Wie Spotify Hörbücher verhunzt

Nicht nur Spotify steht am Pranger, sondern auch Audi­ble mit den Hör­buch­ver­la­gen: Die haben keinen Res­pekt vor Auto­rin­nen und ihren Wer­ken, und sie neh­men keine Rück­sicht auf den Leser.

Ich muss mich über Spotify aufregen – schon wieder. Spotify ist schuld an verhunzten Hörbüchern. Und das ist ein Skandal.

Wobei ich differenzieren muss: Inhaltlich sind die Hörbücher nach wie vor in Ordnung¹. Was vor die Hunde geht, ist die Kapiteleinteilung. Und nein, für mich ist das keine Kleinigkeit – und für viele Freundinnen und Freunde von Hörbüchern offensichtlich auch nicht: Mein Blogpost Audible, wie wärs mit Kapiteln?, in dem ich vor 13 Jahren diesbezügliche Missstände angeprangerte, hat über die Jahre Zehntausende Klicks angesammelt.

Verhackstückt

Keine Chance, diese Kapiteleinteilung mit dem Buch in Übereinstimmung zu bringen.

Das Problem ist neuerdings, dass die neuen Hörbücher nicht mehr inhaltlich nach Kapiteln aufgeteilt werden. Stattdessen werden sie in Häppchen zwischen drei und fünf Minuten zerlegt, die mit der ursprünglichen, vom Autor vorgesehenen Struktur nicht mehr viel zu tun haben. Ein Beispiel: Volker Kutschers Goldstein, der dritte Fall von Gereon Rath, hat in gedruckter Form 119 Kapitel. Im Hörbuch sind es 308. Das macht es schwierig bis unmöglich, für Leserinnen und Leser, eine Stelle im Buch zu finden, wenn sie mitlesen möchten.

Im Idealfall stimmen wenigstens die Kapitel-Anfänge überein, sprich: Wenn im gedruckten Buch ein Kapitel anfängt, dann startet auch im Hörbuch ein neuer Track. Und wir sind auch schon zufrieden, wenn der Kapitel-Wechsel auf ein Satzende fällt. Mir ist bislang kein Beispiel begegnet, wo das nicht so gewesen wäre. Aber ich würde meine Hand nicht ins Feuer legen, dass es nicht auch solche Fälle gibt.

Schon, aber: Warum ist Spotify schuld?

Nun werdet ihr euch vielleicht fragen: Ärgerlich, aber warum ist Spotify daran schuld?

Es liegt am gleichen Mechanismus, der (womöglich) auch die Musik kaputtmacht: Die Streamingdienste zahlen nicht nach Hördauer, sondern pro abgespieltem Track. Es liegt auf der Hand, wie lukrativ es ist, ein langes Werk in möglichst kurze Segmente zu zerlegen: Dopplet so viele Kapitel, zweimal so viele Einnahmen.

Da Spotify den Trick durchschauen hat, wurde eine Mindestlänge eingeführt, ansonsten Schlaumeier jedes Wort eines Hörbuchs eigenes Kapitel abtrennen würden. Wie wir erfahren haben – und wie bei neuen Hörbüchern unschwer zu erkennen ist –, liegt dieses Minimum bei ungefähr drei Minuten.

Bei diesem Beispiel tritt in exemplarischer Deutlichkeit zutage, wie im Zweifelsfall die Interessen von uns Konsumentinnen und Konsumenten gnadenlos geopfert werden. Derart kurze Kapitel ergeben keinen Sinn und sie ignorieren rücksichtslos den Aufbau, der sich die Autorin bzw. der Autor ausgedacht hat. Es zeugt auch von einer Geringschätzung des Werks.

Warum auch du, Audible?

Eines nervt mich nun besonders: Nämlich, dass dieser Vandalismus auch an Orten stattfindet, an denen er überflüssig ist. Wie erwähnt, sehe ich diese Einteilung auch bei meinen Audible-Titeln. Die werden aber ganz normal gekauft und nicht nach Tracks abgerechnet. Die Einteilung der Kapitel hat keinerlei monetäre Auswirkungen für Verlag und Autor.

Mit anderen Worten: Dass die Verlage ihre Umsätze bei den Streamingdiensten maximieren, verstehe ich zu einem gewissen Grad. Aber ich habe null Verständnis, dass sie sich nicht wenigstens die Mühe machen, zwei Versionen ihrer Hörbücher zu produzieren: Nämlich eine mit der verhunzten Streaming-Kapitelei für Spotify und Co. und eine, die das Werk des Autors würdigt. Das wäre ein geringer Aufwand. Und es würde, nebenbei bemerkt, auch die Position von Audible und anderen Hörbuch-Plattformen als Premium-Anbieter stärken. Das macht es noch weniger verständlich, dass Audible dieses windige Spiel mitspielt.

Fussnoten

1) Wobei das natürlich abhängig vom Titel ist. Auch heute gibt es durchaus Werke, die ihr Geld nicht wert sind …

Beitragsbild: So gäbs von Spotify womöglich noch mehr Geld (Sigmund, Unsplash-Lizenz).

2 Kommentare zu «Wie Spotify Hörbücher verhunzt»

  1. Sehr interessant für mich als Hörbuchsprecher zu Lesen. Ist das aktuell auch noch so? War da nicht ein Skandal mit Tantiemen in letzter Zeit, dass die Sprecher nicht zufrieden sind mit der Aufteilung? Freue mich auf ein Update! LG Christian

    1. Ja, ich sehe das noch immer auch bei neuen Produktionen. Den Skandal habe ich nicht mitbekommen. Aber es würde mich nicht wundern, wenn sich auch da Konflikte auftun – wo z.B. Apple Bücher mit KI-Stimmen vertonen will.

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