Eschbachs satirischer Doppelschlag

Zwei neue Bücher von Andreas Esch­bach: Was «ZAP» und «Kelwitts Stern» ge­mein­sam haben, was sie unter­scheidet und welches der beiden mehr über­zeugt.

Andreas Eschbach gehört zu den Autoren, dessen Bücher ich unbesehen kaufe. Ich lese nicht einmal den Klappentext. Denn die Marketing-Leute in den Verlagen neigen dazu, entweder zu viel über eine Geschichte zu verraten oder aber falsche Erwartungen zu wecken. Und abgesehen davon ist es toll, völlig ahnungslos in eine Geschichte zu starten.

In den letzten Monaten konnte ich das gleich zweimal tun. Erstens mit ZAP, einem Jugendroman, der im letzten Herbst erschienen ist. Zweitens mit Kelwitts Stern (Amazon). Dieses Buch stammt zwar schon von 1999, aber es ist 2023 erstmals in meiner bevorzugten Darreichungsform erschienen, als Hörbücher nämlich.

Die beiden Bücher haben weitere Gemeinsamkeiten. Sie haben beide satirische Elemente. Und sie erinnern uns an Geschichten, die wir aus dem Kino kennen: «ZAP» macht gewisse Anleihen an The Truman Show von 1998 und «Kelwitts Stern» ist eine Parodie auf E.T. von 1982. Beide Bücher können bestens von Jugendlichen gelesen werden.

Und beide Storys fühlen sich nach Jahrtausendwende an. Bei «Kelwitts Stern» ist der Grund offensichtlich: Die Geschichte spielt um Ende 1999, und bei älteren Semestern wie mir weckt es unzählige Erinnerungen an jene Zeit – inklusive an die Panik vor dem Y2K-Bug.

Auch bei «ZAP» würde ich wetten, dass die Ursprungsidee etwas älter ist und das Manuskript schon länger in der Schublade lag. Denn der Kern dieser Geschichte ist die Kritik an Fernseh-Unterhaltung im Stil von Big Brother und Dschungelcamp. Diese Kritik kann man auch heute noch äussern, aber im Zeitalter des Influencertums, der unkontrollierten Youtuberei (Stichwort Drachenlord) und der Möglichkeit der totalen Selbstentblössung in den sozialen Medien wirkt sie überholt – auch wenn der Protagonist eine Influencerin als Schwester hat.

«Kelwitts Stern»

Mit Nach-Hause-Telefonieren ist es hier nicht getan.

Damit sind wir bei der Kritik – und den Unterschieden zwischen den beiden Büchern: «Kelwitts Stern» funktioniert heute noch genauso wie vor zwanzig Jahren.

Die Geschichte ist unterhaltsam und hat eine locker-amüsante Tonalität, die ich von Eschbach nicht kannte. Sie ist eine zugeneigte Referenz an «E.T.» und gleichzeitig eine krachende Absage an Roland Emmerich und sein Scifi-Katastrophen-Schinken Independence Day von 1996.

Ein Stinkefinger für Roland Emmerich

Ich bin sicher, dass es kein Zufall ist, dass Stuttgart in diesem Zusammenhang eine doppelte Rolle spielt: Einerseits wurde Emmerich dort geboren, andererseits wird Kelwitt, der Ausserirdische aus Eschbachs Geschichte dorthin verschlagen, nachdem er mit seinem Raumschiff in einen Heuschober in der Schwäbischen Alb gekracht ist.

Das Alien von Eschbach ist im Gegensatz zu den von Emmerich uns Menschen wohlwollend gesonnen. Es ist etwas naiv, aber neugierig und aufgeschlossen für all die seltsamen menschlichen Aktivitäten: Sie essen ständig, diese Menschen. Sie verwenden viel zu weiche Möbel. Und sie haben diese komische Angewohnheit, sich geschlechtlich fortzupflanzen.

Sexualität? Nie gehört!

Apropos: Die grossartigste Szene – Achtung, Spoiler! – ist der Moment, als Sabrina versucht, Kelwitt zu verführen, weil seine Haut eine seltsame Anziehung auf sie ausübt und sie wissen möchte, was es mit den Hautfalten zwischen seinen Beinen auf sich hat – und weil das eine Gelegenheit ist, die sie nicht ungenutzt verstreichen lassen möchte. Kelwitt hat keinen Schimmer, wie ihm geschieht. Seine Spezies pflegt sich auf eine Weise zu vermehren, die keine zwei Geschlechter benötigt und bei der weder Elternschaften noch Familien entstehen.

