Warum ich drauf und dran bin, mein Spotify-Abo zu künden

Ist Spotifys teurer Exklusiv-Podcast so schlimm, wie alle behaup­ten? Ich habe mir eine Folge von «The Joe Rogan Expe­rience» angehört. Eine so trauma­tisie­rende Erfah­rung, dass ich nicht sicher bin, ob ich noch länger Kunde bei diesem ignoranten Streaming­dienst sein mag.

Spotify hat mir in letzter Zeit mehrere Gelegenheit gegeben, mich herzhaft aufzuregen. An dieser Stelle geht es um das grosse Ärgernis: die Sache mit dem Podcast des Herrn Rogan, den sich der schwedische Streamingdienst für viel Geld einkauft, ohne sich vorher zu überlegen, welche Probleme das verursachen könnte. Ich habe mir eine Folge angehört, was um ein Haar mit der Kündigung meines Streaming-Abos geendet hätte. Ich habe es nicht getan – zumindest vorerst nicht.

Für Leute, die mit der Materie nicht vertraut sind: Joe Rogan wird als Comedian gehandelt, kennt sich gemäss Wikipedia mit Kampfsportarten aus und hat im US-Fernsehen Karriere gemacht. Im Mai 2020 hat er einen exklusiven Deal mit Spotify abgeschlossen und dafür einen hoch dotierten Vertrag erhalten. Damals war von hundert Millionen US-Dollar die Rede gewesen. Mitte Februar konnte man in der «New York Times» lesen, dass es wohl eher zweihundert Millionen gewesen sind.

Ist der Mann das Geld wert? Das wollte ich schon lange einmal herausfinden, und nach der letzten Kontroverse habe ich diesen Plan in die Tat umgesetzt. Woraufhin ich nicht nur fast mein Abo gekündigt, sondern auch um ein Haar die uncharmante Frage in den Titel gesetzt hätte, ob man Spotify eigentlich ins Hirn gesch*ssen hat.

Beim «Neil Young oder Joe Rogan»-Ultimatum hat Spotify die falsche Entscheidung getroffen

Aber dazu gleich mehr – ich bin noch nicht fertig mit der Vorgeschichte. Zu der wäre allgemein zu sagen, dass Joe Rogan in seinem Podcast «The Joe Rogan Experience» (JRE) immer wieder Gäste ausführlich ihre Weltsicht darlegen lässt, die nicht auf der Seite der Wissenschaft stehen, um es vorsichtig zu formulieren. Sie stehen sogar so wenig auf der Seite der Wissenschaft, dass – und das war die letzte Kontroverse, von der ich eben gesprochen  habe –, dass Neil Young und Joni Mitchell ein «Er oder wir»-Ultimatum gestellt und daraufhin ihre Songs von Spotify abgezogen haben

Die wissenschaftsfeindliche Haltung von Rogan ist verbrieft, seit 270 Experten ihren Protest in einem offenen Schreiben zum Ausdruck gebracht haben. Entzündet hat sich die Kritik, die von grossen Medien wie «The Guardian» aufgegriffen worden ist, an der Folge, bei der Dr. Robert Malone seine Falschinformationen verbreiten durfte:

JRE hat eine bedenkliche Vergangenheit, was die Verbreitung von Fehlinformationen angeht, insbesondere in Bezug auf die COVID-19-Pandemie. Indem Spotify die Verbreitung falscher und für die Gesellschaft schädlicher Behauptungen zulässt, ermöglicht es das Unternehmen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die wissenschaftliche Forschung zu erschüttern und Zweifel an der Glaubwürdigkeit datengestützter Empfehlungen von Medizinern zu säen.

Man kann sagen, dass ich mit einigem gerechnet habe, als ich neulich daran ging, selbst eine Folge anzuhören. Es war die Episode Nummer 1760, die deswegen zum Zug kam, weil dort Adam Curry einen Auftritt hat. Ich kenne den Mann gut, weil ich seinerzeit ein fleissiger Hörer seines «No Agenda»-Podcasts war, der immer weiter in die Untiefen der alternativen Welterklärungsmodelle abgedriftet ist, um es höflich zu sagen – dafür, dass es für den Podcast seinerzeit sogar eine Empfehlung von mir gab, habe ich hier Abbitte geleistet.

