Einem Chihuahua (und einem Meme) auf der Spur

Jedes animierte GIF hat eine Her­kunfts­ge­schichte. Die heraus­zu­finden, ist oft­mals interes­sant. Und falls nicht, kann man wenig­stens seine Medien­kompe­tenz trai­nieren.

Stellen wir uns folgende Szene vor: Wir bewegen uns in einem sozialen Medium und haben dort einen Freund, der seine Wortäusserungen gern mit animierten GIFs untermauert. Es dürfte so sein, dass die Qualität dieser kurzen Sequenzen durchwachsen ist – vielleicht, weil unser Freund nicht immer Geschmacks-sicher bei der Auswahl ist. Womöglich aber auch deswegen, weil im Netz viele schräge, bizarre und fragwürdige GIFs zirkulieren.

Woher «Hide The Pain Harold» kommt, ist inzwischen Legende.

Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass uns ab und zu ein Exemplar begegnet, das auf unsere Zustimmung stösst und unter Umständen unsere Neugierde weckt:

Woher stammt es? Was war seine ursprüngliche Bedeutung, bevor es durch den unersättlichen Meme-Hunger der sozialen Medien eingesaugt und, auf eine eindimensionale Botschaft eingedampft, nun dazu herhalten muss, den sozialmedialen Beitrag unseres Freundes multimedial anzureichern?

Diese Frage erstreckt sich gleichermassen auch auf die Memes – statische Bilder mit Text. Denn wie wir wissen, hat auch diese Kunstgattung unsterbliche Helden hervorgebracht; allen voran András «Hide the Pain Harold» Arató, der König der Memes

Die Klärung derlei Rätsel ist gleichzeitig eine Fingerübung in Sachen Internet-Recherche. Und keine so banale Angelegenheit, wie man glauben könnte: Denn die Fähigkeit, Informationen aus dem Web nachzugehen und ihren Ursprung herauszufinden, ist entscheidend für die Medienkompetenz.

Wie man vorgeht, hängt von den Umständen ab: Konkret davon, wo und unter welchem Umständen man das Meme zu Gesicht bekommen hat.

Manchmal ist die Lösung fürchterlich einfach…

Bei Twitter beispielsweise gestaltet sich die Recherche so einfach, dass es fast schon enttäuschend ist – zumindest, wenn man das mit ALT beschriftete Feld nicht übersieht. Es nimmt auf das in der HTML-Seitenbeschreibungsprache definierte ALT-Feld Bezug, das eine alternative Bildbeschreibung liefert, die dann zum Zug kommt, wenn das Bild selbst nicht angezeigt werden kann.

Klickt man das ALT-Feld an, erscheint in vielen Fällen eine Beschreibung, die keine Frage offen lässt. Im abgebildeten Beispiel erfahren wir, dass wir es mit dem Schauspieler Alan Cumming aus dem Bond-Film Goldeneye zu tun haben.

Bond, alles klar.

… und manchmal fürchterlich schwierig

Leider ist es nicht immer so einfach. In einem privaten Facebook-Post, den ich hier nicht abbilden kann, ist mir vor ein paar Tagen dieser Superman-Hund begegnet, der auf einem Laufband unterwegs ist:

Ein Klick aufs GIF führt mich zu giphy.com, jener Plattform, die Mark Zuckerberg vor zwei Jahren für 400 Millionen US-Dollar gekauft hat. Giphy gibt auf der dazugehörenden Seite eine Quelle an. Diese Angabe ist in vielen Fällen aufschlussreich, nämlich dann, wenn sie zu einer Videoplattform wie Youtube führt, wo man den Clip zu sehen bekommt, aus dem das GIF entnommen wurde.

Im Fall des Hundes landen wir leider bloss bei Reddit auf einer Seite, die das Bild, aber keine weiteren Informationen bereithält. Darum zündet die nächste Stufe der investigativen Internet-Recherche. Die besteht natürlich in der Konsultation von Googles Bildersuche. Sie fördert den Hund zutage, aber mit so vielen Resultaten, dass man keine Lust verspürt, alle durchzusehen.

Google, zeig mir den ältesten Treffer!

