Zeilen am Anfang und am Ende, die infrage stellen, was erzählt wurde, und ich fand das unnötig. Es war auch nicht wirklich stimmig: Das Ende ist in Ordnung, so wie es sich wörtlich liest, und es bestand keine Notwendigkeit, postmodern zu werden oder andere Ereignisse anzudeuten.

Die teile ich ebenfalls: Mich stört auch, wenn Autoren eine Metaebene einziehen, nur um den Interpretationsspielraum auszuweiten: Das bringt meistens keinen erzählerischen Mehrwert, sondern ist nur ein einfach zu durchschauender Versuch, Tiefe simulieren – so, wie Rückblenden in Serien oft nur dazu da sind, narrative Mankos zu übertünchen.

Fast alles umsonst

Trotzdem ändert das fundamental nichts daran, dass «The End of the World Running Club» ein mehr als gelungenes Buch ist. Am Ende löst sich das Grüppchen langsam auf. Grimes, die Soldatin, fällt beim Ausbruchsversuch aus Jenny Raes Gefängnis, Harvey erleidet kurz vor dem Ziel einen Unfall, Edgar läuft die letzten Meilen wie im Delirium und in einer Art Trance, bei der ihm Jesus persönlich erscheint.

Und am Ende ist fast alles umsonst: Das Schiff ist zwar noch im Hafen, doch weil Edgar zu spät ist, um sich die nötigen Papiere zu beschaffen, hat er keine Chance, an Bord zu gelangen. Aber er sieht seine Frau, Tochter und Sohn noch einmal und kann sich von ihnen verabschieden – was für den Leser schlimmer ist, als wenn er das Schiff um ein paar Stunden verpasst hätte…

Beitragsbild: Die Sonne ist nach dem Meteriteneinschlag erst nach Wochen wieder zu sehen (Jared Murray, Unsplash-Lizenz).

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