Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore (Amazon Affiliate), bzw. in Deutsch Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (Amazon Affiliate) von Robin Sloan: Eine sympathische Geschichte, die die alte Art der Wissensvermittlung mittels Büchern auf ihr modernes Äquivalent prallen lässt. Das ist natürlich die Cloud mit ihrer gigantischen Rechenleistung, die innert weniger Minuten so viel zu leisten vermag wie ein paar mittelalterliche Mönche in einer Million Lebensjahren.
Mich hat das Buch sehr an «The Circle» (So borniert sind die Tech-Nerds auch wieder nicht) erinnert. Es ist auf eine gewisse Weise das negative – oder eigentlich positive – Abziehbild dieser Geschichte. In der Dystopie von Dave Eggers sind die grossen Tech-Konzerne böse, demokratiezersetzend und absolutistisch.
In der Geschichte von Robin Sloan hingegen sympathisch. Man könnte sie fast schon als Liebeserklärung an Google betrachten. Der Suchmaschinenkonzern in keinster Weise literarisch bemäntelt, ähnlich wie im allerdings schrecklichen Film «Prakti.com» (Googliness? Da kommts mir hoch). Er heisst Google, ist wie das Vorbild in Mountain View domiziliert und wird durch einen klugen, einnehmenden weiblichen Nerd namens Kat Potente vertreten. Kat ist genial, technikgläubig und wie der Konzern ein bisschen naiv – diese Naivität ist immerhin eine Parallele zu der Darstellung in «The Circle».
Als Webdesigner im Buchladen arbeiten?
Also, bevor ich ein bisschen spoilere, mein Fazit: Die Geschichte von Clay Jannon, der aufgrund der Wirtschaftskrise sein Auskommen als Webdesigner verliert und eine Stelle als Aushilfe in diesem seltsamen Buchladen von Ajax Penumbra annimmt, ist genauso sympathisch wie seine Protagonisten.
Es ist eine fiktionale Geschichte, die sorgfältig mit technischen Details umgeht und trotzdem nicht nur für Nerds zugänglich ist oder verkopft wirken würde. Es gibt, falls ich hier keine Erinnerungslücken habe, auch eine echte Premiere: Zum ersten Mal lese ich hier nämlich eine Geschichte, in der die Typografie eine nicht unwichtige Nebenrolle spielt. Clay Jannon, der Ich-Erzähler, hat seine Ausbildung als Gestalter mit einer Arbeit über die Schweizer Typografie von 1957 und 1983 abgeschlossen. Und auch wenn Adrian Frutiger und Max Bill nicht als literarische Figuren wiederauferstehen, so ist das doch ein schönes Kompliment.
Das ist nicht nur ein nebensächliches biografisches Detail der Hauptfigur. Clay Jannon bekommt es mit einer fiktiven Font namens «Gerritszoon Display» zu tun und muss sich mit den Hinterlassenschaften von Aldus Manutius herumschlagen. Der wiederum ist eine historische Person und jedem bekannt, der jemals PageMaker (von Aldus, später Adobe) aufgestartet hat: Sein markantes Profil zierte dort den Splash-Screen.
Aldus? Jedenfalls ein netter Vorname
Aldus Manutius war fast ein Zeitgenosse von Johannes Gutenberg und ebenfalls ein Pionier des Buchdrucks, der Venedig im 16. Jahrhundert zum Zentrum des europischen Verlagswesens gemacht hat. Hier im Buch ist er für weitere Hinterlassenschaften verantwortlich: Nämlich ein grosses Geheimnis, dem Clay Jannon in der Buchhandlung von Penumbra mehr per Zufall als durch Absicht auf die Spur kommt.
Es hat damit zu tun, dass er Gefallen an der Google-Mitarbeiterin Kat Potente findet. Da er sie beeindrucken will, entschlüsselt er mittels hochgerüsteter digitaler Visualisierungstechnologie einen Code, den die Eingeweihten bislang in mühsamer, jahrelanger Kleinarbeit knacken mussten. Und es versteht sich von selbst, dass das eine Kette von Ereignissen in Gang setzt. Am Ende geht es darum, dass man mit geballter Rechenleistung auch Dinge ans Licht zerren kann, die die Bewahrer der Geheimnisse gut geschützt glaubten.
Und wo wir bei den kleinen, bestechenden Nerd-Details sind: Ich hätte tatsächlich nicht geglaubt, dass ich jemals in einem Buch etwas über Hadoop lesen würde. Das ist ein Framework, mit dem sich anspruchsvolle Anwendungen auf so viele Rechner verteilen lassen, wie man gerade zur Verfügung hat. Das eignet sich ausgezeichnet, um Codes zu knacken und bekanntlich gehört der Einsatz von Hadoop bei Google denn auch zum Alltag.
Aufeinanderprallende Kulturen
Das Buch ist ein gelungenes Abbild des Clash of cultures. Und auch wenn Autor Robin Sloan offensichtlich selbst ein Nerd ist, nehmen die klassischen Bücherwürmer und die in der Zeit stehen gebliebenen Buchhändler in seinem Herzen einen genauso grossen Teil ein. Und das macht die Geschichte aus: Sloan lässt die Figuren einen Kampf austragen, der offensichtlich auch in seinem Inneren tobt – ohne dass er sich auf eine Seite schlagen würde.