An dieser Stelle komme ich nicht umhin, Kritik an Google zu üben. Um herauszufinden, wo das Bild ursprünglich veröffentlicht worden ist, wäre es überaus nützlich, wenn man die Resultate aufsteigend nach Alter sortieren könnte: Dann liesse sich auch nachvollziehen, wie sich ein Bild durchs Netz verbreitet hat. Wir bekämen in manchen Fällen sogar eine Ahnung davon, wer ein Bild oder einen Inhalt von wem geklaut hat. Das wäre ungemein wichtig, und es ist mir unbegreiflich, warum Google diese Möglichkeit nicht anbietet.

Die zweitbeste Möglichkeit ist, die Suche zeitlich einzugrenzen. Das geht am einfachsten mit dem hier vorgestellten Suchparameter after. Mit dem Prinzip von Versuch und Irrtum gelangen wir zur Erkenntnis, dass der Superman-Chihuahua 2014 im Netz aufgetaucht ist. Fox 4 aus Kansas hat damals berichtet, aber leider keine Erkenntnisse über die Herkunft des Hundes bereitgestellt. Ausserdem wir finden ein Video bei Youtube mit dem Hund.

Wenn unser Ziel war, das Video zu finden, das die Quelle für das GIF war, dann dürfen wir das als Recherche-Erfolg verbuchen. Da es uns aber darum ging, die Hintergrundgeschichte des Chihuahua herauszufinden, müssen wir uns eingestehen, dass wir kein Stück weiter sind – da hätten wir zumindest den Namen des Hundes erfahren wollen.

Alles nur geklaut

Der Account-Name «f10social» liefert keine weiteren Hinweise und die Website f10social.com ist nicht mehr online. Und wie es scheint, hat der Halter des Accounts nichts anderes getan, als lustige Clips zu sammeln und zu veröffentlichen. Es ist unwahrscheinlich, dass er der Urheber des Clips ist. Vielmehr dürfte er ihn aus einer Quelle haben, die für Google nicht zugänglich ist.

Eine weitere Quelle bringt Vine ins Spiel. Vine erlebte 2013 eine kurze Blüte als Plattform für Kurzvideos und ich habe sie seinerzeit gern genutzt. Ihr war jedoch kein Erfolg beschieden, und wenn man Tiktok als Vergleich heranzieht, dann wundert es aus heutiger Sicht nicht, dass Vine ungefähr 2016 weg vom Fenster war: Die fixe Länge von sechs Sekunden war eine zu grosse Einschränkung; und die Idee, die Nutzer eigene Musikvideos machen zu lassen, macht Tiktok und dessen Vorgänger musical.ly um Welten attraktiver.

Doch noch eine heisse Spur

Aber zurück zur Frage, ob Vine die Quelle des Chihuahua war. Die Chronologie deutet darauf hin, dass es so ist: Bei Vine ist der Clip am 2. Januar 2015 oder früher veröffentlicht worden, wie dieser Tweet hier nahelegt. Bei Youtube ist er am 13. Januar 2015 aufgetaucht.

Leider erscheint bei Vine weder der Clip noch die Beschreibung. Archive.org (Wie man tote Websites ausgräbt) meldet, es sei ein Snapshot der Seite angelegt worden, doch wenn man den aufrufen will, erscheint bloss eine Fehlermeldung.

Uh-oh! So kommen wir leider nicht mehr weiter.

Damit müssen wir uns notgedrungen geschlagen geben. Ich vermute, dass wir der Herkunft dieses GIFs nahe gekommen sind. Doch falls Archive.org die technischen Probleme nicht überwindet oder nicht noch eine andere Quelle für archivierte Vines auftaucht, werden wir nicht erfahren, um welchen Hund es sich in diesem GIF handelte, wie er hiess und ob er noch unter uns weilt.

Trotzdem ist das eine interessante Lektion: Wir lernen erstens, wie wichtig die digitalen Archive sind, weil nur sie uns eine Chance geben, solchen Phänomenen auf die Spur zu kommen. Zweitens erleben wir einmal mehr, wie sich Inhalte im Netz verselbständigen und ein Eigenleben entwickeln, das etwas Geisterhaftes hat. Wenn es eine unsterbliche Seele gibt, dann stammt die nicht aus dem menschlichen Körper, sondern aus dem Umstand, im Netz viral gegangen zu sein.

Beitragsbild: Woher der hier stammt, ist schnell geklärt – Nishizuka hat ihn bei Pexels reingestellt (Pexels-Lizenz).

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