«The Podfather» (Godfather of Podcast): ein alter Bekannter

Um bei Adam Curry anzusehen: Sein Auftritt in der «Joe Rogan Experience» hat mir in Erinnerung gerufen, warum ich die «No Agenda Show» noch lange weiter angehört habe, als längst klar war, dass Curry keinerlei Absichten hat, jemals wieder in die Gefilde der Vernunft zurückzukehren. Dem Wahnsinn zum Trotz ist er charmant, amüsant und ein brillanter Rhetoriker.

Vor allem ist er um Welten geschickter als ein Daniel Stricker oder Ken Jebsen, die im Vergleich wie unbeleckte Waisenknäblein wirken. Curry erscheint nicht als Wutbürger und ein Wichtigtuer, sondern wie einer, der direkt aus seinem Herzen spricht. Seine abstrusen Thesen flicht er nach und nach ein. Dass er nicht so spontan ist wie es scheint, merkt man erst, wenn man einige der gleichen alten Platten zum x-ten Mal vorgespielt bekommt. Und tatsächlich kam mir vieles bekannt vor, das ich in dieser Sendung vom Januar 2022 gehört habe, obwohl es das erste Mal seit mindestens sieben Jahren war, dass ich mich wieder mit Curry beschäftigt habe.

Adam Curry – in seiner Selbstbeschreibung nur «ein einfacher Radio-DJ».

Eins ist jedenfalls klar: Um einen Adam Curry in einem Podcast einzuhegen, muss man auf Zack sein. Es braucht Wissen, Schlagfertigkeit, Resistenz gegen seinen Charme und Abwehrmechanismen gegen die rhetorischen Tricks. Und vor allem braucht es die Haltung des unbestechlichen Interviewers.

Rogan hat nicht den Hauch einer Chance

Alles Dinge, die Joe Rogan völlig abgehen. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass Rogan nicht den Hauch einer Chance gegen Curry hat: Er ist zu wenig informiert, versucht nicht einmal, Gegensteuer zu geben und ist – wenn man journalistische Massstäbe anlegen will – eine totale Pleite.

Nach dem eingangs erwähnten offenen Brief habe ich mit so etwas gerechnet. Dass es aber so drastisch sein würde, hat mich dennoch überrascht: Rogan macht noch nicht einmal einen Hehl aus seiner Naivität, sondern benutzt sie offensichtlich als Schutzschild: Wie sollte man ihm einen Strick drehen können, wenn einer seiner Gäste Unfug erzählt, wenn er einfach nicht wusste, dass das Unfug war?

Bemerkenswert finde ich auch, dass sich Rogan primär an das erinnert, was seine letzten drei, vier Gäste ihm erzählt haben – und er das treuherzig wiedergibt, als ob es seine eigenen Gedanken wären. So wenig Reflexion ist mir noch selten untergekommen.

Entsprechend hat Adam Curry ausreichend Gelegenheit, eine ganze Ladung an Verschwörungsmythen über dem Publikum der Joe Rogan Experience auszuschütten:

Nach einem relativ moderaten Einstieg, in dem es um die Ernährungsgewohnheiten der Amerikaner und um den vielen Zucker in Softdrinks geht, läuft sich Curry warm: Er behauptet ohne jeden Beleg, dass wir kurz davor stünden, dass sich jeder wie in der «Matrix» mit individuell replizierten Nahrungsmitteln werde versorgen lassen müssen.

Biden will nichts und falls doch, dann Krieg

Nach einem Witz über die Wissenschaft im Allgemeinen, bei dem Rogan herzhaft mitlacht, erwähnt Curry die Theorie der Bevölkerungsreduktion, postuliert irgend eine geplante Regulierung oder Kontrolle der Podcasts (They’re coming for podcasts) und ergeht sich dann in eine Theorie, dass Joe Biden – oder vielmehr dessen Entourage, weil Biden selbst nichts zu sagen hat (Biden is running shit) – einen Krieg in Kasachstan anzetteln will: Genau habe ich die Idee dahinter nicht verstanden.

