Das geht zu weit. Selbst für einen Podcast

Ein Podcast, bei dem man bei echten Therapiesitzungen zuhören kann. Und ja: Das ist so gruselig, wie es klingt.

Normalerweise stelle ich hier Podcasts für, die ich abonniert habe – oder abonnieren würde, wenn ich Zeit hätte, sie zu hören. Heute ist es indes aber tatsächlich einmal Zeit für einen Verriss.

Es geht um den Podcast Other People’s Problems vom kanadischen Radio CBC. Er beschreibt sich selbst in diesen Worten:

Echte Menschen. Echte Probleme. Echte Gespräche. Normalerweise sind Therapiesitzungen vertraulich – aber dieser Podcast öffnet die Tür. Hillary McBride und ihre Klienten wollen helfen, psychische Krankheiten zu entmystifizieren. Keine Schauspieler. Kein Vorsprechen. Keine Tricks.

Der Podcast stürzt mich gleich zu Beginn in ein Dilemma: Wieso höre ich mir ihn an? Aus ehrlichem Interesse oder doch vor allem, weil ich ein kleiner Voyeur bin? (Oder, im Fall eines Podcasts, ein «petit sale Écouteur»?)

Für alle, die bei einer Psychotherapie schon einmal Mäuschen spielen wollten.

Ich greife zufällig eine der neueren Folgen heraus: In der Episode S03E02 geht es um Lacey und ihre Mutter, die sie vernachlässigt hat. Ich kann der Therapie nicht wirklich folgen: Lacey ist eine langjährige Patientin. Die Therapeutin ist mit ihrer Geschichte bestens vertraut; ganz im Gegensatz zu mir. Und wie es für eine solche Situation typisch ist, geht es um winzig kleine Details, um uralte Kindheitserinnerungen. Und darum, wie man die neu bewerten könnte.

Die Prämisse funktioniert nicht

Bei mir hatte das zur Folge, dass ich mich nach einigen Minuten geistig ausklinkte und bereits anfing, mir zu überlegen, wie ich den Podcast hier im Blog besprechen könnte.

Das ist keine sonderlich gute Ausgangslage für eine faire Kritik. Aber es zeigt meines Erachtens das grundsätzliche Problem dieses Formats. Man kann als Hörer mit einer halbstündigen Folge keine Anteilnahme entwickeln. Man erfährt ein paar Buchstücke. Wenn man ähnliche Erfahrungen gemacht hat, dann lösen die vielleicht etwas aus. Doch ansonsten verstärken sie bloss das ungute Gefühl, in etwas hineingestolpert zu sein, dass einen nichts angeht.

Der Anspruch, psychische Krankheiten zu «entmystifizieren», ist ehrenvoll. Und es mag hilfreich sein zu hören, wie eine solche Sitzung abläuft und welche Techniken die Therapeutin anwendet. Hillary McBride erklärt zwischendurch immer mal wieder, was sie tut und warum. Das ist interessant.

Doch als Podcast funktioniert diese Produktion meines Erachtens nicht. Erstens, wie erwähnt, erfährt man zu viele Details und zu wenig von dem Gesamtbild.

Es bräuchte einen unabhängigen Vermittler

Zweitens finde ich die Perspektive schwierig: Die Therapeutin ist auch die Erzählerin und Podcast-Hostin. Diese Doppelfunktion macht die Erzählung einseitig und versetzt die therapierte Person in die Rolle eines Objekts. Es bräuchte eine neutrale Vermittlungsperson. Oder – und das wäre vielleicht noch spannender – einen Dialog zwischen Therapeut und Patient. Das wäre weniger voyeuristisch.

Fazit: Der Podcast ist ein intimes und detailversessenes Medium, das sich auch für heikle Themen eignet. Aber diese Gespräche aus dem Sitzungszimmer einer Therapeutin sprengen auch dessen Möglichkeiten:

Da sind die ethischen Probleme, über die ich hier nur ansatzweise diskutieren mag. Ich gehe davon aus, dass die Patienten der Veröffentlichung zugestimmt haben werden, ansonsten bestimmt auch in Kanada sofort das Strafgesetzbuch zum Einsatz käme.

Aber auch wenn die rechtliche Seite geregelt ist, muss sich eine Therapeutin die Frage stellen, ob diese Podcasts im Interesse der Patienten sind.

Zusätzliche Verwundbarkeit

Und bei dem Punkt mache ich ein sehr grosses Fragezeichen. Es mag zwar so sein, dass es ihnen ein gutes Gefühl gibt, am Kampf gegen die Stigmatisierung von psychischen Probleme eine aktive Rolle einzunehmen. Aber dieser Effekt scheint mir vernachlässigbar gegenüber der grossen, zusätzlichen Verwundbarkeit, die durch diesen medialen Auftritt entsteht. Selbst wenn die Patienten nur pseudonym auftreten.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Hillary McBride ihre Patienten für eigene Zwecke instrumentalisiert – für eine Art Humble Bragging: «Seht her was für eine einfühlsame Therapeutin ich bin!» Vielleicht tue ich ihr damit unrecht, und es geht ihr wirklich nur um die Sache. Doch selbst dann würde ich kein Patient bei einem Therapeuten sein wollen, der mir irgendwann einen Auftritt in seinem Podcast anbieten würde. Im Gegenteil: Ein Psychiater, Therapeut oder Coach muss kein Podcaster sein – sie und sie grosszügig ausgeklammert.

Beitragsbild: Und dann ist das alles auch noch in einem Podcast zu hören! (Nik Shuliahin, Unsplash-Lizenz)

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