“Ah, books.” Raj pauses a moment, chewing. Then his brain slots into a groove: “You know, old books are a big problem for us. Old knowledge in general. We call it OK. Old knowledge, OK. Did you know that ninety-five percent of the internet was only created in the last five years? But we know that when it comes to all human knowledge, the ratio is just the opposite – in fact, OK accounts for most things that most people know, and have ever known.”
Raj is not blinking, and possibly not breathing.
Raj ist der Mann, der den Buchscanner bedient, mit dem Google all die vielen Bücher digitalisiert. Und was er hier sagt, klingt authentisch nach einer Sichtweise, wie sie typisch ist für die Unternehmen aus dem Silicon Valley: Klar, diese alten Bücher – sie sind ein Problem, weil sie nicht von Haus mit Massenspeichergeräten aus kompatibel sind. Aber solche Probleme sind da, um sie mit Technik zu bewerfen und zu beseitigen – und natürlich ergibt sich ein Weg, um dieses OK digital zu inkorporieren.
Kritisieren könnte man das Ende, das die steigenden Erwartungen nicht so ganz erfüllt und ein bisschen zu moralisch ist. Aber ich kann damit gut leben und sortiere «Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore» darum in die Kategorie der gelungenen Nerdkultur-Bücher ein. In der findet sich natürlich vor allem «Ready Player one». An dieses Werk kommt «Mr. Penumbra» nicht ganz heran – aber dort liegt die Latte auch ziemlich hoch.
Bitte die Wayback List!
Also, jetzt noch ein paar Worte mit Spoilern zum Inhalt: Clay Jannon arbeitet während der Nachtschicht als Aushilfe in Ajax Penumbras Laden. Es ist nicht zu übersehen, dass kaum je ein Kunde etwas kauft. Und trotzdem hat der Laden vierundzwanzig Stunden am Tag offen, und zwar schon seit mehr als drei Jahrzehnten. Ab und zu kommen Leute, die ein ganz bestimmtes Buch verlangen, das Clay dann aus den oberen Regalen, der «Wayback List» herunterholen muss. Es sind Bücher, die er sich nicht ansehen darf und die sehr seltsame Titel haben.
Weil der Job etwas langweilig ist, macht Clay ein 3-D-Modell des Ladens. Und er gibt 10 Dollar aus, um bei Googles Umgebungssuche über sehr spezifische Suchbegriffe Kunden anzulocken – Webdedign und -marketing ist schliesslich seine Profession. Damit lockt er Kat Potente an. Die zeigt sich beeindruckt von seinem Modell und schlägt vor, noch weitere Datenpunkte zu integrieren. Das tut Clay und greift dazu auf die Daten des Buchs zurück, in dem die Aktivitäten der «Wayback List» eingetragen werden. Und siehe da: Im Modell zeigt sich ein unerwartetes Muster.
Ein nerdiges Ende
Die Neugierde ist geweckt. Clay kommt zusammen mit Kat und weiteren befreundeten Nerds der Sache auf die Spur. Im Buchladen gehen die Mitglieder des jahrhundertealten Geheimbundes «Unbroken Spine» ein und aus, der auf Aldus Manutius zurückgeht. Irgendwie scheint die Sache mit der Suche nach dem ewigen Leben zusammenzuhängen. Das ist ein Thema, bei dem die Interessen von «Unbroken Spine» und der High-Tech-Firma konvergieren. Denn es ist keine Fiktion, dass Google und andere Unternehmen aus dem Silicon Valley das Altern aufhalten oder sogar stoppen wollen.
Sie entdecken, dass jedes Mitglied an seinem eigenen Buch, dem «Codex vitae» arbeitet. Das wird nach dem Tod verschlüsselt, und enthält vielleicht Informationen, die es den Mitgliedern erlauben, nach ihrem Abtreten wieder zurückzukommen. Auch Aldus Manutius hat ein solches Buch geschrieben. Es wird mit in einer riskanten Aktion im Hauptquartier von Unbroken Spine digitalisiert und soll dann mit Googles gesamter Cloud-Power entschlüsselt werden. Doch so vielversprechend die Aktion beginnt – sie scheitert, und das Geheimnis bleibt ungelüftet.
Am Schluss kommt Clay der Sache doch noch auf die Spur. Wie gesagt, manche waren etwas enttäuscht. Ich fand es aber ganz in Ordnung. Der Weg zum ewigen Leben wurde zwar nicht enthüllt. Aber dass der Schlüssel zur Dechiffrierung im Font selbst zu finden war – das war schon recht nerdig. Und dass der Schlüssel zum Schlüssel über ein Hörbuch zu finden war – auch das hatte Charme. Der Epilog dazu ist etwas kurz geraten, findet der Kritiker hier, wie ein übersimplifizierter Wikipedia-Eintrag:
There is no immortality that is not built on friendship and work done with care. All the secrets in the world worth knowing are hiding in plain sight… It’s not easy to imagine the year 3012, but that doesn’t mean you shouldn’t try. We have new capabilities now — strange powers we’re still getting used to… Your life must be an open city, with all sorts of ways to wander in.
Und nicht ganz zu Unrecht streicht er heraus, dass Robin Sloan viele Leseempfehlungen in seiner Geschichte versteckt hat: Haruki Murakami mit Kafka on the Shore, Neal Stephenson und Dashiell Hammett. Oder Simon Garfields Just My Type.
Beitragsbild: Arthur Osipyan, Unsplash-Lizenz.