Jedenfalls ist Curry jetzt warmgelaufen und erklärt, dass Corona (the Wuhan flu) bloss die Tarnung für einen grossangelegten Finanzbetrug sei, worauf hin sich Rogan immerhin die zaghafte Frage erlaubt, ob das Virus denn echt oder nur eine Erfindung sei. Mit der Antwort darauf hält sich Curry aber nicht lange auf, sondern erklärt, dass das Ziel der Totalitarismus und das Mittel eine Art Massenpsychose (mass formation psychosis) sei. Ich nehme an, dass es um die Theorie geht, die cnet.com hier wiederlegt hat.

«George Sorios doesn’t love America»

An dieser Stelle macht Curry einen kleinen Ausflug in die Welt der antisemitischen Verschwörungstheorien, indem er George Soros und dessen Sohn Alexander ins Spiel bringt (George Sorios doesn’t love America), woraufhin Rogan nicht widerspricht, sondern seinerseits die defund the police-Theorie ins Spiel bringt. In einem Nebensatz gibt es einen verschwörungsmythischen Seitenhieb auf Black lifes Matter (Black lifes Matter Inc.) und eine Relativierung der Ereignisse des Sturms auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021, wo sich Rogan und Curry offenbar einig sind, dass der zwar unschön war, jetzt aber dazu benutzt wird, Trump zu diskreditieren.

An dieser Stelle ist etwa die Hälfte der dreistündigen Sendung durch. Es geht nun um Cryptowährungen, um Passagier-Drohnen, um Augmented-Reality-Kontaktlinsen und ums Metaversum, das natürlich auch nur zur Kontrolle der Bevölkerung und zur Freude der Milliardäre erfunden worden ist (Elon is already jacking into your brain).

Curry behauptet, dass die Facebook-Währung Libra bzw. Diem nicht an der Inkompetenz des sozialen Netzwerks gescheitert sei, sondern weil die Regierung etwas dagegen gehabt habe. Dann beginnen die Herren, Zigarre zu rauchen, weil jetzt der gemütliche Teil anbricht.

Das hindert Rogan aber nicht, eine kleine Tirade vom Stapel zu lassen, die für mich (und offenbar auch für Curry) etwas gar naiv klingt. Jedenfalls enthält sie libertäres Geschwätz und offenbar ein erschreckend simplizistischer Freiheitsbegriff. Immerhin kommt Rogan aus den Puschen, als Curry die gefälschte Mondlandung auspackt.

Steigbügelhalter für rechte Crackpots

Ich denke, ich kann es an dieser Stelle mit der Bemerkung gut sein lassen, dass mir völlig schleierhaft ist, wie man bei Spotify auf die hirnrissige Idee kommen konnte, diesen Joe Rogan anzuheuern. Mir wäre völlig egal, wenn er als normaler Podcaster seine Show über Spotify verbreiten würde. Ich vermute und hoffe, dass die Welt so viel ungezügelte Meinungsfreiheit verkraftet – und wie angedeutet: Wenn man Curry kein Wort glaubt, ist er unterhaltsam und vergnüglich.

Aber für eine derartige Summe – die auch von meinen Abogebühren bestritten wird – einen Mann zur Speerspitze der Podcast-Offensive zu machen, der sich als Steigbügelhalter für jedwelche Crackpots hergibt, ist entweder dumm oder verantwortungslos. Oder beides. Mich würde interessieren, wie ein solcher Fehlentscheid zustande kommen konnte.

Wie auch immer: Ich komme nicht umhin, mir Gedanken über mein Spotify-Abo zu machen und auf die Massnahme einzugehen, die Spotifys Chef Daniel Eck persönlich auf die Kritik ergriffen hat. Teil zwei der Saga: Wie sich Spotify noch viel tiefer reingeritten hat.

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