CNN ist am besten als Radio

Diese Woche habe ich viel Nachrichtenfernsehen konsumiert – aber weniger in Videoform als vielmehr als Hör-Podcast. Die Erkenntnis ist: In «Breaking News»-Situationen gibt es ein riesiges Potenzial für Audio.

Was für eine verrückte Woche! Der Putschversuch der Trump-Dilettanten hat mich sosehr beschäftigt, dass ich so viel CNN geschaut habe wie schon seit langem nicht mehr.

Fernsehen zum zeitsouveränen Nachhören.

Wobei: Ein Grossteil meines Konsums erfolgte nur via Audio. Mir ist aufgegangen, dass CNN viele Sendungen in Audioform anbietet. Man findet sie hier, aber auch in den Verzeichnissen der Podcatcher, zum Beispiel bei Pocket Casts. Das ist die App, die ich seit Jahren verwende.

Ob CNN für die Veröffentlichung als Audio viel an den Sendungen verändert, kann ich nicht beurteilen, weil ich weder Zeit noch Lust hatte, Vergleiche anzustellen.

Mein Eindruck ist, dass die eins zu eins abgefüllt werden. Zusätzliche Erklärungen, wenn man wegen der fehlenden Bildinformationen Verständnisschwierigkeiten haben könnte, gibt es meines Wissens jedenfalls nicht. Aber diese Gefahr ist gering: CNN ist zu einem grossen Teil Talking Heads-Fernsehen, das auch ohne Bild hervorragend funktioniert. Auch am Mittwochabend: Da waren anfänglich die ewig gleichen Bilder in Endlosschlaufe zu sehen.

Die Reporter sehen meistens mehr als der Fernsehzuschauer.

Die grosse Ausnahme sind natürlich die Reporter vor Ort, die letzten Mittwoch vor dem Capitol standen. Deren Hauptaufgabe war jedoch, alles zu beschreiben, was sie sahen. Diese Dinge sind manchmal auch im Fernsehbild zu sehen. Doch sehr oft eben auch nicht, sodass die Zuschauer nicht wesentlich besser informiert sind als die Zuhörer.

Und sowieso: Einer solchen Reportage bloss zuzuhören, ist in vielen Fällen eindrücklicher, als sie sich anzusehen: Ich hatte den Eindruck, unmittelbarer dabeizusein als am Bildschirm.

Denn wie das bei amerikanischen Nachrichtensendern gute Tradition ist, wird das Bild oft in viele kleine Einzelfenster unterteilt. In denen sieht man zum einen Newsbilder, denen oft jeglicher Kontext fehlt. Und zum anderen stecken die Fernsehmoderatoren eigenen kleinen Kästchen, sodass keinerlei Immersion aufkommt. Dafür jede Menge Hektik, die der Tonspur alleine abgeht.

Moderatoren in ihren kleinen Kästchen.

Überhaupt ist mir wieder einmal aufgefallen, wie anders amerikanische Nachrichtensender funktionieren als fernsehjournalistische Erzeugnisse hierzulande.

Bei uns geben sich die Moderatoren stets viel Mühe zu erklären, weshalb dieser oder jener Gast in der Sendung auftritt. Es gibt eine klarere Struktur und Segmentierung, während CNN ein stetig plätschernder Informationsfluss bildet, den man fortlaufend über sich ergehen lassen kann. Mir war es häufig ein Rätsel, warum nun dieser oder jener Reporter oder Kommentator auf dem Plan auftauchte: Hatte genau er die entscheidende Analyse parat? Oder einfach gerade Zeit und Lust, live zu gehen?

Zugegeben: Diese gepflegte Durcheinander praktizieren CNN und Co. vor allem während «Breaking News»-Situationen. In denen werden Ereignisse während des Entstehens abgebildet und Improvisation ist zwangsläufig unvermeidlich.

Bei den «Breaking News» laufen diese Sender zur Hochform auf.

Und diese Live-Shows beherrschen die Amis – so gut, dass europäische Kollegen im Vergleich immer unbeholfen und schutzbedürftig wirken. Als Nicht-Fernseh-Profi kann ich nur spekulieren, woran es liegt.

Natürlich können CNN und Co. mit der grösseren Kelle anrühren. Aber der Hauptunterschied dürfte bei der Routine liegen: In den USA gibt es genügend Ereignisse, die sich als «Breaking News» abdecken lassen und während denen sich die Reporter darin üben können, auch bei komplettem Informationsnotstand nicht allzu groben Unfug zu erzählen.

Beim Schweizer Fernsehen SRF, bei ARD und ZDF spüre ich eine grosse Zurückhaltung, was die Live-Reportagen angeht. Wahrscheinlich zu Recht – denn bei «Bild-TV», wo die amerikanischen Gepflogenheiten praktiziert werden, sieht man, wie gross dass die Absturzgefahr ist. (Nicht, dass ich mir diese Sendungen ansehen würde. Aber die Ausrutscher lese ich jeweils beim Bildblog nach, in Artikeln wie «Bild live»: Vier Stunden Falsches zum Terroranschlag in Wien.

Und ja: Man kann sich darüber streiten, wie gross der Erkenntnisgewinn aus solchen Live-Sendungen ist – und ob man seine Zeit nicht besser investiert, wenn man sich zu einem Zeitpunkt intensiv mit einem Thema auseinandersetzt, wenn die Informationslage gefestigt ist und kluge Köpfe ausreichend Zeit hatten, die Fakten zu studieren und zu interpretieren.

Es gibt so viel zu sehen, dass man keine Ahnung hat, wohin man blicken soll.

Dem stimme ich zu. Doch bei solchen Ereignissen wie dem Sturm auf das Kapitol in Washington können viele Leute nicht anders – und ich gehöre auch zu ihnen –, als die Entwicklung mitzuverfolgen, zu hoffen, zu bangen und den Kopf zu schütteln.

Eine Erkenntnis bleibt für mich: Das Potenzial von Audio in solchen «Breaking News»-Situationen wird massiv unterschätzt. Das hat damit zu tun, dass sich das Radio nie ganz davon erholt hat, vom Fernsehen in die Rolle des Begleitmediums gedrängt worden zu sein. Doch die CNN-Audio-Podcasts geben eine Ahnung davon, was drinliegen könnte.

Und so plädiere ich für eine Live-Kultur hierzulande beim Schweizer Newssender SRF 4 News, der derlei meines Wissens fast gar nicht macht – Livesendungen gibt es höchstens bei Anlässen wie dem WEF, wo sie monatelang im Voraus geplant werden können. Wie es in Deutschland zum Beispiel beim Deutschlandfunk aussieht, kann ich nicht beurteilen. Ich schätze zwar die Dlf Audiothek-App sehr (iPhone und Android), aber das ausgestrahlte Programm kenne ich fast gar nicht.

Doch auch die Dlf-Leute sind herzlich eingeladen, sich meinen Vorschlag durch den Kopf gehen zu lassen.

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