Es gibt diese Hype-Apps, vor denen es zumindest in den sozialen Medien kein Entrinnen gibt. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie schnell auftauchen und bald wieder in der Versenkung verschwinden. Vor fünf Jahren war das die Prisma-App, die alle so lang für ihre Fotos benutzt haben, bis auch der letzte Mensch der künstlich auf Kunst getrimmten Bilder überdrüssig war.
Nichtsdestotrotz habe ich seinerzeit mit Becasso eine ähnliche, aber noch etwas raffiniertere App vorgestellt (Kunst ist eine Frage der richtigen App) und im Beitrag Das Instagram-Zeitalter ist durch die vier Kunst-Apps Prisma, MLVCH, Dreamscope und Dreamify direkt verglichen.
Da ist es nichts wie folgerichtig, dass ich auch der aktuellen Hype-App etwas Aufmerksamkeit zukommen lasse:
Sie heisst Voilà und ist kostenlos für Android und fürs iPhone und iPad erhältlich. Und sie verwandelt Porträtfotos in Cartoons – und zwar auf recht beeindruckende Weise. Dazu gleich mehr, aber erst muss ich noch ein paar Worte zur Preisgestaltung dieser App loswerden.
Wie gesagt, die App selbst ist gratis. Man kann die App jedoch nur mit einem Abo vernünftig nutzen, und das ist mit einem Preis vom dreissig Franken im Jahr, drei Franken in der Woche oder sechs Franken im Monat auf der kostspieligen Seite angesiedelt.
Etwas gar teuer für einen flüchtigen Effekt
Wenn man an dieser Stelle das Fazit bereits würde vorwegnehmen wollen, dann würde man urteilen, dass das zu teuer ist. Ich habe den Eindruck, dass der Hype um die App kräftig monetarisiert werden soll. Darum hatte ich keine Skrupel, das Abo abzuschliessen, während der dreitägigen Testphase ein paar Bilder durch die Mangel zu drehen und das Abo wieder zu künden. Und ja, das ist nicht die feine Art. Aber eine App wie diese, die nach einer gewissen Zeit den Reiz auch wieder verliert, ist ein Abo nicht die richtige Lizenzierungsform: Fair wäre, eine solche App für fünf Franken zu verkaufen.
Zurück, zu dem, was die App tut: Wie gesagt ist sie dazu da, Porträtbilder und Selfies in Comics oder Karikaturen zu verwandeln. Die Resultate können sich sehen lassen: Sie wirken wie gezeichnet und nicht so, als sei ihnen bloss ein Effektfilter übergestülpt worden.
Aber natürlich bleibt es dabei, dass die KI-Algorithmen keine künstliche Ader haben. Den Umsetzungen fehlt das Flair, das ein menschlicher Karikaturist hineinbringen würde – die Persönlichkeit eines geübten Künstlers oder auch nur die handwerkliche Routine. Die Bilder wirken ein bisschen blutleer und artifiziell.
Sorry, so schön bin ich im richtigen Leben nicht
Und es fällt etwas Zweites auf: Nämlich der Umstand, dass einem die Algorithmen nebenbei noch ein bisschen verschönern. Die Gesichtszüge werden ein wenig gefälliger, mein Glatzkopf erhält ein paar Stoppeln zurück und der Effekt meiner konkaven Brillengläser wird eliminiert.
Das ist schmeichelhaft für die abgebildete Person und dürfte dem Erfolgsgeheimnis entsprechen, mit denen sämtliche Porträtmaler der vergangenen Jahrhunderte ihre Kundschaft bei Laune gehalten haben.
Allerdings trägt die App gar dick auf. Und bei den Karikaturen ist der Aufhübschungstrick gänzlich deplatziert: Eine gelungene Karikatur macht ihr Sujet nicht schöner, sondern prägnanter, was häufig bedeutet, dass die körperlichen Makel nicht zum Verschwinden gebracht, sondern akzentuiert werden.
Etwas hässlicher wäre auch schön
Mit anderen Worten: Diese geschönten Abbilder seiner selbst schmeicheln zwar der Eitelkeit, aber verhindern auch, dass man sich mit den Werken identifiziert.
Denn ich bin längst alt genug um zu wissen, dass meine Mankos, auch die körperlichen, ein integraler Teil meines Wesens sind und nichts, das ich verstecken möchte. Auch darum bin ich der Überzeugung, dass sich auch die Voilà-Begeisterung schnell wieder abnutzen wird.
Noch kurz zur technischen Funktionsweise: Die App stellt die vier Varianten 3D Cartoon, 2D Cartoon, Caricature und Renaissance zur Verfügung. In jeder Kategorie fabriziert die App drei Varianten, die man in einer Art Passbildansicht neben dem Original zu sehen bekommt. Man diese speichern oder eine der drei Varianten auswählen und speichern oder an die sozialen Medien weiterreichen.
Das wars bereits. Es gibt keine Möglichkeit, den Effekt weiter zu beeinflussen oder weitere Parameter zu verstellen.
Und da wir uns noch an die Kontroverse um die Hype-App von 2019 erinnern, noch ein Wort zum Datenschutz. Jene App vor zwei Jahren hiess FaceApp und hat uns künstlich gealtert. Damals wurden Datenschutzbedenken aufgebracht, weil die App aus Russland kommt.
Zum Abschluss ein paar Datenschutzbedenken
Der Hersteller der App tut nun auch nicht gerade viel, um Vertrauen zu wecken. Es gibt auf der Website wemagine.ai weder ein Impressum noch eine Postanschrift, sondern nur zwei E-Mail-Adressen – ich kann daher noch nicht einmal sagen, woher diese App eigentlich kommt.
Die Erklärung zum Schutz der Privatsphäre enthält schwammige Formulierungen, zum Beispiel die hier, bei der es um Gründe für die Weitergabe von persönlichen Daten geht. Ein solcher Grund liegt vor, …
wenn wir glauben, dass die Offenlegung notwendig oder angemessen ist, um die Rechte, das Eigentum oder die Sicherheit des Unternehmens, unserer Kunden oder anderer zu schützen.
Mit anderen Worten: Wir machen, was uns passt. Ich jedenfalls lade bei dieser App nur Bilder hoch, die eh schon öffentlich sind.
Beitragsbild: Es geht doch nichts über Handarbeit (Jeffrey Soh, Pexels-Lizenz).