Was wäre wenn im grossen Stil

Das Buch «Der letzte Tag der Schöpfung» von Wolfgang Jeschke eruiert, was herauskäme, wenn eine Supermacht die Möglichkeit entdecken würde, durch die Zeit zu reisen und sich die Vergangenheit – und damit die Gegenwart – genehmer zu gestalten.

Ich bin auf einem kleinen Streifzug durch die Zeitreisen-Literatur. Ich habe mir zu diesem Thema «11/22/63» zu Gemüte geführt, ausserdem «Replay» und «Der letzte Tag der Schöpfung».

Dieses Buch stammt von dem mir bis dato nicht bekannten deutschen Autor Wolfgang Jeschke. Es geht die Thematik im grossen Stil an. Es geht nicht um die einsame Mission eines Einzelkämpfers wie in «11/22/63» (oder fast so einsam in «Replay»), sondern darum, was eine Supermacht tun würde, wenn sich ihr plötzlich die Möglichkeit eröffnen würde, die Vergangenheit zu manipulieren. Die Supermacht ist die USA, und natürlich würde die nicht darauf verzichten wollen, die Gegebenheiten ein bisschen zu den eigenen Gunsten zu verändern. Ohne zu viel zu verraten – es werden Hunderte von Leuten und Tonnen von Material fünf Millionen Jahre in die Vergangenheit geschickt, um dort den Arabern das Öl «unter dem Hintern wegzupumpen».

Selbstverständlich geht das schief. Es gehört zum Genre, dass man nicht ungestraft an der Zeitlinie herumdoktern kann. Die Auswirkungen bekommen aber nur die in der Vergangenheit Gestrandeten mit. Während sich die Gegenwart durch den Verlauf der Mission in der Vergangenheit immer weiter verändert, treffen im Miozän Missionsteilnehmer aus unterschiedlichen Verläufen der Menschheitsgeschichte ein. Da keiner zurückgeholt werden kann, bleibt das den überheblichen Zeitimperialisten verborgen. Die bleiben auf ihrem Zeitstrahl gefangen…

Logisch, spannend, stringent

Das mag verwirrlich klingen, ist es aber eigentlich gar nicht. Wolfgang Jeschke schreibt logisch, spannend und stringent. Trotz detailreichen Schilderungen wird die Geschichte in flottem Tempo vorangetrieben und ohne Schnörkel, Exkurse oder Nebenhandlungsstränge erzählt. Das Buch ist mit 320 Seiten relativ kurz. Meines Erachtens hätte es gerne doppelt so lang sein dürfen – denn besonders über die Veränderungen in der Gegenwart hätte ich noch viel mehr erfahren mögen.

Ein Mastodon (Bild hier geklaut)

Die Geschichte bleibt bei den in der Vergangenheit Gestrandeten, die sich mit den Konflikten auseinandersetzen müssen, die nun in die frühe Stammesgeschichte des Menschen hineinverlagert wurden. Im Gebiet noch nicht vorhandenen Mittelmeers wird mit Atomgranaten erbittert um die Landeregion gekämpft, wo die Lieferungen aus der Zukunft abgeworfen werden.

Einer bewohnt nun das Tessin

Dabei wäre genügend Platz auf der Erde, die von Mastodonten und einigen wenigen Hominoiden besiedelt ist. Einige der Gestrandeten siedeln in einer Kolonie namens Atlantis, ein anderer setzt sich nach Europa ab (und macht sich kurzerhand das Tessin zu eigen).

Ein Buch, das ausbaufähig gewesen wäre – und das viele tolle Textstellen enthält. Zum Beispiel die:

So hat der amerikanische Geheimdienst sozusagen auch ständig eine Nase unter dem Hl. Stuhl, um jedes päpstliche Lüftchen zu registrieren, das dem Pentagon ins Gesicht blasen könnte.

Oder auch die:

Tagträume sind wichtig. Die ungeheuren, nie verwirklichten Möglichkeiten der Geschichte. An den Punkten, wo die Wirklichkeit sich in einem überraschenden Moment öffnet und den Blick auf die Landschaft einer anderen Realität freigibt, dort liegen die Bergwerke der menschlichen Phantasie. Und wenn diese Welt eines Tages tatsächlich zugrunde gehen sollte, dann durch den Mangel an Phantasie ihrer Bewohner.

Darf man sich auf eine Verfilmung freuen? «Der letzte Tag der Schöpfung» dränge sich für eine Verfilmung geradezu auf, habe man ihm gesagt, schreibt Wolfgang Jeschke im Nachwort. Roland Emmerich soll ein Exemplar des Buchs erhalten haben – aber der hat sich bis jetzt nur 12’000 Jahre («10.000 B.C.»), nicht aber 5 Millionen Jahre in die Vergangenheit gewagt…

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