Sabrina gehört zu der Familie, bei der Kelwitt nach seinem Absturz Unterschlupf gefunden hat. Dank eines Übersetzungscomputers auf seiner Schulter können sich Menschen und der Ausserirdische recht gut unterhalten, auch wenn es natürlich ständig Verständigungsschwierigkeiten auf allen Ebenen gibt. Kelwitt – der auf einer Art Pilgerreise in das Sonnensystem ist, dessen Zentralgestirn seinen Namen trägt – glaubt zum Beispiel, dass das «Raumschiff Enterprise» aus dem Fernsehen tatsächlich existiert und seinen Heimatplaneten in gut zwei Wochen erreichen könnte.

Am Ende kommt das Alien zu kurz

Wir lernen aus dieser Geschichte, dass ein Kontakt mit extraterrestrischen Wesen nicht unbedingt nach der Vorstellung Hollywoods ablaufen müsste. Wer, wie ich, es «E.T.» immer angekreidet hat, dass wir absolut nichts über die Heimatwelt des Besuchers erfahren und uns plus/minus damit begnügen müssen, darüber zu stauen, wie exotisch er ist, kommt bei Kelwitt voll auf die Rechnung. Wir lernen nicht nur seine Heimatwelt und diverse seiner Gebräuche kennen, sondern nehmen auch an seinem inneren Monolog teil. Meine grösste Kritik an der Geschichte besteht darin, dass diese Stimme im Verlauf der Geschichte verstummt und Kelwitt zum Statisten wird. Das ist schade!

«ZAP»

Paralleluniversum oder doch Mattscheibe?

Wie angedeutet, finde ich im Vergleich dazu «ZAP» zwar unterhaltsam, aber aus heutiger Sicht nicht mehr sehr relevant: Der Plot, einen Fernsehsender als ausbeuterisch und menschenverachtend darzustellen, funktioniert mehr schlecht als recht, wenn die klassischen Medien nicht nur Publikum, sondern auch an Bedeutung verlieren und von den Tech-Konzernen auf allen Ebenen bedrängt werden.

Das Buch hätte eine andere Wendung nehmen können. Statt als Medienkritik zu enden, hätte es sich zu einem rasanten Multiversums-Abenteuer entwickeln können. Ich bin überzeugt, dass das letztlich spannender, dringlicher und erzählerisch ergiebiger gewesen wäre. Aber klar, ich bin ein Fan dieses Genres.

Amiramin695, CC BY-SA 4.0

Kurz zum Inhalt – Achtung, mit Spoilern! Finn ist nach Ostwaldau gezogen, ein Kaff, in dem absolut nichts los ist und in dem er es nicht schafft, Fuss zu fassen.

Wurmloch oder Geisteskrankheit?

Eines Tages passiert etwas Seltsames: Als Finn zu Hause ankommt, wohnen fremde Leute in der Wohnung, in die sie vor ein paar Wochen eingezogen sind. Als Finn verwirrt durch Ostwaldau irrt, stellt er fest, dass sich noch viele andere Dinge verändert haben. Die Buslinie fährt nur noch im Kreis und im Gebäude seiner Schule ist jetzt ein unbekanntes Unternehmen untergebracht. Finn fragt sich schon, ob er durch ein Wurmloch in ein Paralleluniversum geraten ist – seine Physiklehrerin hatte nämlich noch am Morgen von dieser theoretischen Möglichkeit gesprochen. Oder stimmt etwas mit seinem Kopf nicht mehr?

Doch kein Wurmloch ist mit im Spiel. Finn wird von einem Fernsehsender an der Nase herumgeführt. Der hat für eine Reality-Show die ganzen Veränderungen inszeniert und sein Vater, der für diesen Sender arbeitet, hat seine Mutter überzeugt, dass Finn als unwissendes Versuchskaninchen für diese voyeuristische Veranstaltung benutzt werden soll.

Ein zu grosser Vertrauensbruch

Doch dank eines Mädchens von Finns Schule, Lea, kommt Finn der Sache auf die Schliche und kann den Spiess umdrehen. Das gipfelt darin, dass die Zuschauer ihre Fernseher aus dem Fenster werfen und zum Studio rennen, weil sie dort, wie sie meinen, einen neuen, grösseren, besseren bekommen.

Letztlich geht die Geschichte für mich nicht so ganz auf. Dass ein Fernsehsender eine so grossangelegte Täuschung überzeugend hinbekommen würde, ist nicht sehr glaubhaft. Und Eschbach geht für mich auch zu leichtfertig über den riesigen Betrug hinweg, den Finns ganze Familie – auch seine Influencer-Schwester – an ihm begehen. Sie sehen ein, dass sie einen Fehler gemacht haben und bereuen. Aber wenn wir uns in die Haut eines Jugendlichen versetzen, dann ist es schwer vorstellbar, dass die Sache damit für uns erledigt wäre …

Beitragsbild: Kelwitt, mit Mutterschiff im Hintergrund (Dall-e 3).

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