Jahrzehntlich grüsst das Murmeltier

«Replay» ist ein Roman von Ken Grimwood der inhaltlich an den Film «Und täglich grüsst das Murmeltier» erinnert, dieses Motiv aber im viel grösseren Stil angeht.

In meiner kleinen Lesereihe zu Zeitreisegeschichten (jetzt allerdings unterbrochen durch 3880 Seiten AGoT-ACoK-ASoS-AFfC¹) komme ich auf «Replay» zu sprechen. Beim Roman von Ken Grimwood, der in Deutsch die Unterzeile «Das zweite Spiel» verwendet, sind Parallelen zum Film «Groundhog Day» unverkennbar. Statt einen Tag zu wiederholen, erlebt der Protagonist Jeff Winston jedoch den Teil zwischen 18 und seinem 43. Geburtstag mehrfach. Er tut das im vollen Bewusstsein seiner früheren Leben, aber ohne Wissen um den Grund seiner Ehrenrunden. Und (vorerst) ohne eine Ahnung zu haben, ob diese Wiederholungen nun bis in alle Ewigkeiten andauern werden.

Den Wissensvorsprung nutzen

Jeff Winston tut, was wir alle in seiner Situation auch tun würden: Er legt es darauf an, sich mit seinem Wissen über die Zukunft Vorteile zu verschaffen und stinkreich zu werden. Das gelingt, ist aber nicht sehr befriedigend. Also versucht er es mit selbstzerstörerischen Drogen- und Sex-Exzessen, mit heiler Welt, mit Einflussnahme in den Lauf der Dinge… und scheitert, bis zum Moment – der jetzt hier nicht gespoilert wird.

Die «Was wäre wenn»-Frage lässt sich bei dieser Ausgangslage wunderbar erörtern, und genau darum lese ich solche Bücher auch gern. Das Buch tut es, anders als beispielsweise «Der letzte Tag der Schöpfung», im privaten und nicht bzw. nur sehr partiell im politischen, weltgeschichtlichen Sinn. Da der Held in den Sechziger Jahren jung war, ist es für den Autor unvermeidlich, sich mit der Ermordung JFKs zu beschäftigen und seine Figur den Versuch wagen zu lassen, sie zu verhindern. Anders als in «11/22/63» wird dieser Versuch auf einigen Seiten abgehandelt – und umgekehrt erwähnt King in seinem Schmöker, warum ein Brief ans Weisse Haus eben nicht taugt, den Anschlag aufzuhalten.

Irgend ein Armleuchter hat sich doch tatsächlich eine Passage aus dem Buch auf den Arm tätowieren lassen. Warum dann nicht wenigstens eine gute Passage? Zum Beispiel… «Their fragile, wind-blown caress against the unyielding glacier, their vibrant color so like a woman’s lips, or…»

Das Buch erzählt überzeugend, wie der Held mit seinem Dilemma – den wunderbaren Möglichkeiten auf der einen Seite, der Einsamkeit, dem Verlust und dem Unverständnis auf der anderen – umgeht. Deutlich besser übrigens als der Roman von Roger Schmelzer, der sich für Die besten zehn Sekunden meines Lebens die Idee ausgeliehen, aber dann nicht sehr viel daraus gemacht hat.

Wo bleibt die ultimative Selbsterkenntnis?

Das Buch liess mich halb befriedigt zurück. Müsste man, wenn man sein Leben mit diversen Wiederholungen lebt, nicht zur ultimativen Selbsterkenntnis gelangen – zur Antwort auf die Frage, was man will, kann und soll? Doch wahrscheinlich – aber genau das würde ein furchtbares, grauenvolles, unlesbares Buch ergeben.

Die Schwierigkeit bei Büchern mit Zeitreisen und entsprechend konstruierten Handlungen liegt darin, einerseits überzeugend und andererseits trotzdem unterhaltend und relevant zu sein. Da hat sich Ken Grimwood gut aus der Affäre gezogen. Auch wenn ich überzeugt bin, dass ich alles viel besser gemacht hätte, wenn ich an der Stelle seines Protagonisten gestanden hätte…

Wenn ich nun allerdings lese, dass Ben Affleck die Geschichte verfilmen will… dann warte ich doch lieber auf das Replay mit einem richtigen Regisseur.

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