In ein paar Minuten ein 3D-Modell der Wohnung anfertigen

Die App Canvas for Home­owners – übrigens auch durch Mieter zu verwen­den –, scannt die hei­mischen vier Wände und erzeugt ein virtuelles Objekt, das sich sogar per CAD-Soft­ware durch die Mangel drehen lässt.

Canvas for Homeowners gehört zu den Apps, die einem vorführen, was für ein unglaublich vielseitiges Werkzeug das Smartphone ist und in welch faszinierenden Zeiten wir leben. Die App erledigt in einer halben Stunde eine Arbeit, für die vor zehn Jahren ein Profi eine Woche lang hätte arbeiten müssen – und die eine Generation zuvor als reine Sciencefiction betrachtet worden wäre. Wie gross der Fortschritt allein in den letzten Jahren war, zeigt sich auch im Vergleich der hier vorgestellten Magic Plan-App.

Die App, die es kostenlos fürs iPhone gibt, erfasst über die Kamera und mithilfe der Sensoren des Telefons Innenräume als farbige 3D-Modelle. Dieses lässt sich vermessen oder in einer AR-Ansicht betrachten, was, nebenbei bemerkt, einem ein psychedelisches Gefühl vermittelt, wenn man sich physisch in dem Zimmer befindet, das man sich gerade virtuell ansieht. Der eigentliche Zweck ist ein professioneller: Ein Modell lässt sich in einem CAD-Format exportieren, um es in einer Konstruktions-Software zu bearbeiten oder virtuell neu zu möblieren.

Man kommt auch als blutiger Laie ans Ziel

Der Name der App impliziert, man müsse Hausbesitzer sein, um sie zu verwenden. Doch wie ich aus Erfahrung sagen kann, funktioniert sie auch in den Händen eines Mieters wie mir problemlos. Und zwar so einfach, dass man auch als blutiger Laie ans Ziel kommt.

Auf dem Startbildschirm stellt die App einen Plus-Knopf für einen normalen Scan und den Button Scan to CAD zur Verfügung. Es ist aber möglich, einen normalen Scan auch nachträglich in ein CAD-Modell zu konvertieren. Das ist dann allerdings, anders als ein normaler Scan, nicht mehr kostenlos. Die Preise sind hier zu finden und bewegen sich zwischen 10 und 15 Cent pro Quadratfuss. Um eine Wohnung mit hundert Quadratmetern (1076 Quadratfuss) zu scannen würde um die 150 US-Dollar zahlen. Nicht günstig, aber allemal billiger, als wenn man das Modell von Hand bauen müsste.

Scannend durch die Wohnung spazieren

Aber hier soll es um die Nutzung durch uns Laien gehen: Betätigt man den Plus-Knopf, hat man zwei Möglichkeiten 360° spin ist für ein einzelnes, kleines Zimmer gedacht, das man scannt, indem man sich um die eigene Achse dreht. Für grössere Räume verwendet man den Modus Walkthrough. Damit müsste es möglich sein, ganze Wohnungen aufs Mal zu scannen, so steht es zumindest in der Hilfe:

Es gibt keine spezifische Begrenzung für die Grösse eines Raums, den Sie scannen können (mit Ausnahme des Gerätespeichers), und Sie können Raum für Raum, mehrere Räume auf einmal oder bis zu einem ganzen Stockwerk scannen. Wir empfehlen, jede Etage und jedes Treppenhaus separat zu scannen.

In meinem Test war es möglich, die ganze Wohnung abzugehen, wobei sich – und das allein ist faszinierend – am Bildschirm in Echtzeit ein Modell aufgebaut hat, das immer detaillierter wurde, während ich die Kamera in jede Ecke gehalten habe.

Während des Scanvorgangs erfasste Flächen. Übrigens: Das ist mein Sofa.

Spiegel bringen die App aus dem Takt

Allerdings ist nach einer gewissen Zeit der Stopp-Knopf verschwunden, sodass ich den Scan nicht mehr anhalten und speichern, sondern nur noch verwerfen konnte. Ob mein Scan das Speicherlimit erreicht hat oder ob sonst ein Fehler aufgetreten ist, kann ich nicht sagen. Mein Eindruck war, dass die Spiegel die App verwirrt haben. Ich werde, falls ich Zeit dazu finde, den Scan der ganzen Wohnung mit abgehängten bzw. abgedeckten Spiegeln wiederholen. Fürs Erste habe ich mich auf einen Scan meines Büros beschränkt, bei dem keine Probleme aufgetreten sind.

Das Modell meines Büros: Von Weitem betrachtet recht überzeugend.

Nachdem man alle Räume, die im Modell enthalten sein sollen, abgegangen ist und die Handykamera in jede Ecke und Nische gehalten hat, stoppt man den Scanvorgang. Daraufhin wird das Modell zur Verarbeitung in die Cloud hochgeladen. Es wird zwar nicht angezeigt, wie gross das ist, aber es scheint sich auch bei einem einzelnen Zimmer um eine beträchtliche Datenmenge zu handeln.

Nach dem Hochladen ist Warten angesagt: Die Verarbeitung könne eine Viertel- oder eine halbe Stunde dauern, heisst es. Im Fall meines Testlaufs musste ich ungefähr 15 Minuten warten. CAD-Scans können einen oder zwei Tage in Anspruch nehmen.

Mein Modell war nach einer Viertelstunde da: Es hat einige Lücken, doch es lässt sich drehen, von allen Seiten betrachten und vermessen. Aus der Ferne betrachtet, ist es eine adäquate Repräsentation meines Büros. Sogar der Hängesitz hat die App nicht aus dem Tritt gebracht, auch wenn er in der Luft zu schweben scheint.

Wie steht es um die Genauigkeit?

Es stellt sich natürlich die Frage, wie genau das Modell ist. Auch darauf findet sich in der Hilfe eine klare Antwort:

Wenn Sie Canvas mit einem LiDAR-fähigen iPad oder iPhone (das sind die meisten Pro-Modelle, die seit 2020 auf den Markt kamen) oder mit einem iPad und einem Struktursensor verwenden, sollten die  Messungen innerhalb von ein bis zwei Prozent von dem liegen, was manuell mit einem Massband, einem Laserdistanzmesser oder per Blaupause überprüft wurde. Wenn Sie Canvas ohne ein LiDAR-fähiges iOS-Gerät verwenden, liegen die Abweichungen innerhalb von fünf Prozent, aber einige Messungen können ausserhalb dieses Bereichs liegen.

Bei grösseren Zoomstufen zeigt sich, dass die App mit kleineren Objekten nicht gut zurechtkommt.

Im iPhone 13 Pro, das ich verwende, ist ein solcher Lidar-Sensor drin. Trotzdem hat die App mit den Details der Einrichtung ihre liebe Mühe. Bei grösserem Skalierungsfaktor wirkt alles verzerrt wie in einem surrealen Gemälde.

Diese Artefakte liessen sich sicherlich durch eine sorgfältigere Arbeitsweise verringern. Doch es zeigt sich, dass die App nicht für feingliedrige Objekte wie ein Ficus oder ein Bücherstapel gedacht ist. Der vorgesehene Einsatzzweck ist, leere Wohnungen und Häuser zu erfassen. Dieses Einsatzgebiet legt einem auch das Hilfedokument zu den Use Cases nahe: Die App richtet sich, nebst Architekten und Innenarchitekten, auch an Versicherungen, Makler und Investoren.

Besser leere Wohnungen scannen!

Das gilt auch für die private Nutzung, bei der man vor dem Einzug in eine neue Bleibe ein digitales Modell anfertigt, weil das beim Einrichten, Möblieren und Vermessen hilft. Auch diesen Zweck erfüllt das Modell nur, wenn nicht schon Gegenstände herumstehen.

Und es gibt einen zweiten Grund, weswegen ich sie nicht für voll ausgestattete Wohnungen empfehlen würde. Sie stellt ein gewisses Risiko für die Privatsphäre dar: Die Modelle sind so detailliert, dass sich daraus eine Menge ableiten lässt – Wohnsituation, Möbel, Ausstattung, Anzahl der Bewohner, und so weiter. Da man als Handynutzer auch geografisch lokalisierbar ist und für die Registrierung eine E-Mail-Adresse angeben muss, gibt man über diese App viele persönliche Informationen preis.

Trotzdem wäre ich diesem Ratschlag selbst wohl untreu geworden, wenn ich die App schon besessen hätte, als ich aus meiner ersten eigenen Wohnung ausgezogen bin. Ich hätte es mir nicht nehmen lassen, ein Modell anzufertigen. Denn als Erinnerungshilfe und um in Nostalgie zu schwelgen, ist ein virtuelles Abbild viel besser als die paar Fotos, die ich noch von ihr habe.

Beitrag: Bitte Bleistift und Gliedermassstab beiseitelegen und zum Handy greifen (Andrea Piacquadio, Pexels-Lizenz).

2 Kommentare zu «In ein paar Minuten ein 3D-Modell der Wohnung anfertigen»

  1. Wenn die alte Faustregel gilt: „Wenn etwas kostenlos ist, dann bezahlst du mit deinen Daten“, macht mir das etwas Angst. Denn dann gebe ich ziemlich exakte Informationen über das INNERE meiner Wohnung an wen auch immer. Ist das ne gute Idee??

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